(BuschFunk - Edition Iron Curtain Radio/Major Label/Broken Silence)
Die Welt ist seltsam eingerichtet. Da hüpft man in seinen jungen Jahren schwitzend zu "(Freitagabend in) Berlin", "TV Operator", "Pauls Hochzeit" und "Gelbe Worte" durch irgendwelche (manchmal nur halb-legalen) Etablissements, kauft der diese wundervollen Partys beschallenden Formation ihre selbstgebastelten Kassetten ab, vergisst nur wenige Jahre angesichts der Mauerfall-bedingt über einen hereinbrechenden "musste hören/musste sehen"-MusikFlut ein klein wenig, wie gut diese Konzerte und MCs waren, wundert sich Anfang der 2000er über einen comeback-Versuch (mit 3 neuen, auf selbstgepresster CD vertriebenen Stücken), nur um sich wieder von der Fülle an "anderen" Bands ablenken zu lassen. Und dann kommt praktisch das "Gesamtwerk" dieser epochalen Kapelle innerhalb von 14 Tagen mit gerade mal gut 35 Jahren Verspätung auf Vinyl raus: die beiden erwähnten Tapes bei BuschFunk, die vom DDR-John Peel Lutz Schramm eingefädelte Liveaufnahme in der feinen "Edition Iron Curtain Radio" vom Major Label. Von wem hier die Rede ist? Na von "die anderen" - der Band, die im Osten weder Staatsband noch beinharter AntiSystemPunk war, sondern eben "anders". Der umtriebige Texter, Sänger und Gitarrist Olaf "Toster" Tost hatte mit Bassist Stefan Schüler und recht häufig wechselnden Trommlern eine Band geformt, die sich aus einem Hinterhof-Proberaum zum Synonym für "andere" Musik "hoch"spielte. Im Beiheft zu "Berlin Radio" heißt es zur Bandgründung 1985 treffend: "Der Plan war, keine Kellerszenekapelle im Underground und auf gar keinen Fall typische Ostmugger werden. Immerhin wusste man schon, was es nicht werden sollte." Und 2 Jahre später ("die anderen" waren da schon eine kleine Berühmtheit) sagte Toster: "Also die Tatsache, dass wir als Newcomer oder als Band bezeichnet werden, die was Neues machen, ist eigentlich auf irgendeine Art pervers. Es ist eigentlich eher lächerlich oder traurig, dass die letzten zehn Jahre Musikentwicklung so an der DDR vorbeigegangen sind, ohne im Prinzip irgendwas zu bewirken." Die klassische git-b-dr-Besetzung wurde bald um ein Saxophon erweitert, das zunächst Anja Schiebold spielte, im Herbst '87 übernahm der von "Hard Pop" kommende Ralf "Lehrer" Lepsch. Herr Schramm spricht mir dazu aus dem Herzen: "Das Saxophon hätte für meinen persönlichen Geschmack eigentlich abschreckend wirken müssen. Tat es aber nicht, was für die Qualität der Songs und der Arrangements spricht." So entwickelten sich "die anderen" zu einer aufregenden und durchaus Pogo-geeigneten (der o.g. Schweiß floß ja nicht ohne Grund!) Melange aus PostPunk, IndiePop und Ska, aus Police, Josef K. und Fischer Z, ja sogar eine Prise Ideal lässt sich hier ausmachen. Dabei gelang der Band der Spagat zwischen szene-kompatibler StaatsFerne und Ausnutzen der sich im System DDR eben doch bietenden "offiziellen" Möglichkeiten auf nachgerade vorbildliche Weise. Toster lehnte das Angebot ab, 3 seiner Stücke auf dem vom StaatsLabel Amiga geplanten (und realisierten) IndieSampler unterzubringen und so hieß "Kleeblatt #23" zwar "die anderen bands" (sogar die Kleinschreibung hatte man übernommen), doch die Band war gar nicht dabei. Die Schublade hatte von nun an aber ihr Etikett, alles was jenseits von Karat und Silly in Ost-Radio, -TV oder sonstwelcher Öffentlichkeit stattfand, vom skurril-surrealen ElektroPop der AG Geige über die Möchtegern-Neubauten Sandow bis zu den anarchischen SpaßPunkern Feeling B, wurde unter "die anderen bands" subsumiert. Etwas anrüchig waren im Januar '89 die "die anderen" Auftritte in Honeckers Palast der Republik (von dem am 19.01. habe ich sogar ein bootleg-tape) zwar schon, außerdem durfte die früh mit staatlicher Spielerlaubnis lizensierte Band seit 1988 auch im Westen spielen (was dazu führte, dass sie am legendären 9. November in Kreuzberg so ahnungslos wie verblüfft auf der Bühne standen, als ihre Ost-crowd in den Laden stürmte), doch all das trübte den KonzertSpaß, den "die anderen" landauf landab verbreiteten, wenig. Doch weg vom Historischen, hin zu den re-issues: BuschFunk hat die jeweils gut halbstündigen Tapes von Bo Kondren restaurieren und neu mastern lassen, das Ergebnis ist trotz der etwas überpräsenten Bassgitarre den Umständen entsprechend gut. Die mit halbwegs professionellem Rundfunk-Equipment aufgenommene Parocktikum Session lässt über die gesamten 45 Minuten klangtechnisch hingegen kaum Wünsche offen, hier fehlen aber zwangsläufig einige Großartigkeiten des "die anderen"-Repertoires (z.B. "Berlin" oder "Spy"). Jede der edel aufgemachten LPs kommt mit einem fetten booklet voller Fotos, Textzettel, Plakate usw., in dem sich KampfGenossen und Wegbegleiter an die alten Zeiten erinnern, der Text von Lutz Schramm zur "Parocktikum Session" ist dabei der (für mich) informativste. Aber auch der Beitrag von Flake (Rammstein, vorher Feeling B; der Mann war aber auch in Hunderte anderer abseitige Ost-Projekte involviert und schreibt hier ganz bescheiden: "...so durfte ich manchmal auch bei anderen Bands mitspielen. Sogar bei die anderen.") ist so launig wie lesenswert. Und Charly Hübner erinnert an den wichtigen Umstand "dass sie als eine der wenigen großen Indie-Bands der DDR konsequenterweise nach der Wende aufgehört haben und letztlich 2024 am meisten vermisst werden." Auf den berühmten Punkt bringt es Ronald Galenza: "Zwei alte Ost-Kassetten haben ein ganzes Land überlebt. Nun auferstanden, erklingen sie in neuer, voller Pracht und tanzen weiter." Auch und gerade mit der Posaunen-verstärkten Live-Power der Parocktikum Session. Deshalb dank an alle Beteiligten für diese Restaurations-, Recherche- und Publikationsleistung(en). Und besonders an "die anderen" für ihre unsterbliche Musik. 5/5/5Weitere Infos: www.konsum.buschfunk.comwww.majorlabel.shop
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