ZEITKRATZER - REINHOLD FRIEDL

zeitkratzer productions/Karlrecords

Genau wie eine mir bekannte, sehr nette MusikPromoterin bevorzuge ich mittlerweile beim "privaten" MusikHören zumeist Aufnahmen mit BarockMusik (dreimal ein Kompositum mit "Musik" – das kann man wahrscheinlich auch geschickter ausdrücken!), deshalb finde ich das neueste zeitkratzer-Werk schon allein vom Titel her interessant (aber ist nicht JEDES zeitkratzer-Werk interessant? Wir müssen aufpassen, dass dieser Text nicht in Platitüden erstickt!). Interessant und vielversprechend: zeitkratzer plays Scarlatti. Wie sich herausstellt, widmet sich zeitkratzer-Chef Friedl zwar Domenico Scarlatti (dessen Vater Alessandro mir als Komponist beinahe besser gefällt) und damit sind wir beim SpätBarock, fast schon an der Schwelle zur Klassik, aber erst hören wir uns das Ganze mal unvoreingenommen an. Und stellen fest, dass wir kaum etwas Barockes an und in dieser Musik finden können. Denn es beginnt mit von der fein gewählten Besetzung (Frank Gratkowski - cl, fl, Hild Sofie Tafjord – horn, Maurice de Martin – perc, Burkhard Schlothauer - v, va, Ulrich Phillipp – kb, Martin Heinze – kb, Reinhold Friedl – p) lang gehaltenen tiefen Tönen, die sich 8:10 Minuten lang umkreisen, erkunden, befragen dürfen. Wie an dieser Stelle die Choreografie der Tanzkompanie Rubato, für die "Scarlatti" komponiert wurde, aussieht, wäre sicher sehr sehenswert. Aber es geht schon weiter – nahtlos und doch modifiziert. Das Bläser-lastige "muguet" entfaltet eine beinahe Feldman’sche Stimmung aus Anspannung und Relaxation – und basiert wie alles hier wohl doch auf Material von Scarlattis Klaviersonate f-Moll KV 466. Mit "pissenlit" wird plötzlich laut und brachial, die perkussiven Klänge schwirren keuchend durch die Kanäle, hier und da rauscht, brummt und knistert es semi-industriell. Nach 3:30 Minuten ist dieser Lärm aber vorüber und macht Platz für die schwebende Schönheit der sanft-rabiaten Flöten- und KlavierSchwingungen von "reine des prés", die im anschließenden "violette des marais" eine Horn-geführte Fortsetzung (oder Aufhebung) finden. Das abschließende "aster" wurzelt mit seinem verschleppten und stark gedehnten "Tanz"-Rhythmus noch am ehesten im barocken LebensLustGefühl, kühlt dieses aber auf die Durchschnittstemperatur heutiger Empfindsamkeiten herunter. Meiner digitalen Bemusterung liegt leider nicht das komplette artwork bei (und ich hatte noch keine Zeit, mir bei Karl eine "richtige" LP zu besorgen), aber ich darf mit euch hoffen, dass so schöne Zitate von und über Scarlatti wie diese beiden "since nature has given me ten fingers and my instrument provides employment for all, I see no reason why I should not use all ten of them." und "He knew quite well that he had disregarded all the rules of composition in his piano pieces, but asked whether his deviation from the rules offended the ear? He believes there is almost no other rule than that of not offending the only sense whose object is music - the ear." nicht allein dem Presse-Info vorbehalten bleiben. Großartige und höchst intime Musik, die bei aller Deutung und Verfremdung doch auch sehr zur Erkundung (nicht nur) des Klavierwerks des Domenico Scarlatti einlädt. 5
Weitere Infos: www.zeitkratzer.de

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