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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Im Sommer lieben wir leichten Weißwein und dazu darf es gern auch mal ebenso lockerer Jazz sein. Wie der des Trommlers ELOI PASCUAL auf "Amarea" (Berthold). Feiner und überhaupt nicht langweiliger PianoJazz, der insbesondere durch die schöne SchlagzeugArbeit überzeugt. Auch die BassFiguren sind alles andere als farblos, ohne sich aber in den Vordergrund zu drängen. Romantische Stücke wie "Carrie" stehen neben Bewegterem und der(?) "Wayfarer" bringt gar eine zarte Trompete mit. 4
Eine solche (Trompete) spielt bei bei "Noemi's Song" kein Geringerer als Randy Brecker. THOMAS STIEGERs "Choices" (Leopard) bestehen wie die von Pascual aus zartem Jazz, den auch PopKonsumenten durchaus ertragen dürften. Eine smoothe E-Gitarre zaubert feine NotenPunkte auf das AquarellPapier aus sanftem Schlagzeug und weichem Bass. "Chez Aly" besteht aus purem XylophonZauber zu flotter Rhythmik und in "Hissing The Flag" gibt Wolfgang Hattner ein BassGastSpiel. 4
QuerflötenHasser und SchlaumeierVerachter wie ich sind bei JACQUES PALMINGER & 440 HERTZ komplett falsch. Die 440 Hertz-Damen und Herren spielen auf "Die Sehnsucht der Sterne" (Misitunes) einen sleazy JazzRock - handwerklich gar nicht schlecht, aber für meinen Geschmack einen Tick zu abgezockt und übertrieben (super)cool. Es ist bei den Hamburger Oberschlauen eben niemals einfach, wenn denn überhaupt möglich, zwischen Ironie und echtem Gefühl zu differenzieren bzw. Pathos von Zynismus zu unterscheiden. 3
Mit dem Album "Barefoot in Bryophyte" (Hubro) von MARI KVIEN BRUNVOLL & STEIN URHEIM WITH MOSKUS beginnt die Grauzone zwischen zärtlich und fordernd. Es geht los mit einem lustig dahin schaukelnden "Nils Klim" und "Agadeda" lenkt den BarfussMoosWeg (noch) weiter in Richtung der super-niedlichen isländischen CutePopBands (Mum?), nur um in der Mitte dieses Stücks in eine Art Calypso umzukippen. Im Titeltrack wird diese Beschwingtheit dann endgültig dekonstruiert und auf ihren Kern reduziert. Eingeköchelt. Dieses Prinzip setzt sich fort – zwischen nackt und niedlich, zwischen sweetness und deconstruction. In "Fenomenolodi" singt Mari mit Stein ein süßes Duett, das sofort durch das freejazzige KlavierKlimper-PerkussionSchüttel-Intro von "Yellow Flower" kontrastiert wird. Wobei sich die gelbe Blume letztlich auch wieder als dieses Mal jedoch sehr freies GesangsDuett erweist. "Limits" ist dann sogar semi-industriell, zu einer Art maschinellem Rotieren aus Geige und Schlagzeug mit eingestreuten ElektroGitarrenTönen gesellt sich dann aber doch feiner NiedlichkeitsSatzGesang. Am Ende entpuppt sich das alles sogar als Americana-hafter SehnsuchtsSong. Vielfalt rules. 5
Bleiben wir noch kurz in Norwegen: Das TRONDHEIM JAZZ ORKESTER & ESPEN BERG liefert auf "Maetrix" (Odin) ziemlich kantenfreien JazzOrchesterJazz ab, manchmal fast ein bisschen wie Star Treck meets Paul Kuhn. 3
Bevor es endgültig und vollkommen experimentell (und damit für den einen oder anderen vielleicht auch schwer verdaulich) wird, schwenken wir nochmal kurz nach Dland: TAU (ganz wichtig: vormals TAU5!) pendeln sich mit "Chants"(Fun In The Church) endgültig zwischen ArtRock und AmbientJazz (inkl. einer Prise Drum'n'Bass-Gefühl) ein, also zwischen Canterbury-Kneipe und Aphex-Twin-Nebel. Das klingt jetzt abschätziger, als es gemeint ist, denn diese 2LP ist – gerade für eine Quintett, dass knietief im Jazz wurzelt - ziemlich cool. Philip Zoubek (keys), Moritz Baumgärtner (dr), Philipp Gropper (sax), Ludwig Wandinger (electr), Felix Henkelhausen (b) sind hier auf einem sehr guten Trip, ob nun mit oder ohne. Trip. 4
Mit drei mal großer KlavierKunst vom französischen Pianisten MELAINE DALIBERT stimmen wir uns weiter ein. Auf "Eden, Fall" (Ici d’ailleurs/Mind Travels) setzt er zwischen die beiden Titelstücke mit "Jeu de vagues" eine Nummer voller tatsächlich Wellenspiel-haftem Lubomyr-Melnyk-Perlen (natürlich ohne des continuous music-Meisters HochgeschwindigkeitsFließen zu erreichen). Zuvor hören wir "Eden" - eine impressionistische, minimalistische und in feinster Virginia-Astley-Manier dezentest verzerrte KlavierMiniatur über einem sanften droneBrummen, in angenehmer Form übersteuert. Gegen Ende flattern da sogar ein paar Vögel durch die KlangKulissen. Wohingegen "Fall" aus einem mechanistischen Hämmern auf den höchsten Tasten besteht, das in seiner enervierenden Konstanz und gleichzeitigen Brillanz bezaubert. Und wie bei jeder Art von radikalem Minimalismus ist es auch hier die Schönheit der leichten Verschiebung, der intendierten oder auch zufälligen Versetzungen, der Überblendungen und Obertöne, die dieses Stück zu einem wirklichen Erlebnis macht. 4
Kaum vorstellbar, dass der Däne ETIENNE NILLESEN bei seinem gut halbstündigen SoloStück "en"(Sofa) jeden einzelnen Ton einzig und allein mit einer Snare erzeugte. Ohne Elektronik, ohne Effektgeräte oder Verfremdung, ohne SchnickSchnack: nothing but the pure snare. Das klingt zunächst beinahe wie eine zirkular geblasene Klarinette, ein fernes Jaulen, ein leises Schleifen. Spätere Passagen erinnern auch an den Balzruf eines Auerhahns. Auf jeden Fall arbeitet Nillesen viel mit den Resonanzen und Obertönen, die beim Reiben am Fell oder am TrommelKörper entstehen. 4
Auch MICROTUB lieben bekanntlich den klanglichen Minimalismus und wissen zugleich dessen Feinheiten auszuarbeiten. "Thin Peaks" (Thanatosis) lässt uns gut 30 Minuten lang in die eigenwillige Welt der mikrotonalen Tuba (in diesem Fall sogar dreier Tuben) eintauchen. Lang gehaltene und im Sinne der mikrotonalen Stimmung aus der klassischen Oktave "herausgeteilte" Töne fügen sich zu einem betörenden Ganzen. Ich mag das sehr! 5
LUKAS DE CLERCK spielt "The Telescopic Aulos of Atlas" (Ideologic Organ). Ich hatte von diesem antiken griechischen Blasinstrument noch nie gehört und wäre auch darauf reingefallen, wenn mir jemand die langgezogenen Töne als einem ZirkularSax, vielleicht mit ein wenig Effekten moduliert, entstammend verkauft hätte. Vom s(chw)ingenden Schilf an der Brücke "Pont'Etzu" und Nebelhörnern bis zu den Katzen von Medir – mir ist das Ganze aber leider oft zu lautmalerisch und zu wenig abstrakt. Ein ereignisarmer Katzenjammer: was bei drone oder SuperMinimalismus anregend meditativ wirken kann, lässt mich hier vor Langeweile gähnen. 2
LAURENT PERNICE, JACQUES BARBÉRI & DOMINIQUE BEVEN erkunden auf "Nine Tales Of The Winds" (Psychofon) buchstäblich diese. Nämlich neun mal die Eigenschaften exotischster Blasinstrumente, von denen ich die wenigsten vorher kannte und deshalb mal aus dem Info abschreiben muss: "genetically modified saxophone, soprano and tenor rhadongs, alto clarinet, trombone, voices (Barbéri) - hulusi, cromorne, alto clarinet, ocarinas, slide whistles, gralla, launeddas, bass recorder, jew’s harp, voices (Beven) - accordeon, rhombe, live electronic treatments, rythm programmation, additional sounds, mix (Pernice)". Aus alledem entstehen eigenwillige Trötereien, Bläsereien, Piepsereien - sehr schön z.B. die stoische Gelassenheit der "Lost Angels" mit dem darunter liegenden SubBassGrummeln. Schamanismus und industrielle Monotonie - das erinnert zuweilen wirklich an Nurse With Wound; auch in seiner psychedelischen Konsequenz und dem (Achtung! Oxymoron-Alarm!) hippiehaften Minimalismus. 4
Als quasi weltmusikalische Variante hiervon könnte man das betrachten, was die Taiwanesen A MOVING SOUND gemeinsam mit dem Grammy-dekorierten New Yorker Streichquartett ETHEL als "The Wheel of Life" (ARC) anbieten: Semi-schamanistische asiatische Klänge und Schreie treffen auf esoterische healing-chants: eine große schöne Seltsamkeit mit durchaus vorhandenem Interessantheitsfaktor. 4
Zum Ende noch etwas HochKultur: Für's gutbürgerliche Feuilleton ist die LP "Doppelmoppel - Poems by Kurt Schwitters" (Corvo) aber vielleicht doch zu ambitioniert-avanciert. ANNA CLEMENTI & THOMAS STERN haben sich dafür gemeinsam Texte vom OberDada Kurt Schwitters vorgenommen (ich weiß schon, dass Johannes Baader der offizielle Oberdada war, aber wer wird denn kleinlich sein). Das tönende Resultat besteht aus typischer "ich bin ausgebildete Sprecherin"-SprachPerformance, ein wenig OnomatoPoesie und dezenten elektronischen Verschränkungen (zu denen irgendwie auch der ja leider schon vor 20 Jahren verschiedene MS-20-Gott Chrislo Haas posthum beiträgt). Für SchwittersFreunde und SoundPoetryFans ein kleines Fest. 4
Jetzt aber Bayreuth. 2023 war u.a auch unsere Wagner-begeisterte Ex-Kanzlerin Premierengast bei Jay Scheibs Inszenierung des "Parsifal". Die Aufführung stand unter der musikalischen Leitung von Pablo Heras-Casado und erscheint nun als sehr schön gestaltete und mit einem booklet voller Fotos dieser Produktion und die Handlung erläuternden Texten sowie einem separatem LibrettoHeft bestens ausgestattete 4CD-Box bei der Deutschen Grammophon. Auf der Bühne standen mit Derek Welton, Georg Zeppenfeld oder Andreas Schager in der Titelrolle gestandene Sänger und die Kombination des einer historisch-informierten Aufführungspraxis wie auch der zeitgenössischen Musik verpflichteten Dirigenten mit der in meinen Augen bzw. Ohren weltbesten Mezzosopranistin versprach Großartiges. Ich hatte daher gehofft, dass es Elīna Garanča als Kundri schafft, mich für WagnerOpern zu begeistern, denn bisher kam ich – außer vielleicht beim "Fliegenden Holländer" - einfach überhaupt nicht klar mit der (für meinen Geschmack) denn doch etwas übertriebenen Klang- und SinnGewalt des Gesamtkunstwerkers. Ouvertüre und Finale sind von großer quasi-sinfonischer Schönheit, perfekt und seidenweich gespielt; Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele leisten sich keinerlei Fehltritte und selbst kritische WagnerFans waren begeistert (die NZZ schrieb von einem Debüt, "wie es auch das Wagner-Festival nur alle paar Jahrzehnte erlebt"). Aber auch bei diesem – ohne Zweifel musikalisch/handwerklich über jeden solchen erhabenen – "Parsifal" ist leider nichts dabei, das mich wirklich berührt. Liegt ganz klar an mir. Und an Wagner. 4
Ich bleibe also bei launiger BarockMusik oder stimme mich trotz wüstenhafter Außentemperaturen mit Schubert-Liedern langsam auf den Herbst ein. Bestens dazu geeignet ist "Mythos" (Alpha), eine CD mit Aufnahmen von Werken von Franz Schubert und Carl Loewe, gesungen vom großartigen Bariton KONSTANTIN KRIMMEL, AMMIEL BUSHAKEWITZ begleitet am Klavier. "Fahrt zum Hades", "Totengräbers Heimweh", "Erlkönig" – sommerfrisch optimistisch ist anders, aber wie Krimmel/Bushakewitz hier die romantischen Bekümmernisse zwischen "Leidenschaft, Einsamkeit, Nostalgie, Weltschmerz, Flucht, Tod" (Info) buchstäblich selbst durchleben und dabei doch völlig kitschfrei bleiben, das hat wirklich Klasse. 5
In diesem Sinne sagen wir – auch wenn dieses Lied nicht auf vorgenannter CD erklingt - mit Schuberts Winterreise-Wanderer: "Gute Nacht"!

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