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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Herbst ist es. Und damit Zeit für gemütliches Weintrinken und Jazzhören...Stop! Wir wollen hier nicht im Klischee ertrinken, nähern uns aber trotzdem mal über die traditionelle Schiene:
Beim SIMON BELOW QUARTET z.B. bleibt, selbst wenn es wie z.B. bei "Can We Escape?" im Sax mal richtig wild wird, wenigstens die Rhythmusgruppe immer relativ diszipliniert. Auch wenn der 4er sich auf "Encircled"(Traumton) über weite Strecken dem hingibt, was ich (un)gern "GymnasiallehrerJazz" nenne, hat die CD doch ihre bezaubernden Momente, sie ist sowohl beruhigend wie aufregend, alles aber in Maßen. Die abschließende "Homeward Odyssey" z.B. ist ein fein gezeichnetes fragiles Gebilde aus raschelndem Schlagzeug, sanft klimperndem Klavier und BläserZwitschern- und -Tröten. Saxophon (und Querflöte) spielt hier übrigens Fabian Dudek, dem wir erst in unserer letzten Ausgabe zu seiner ebenfalls bei Traumton erschienenen 2CD "Protecting A Picture That’s Fading" gratulieren durften. 4
Auch nett: MAREIKE WIENINGs "Reveal" (Greenleaf). Die Schlagzeugerin leitet ihr Quintett mit ruhiger, aber doch bestimmter Hand. Die Musik ist solide, aber leider ohne wirklich neue Akzente. Flirrendes Schlagzeug, flirrende Gitarre, flirrendes Klavier, flirrendes Sax, flirrender Bass: viel SpielLust, - auch Spaß, aber ohne jeden Widerhaken. 3
Genauso freundlich kommt der Gitarrist SILVAN JORAY auf seiner CD "Updraft" (Ubuntu) ’rüber. Fingerfertige und wie gesagt extrem freundliche GitarrenJazzMusike mit b-dr-Erdung. 3
Ein wenig wagemutiger ist das von Sebastian Gramss geleitete Projekt SLOWFOX 5. Die schenken sich selbst zum 10. Bandgeburtstag einen "Atlas", in dem sie dann auch wild herumblättern. Eben stammt das klug interpretierte Original noch aus den USA (Don Cherry: "Mopti"), dann schon aus Argentinien, Äthiopien (Mulatu Astake, klar), Südafrika (auch wenn "Itshishi Lami" vom Duo Juluka hier beinahe karibisch klingt), Indien, Chile (Victor Jara), Georgien, Südkorea, England, Bulgarien, Polen - überall (die aufgezählten Länder sind nicht mal alle der hier versammelten) finden Slowfox 5 tolle Stücke. Hier eine wunderbar irritierend jammernde Sax(Sub)Groove-Nummer, dort ein verträumtes Gebläse, das aber immer wieder auch fröhlich jubeln darf (und sei es noch so kurz). Oft nachdenklich, immer (er)forschend. 4
Diese Kreuzfahrt reichte dem Kölner Bassisten aber offenkundig nicht, denn mit seiner inzwischen zum 12 Mann (nein, keine Frau dabei) starken "Pocket Orchestra" erweiterten Formation SEBASTIAN GRAMSS’ STATES OF PLAY (in der mit Valentin Garvie (tp, Zink) und Philip Zoubek (p, synth) auch zwei der Slowfoxe spielen) erkundet er nach den frühjährlichen "Meteors" (s. WZ 06/23) nun den Urknall. Der heißt hier (natürlich) "Urschall – Repercussions" (beide rent a dog) und kommt angesicht der Bandgröße verblüffend feingliedrig, beinahe kammermusikalisch ’rüber. So kryptisch wie ihre Bezeichnung (von "0_a" bis "0_e" und "1_a" bis "1_f") sind auch die Stücke selbst. Kryptisch, aber faszinierend. 5
Noch mehr Musiker versammeln sich im ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ, das mit STEVE LEHMAN ein großartiges Album namens "Ex Machina" (ONJ) eingespielt hat. Der US-amerikanische Sax-Meister und die französische Big Band nehmen den Titel ihrer Platte wörtlich und spielen hier nicht nur mit dem Material, sondern auch mit einer Maschine – die vom IRCAM entwickelte KI "IRCAM Amplify" reagiert in Echtzeit auf ihre menschlichen Partner und das führt zu wirklich spannenden (Rechen- und/oder Intensions-)Ergebnissen. 5
Hier eine zauberhafte SaxSchichtung, dort ein sentiment-geladenes Klavier, dann Gläser-klirrendes AusstellungseröffnungsGemurmel oder Mövengeschrei - was Brian Allen Simon aka. ANENON auf der LP "Moons Melt Milk Light" (Tonal Union) zusammenbringt, fasziniert durch eine feine Mischung aus Strenge und Affekt, aus Kopf und Bauch. 4
Womit wir uns beinahe unmerklich den freien Gefilden genähert haben: fröhliches Free-Getröte, erfrischende Ensemble-Teile, muntermachende Aleatorik – die Musik des vom italienischen Kontrabassisten ANTONIO BORGHINI geleiteten Berliner Sextetts BANQUET OF CONSEQUENCES ist ein weiteres schönes Beispiel für die Gesetzmäßigkeit des Zufalls. Die "Lobster promenade" löst einen Slowfox in wohliges Chaos auf, auch eine vergleichsweise "normale", mit etwas mehr uptempo daherkommende "Parade" gerät hin und wieder ins Stolpern, swingt aber trotzdem sehr fein. Vielleicht ist dieses "Banquet of Consequences" sogar geeignet, auch bei Nicht-FreeJazz-Freunden die Hörgewohnheiten und Erwartungshaltungen zu re-justieren. 4
Das "Empty Smile" (beide We Insist!) des ebenfalls italienischen Cellisten LUCA TILLI beginnt im "Right Chair" mit wildem Saitenkratzen, im "Wrong Chair" wird später dann mehr gezupft als gestrichen. Die SoloCelloKunst kulminiert in der 8-teiligen titelgebenden Suite, leider ohne dass mich das Ganze einmal wirklich gepackt hätte. 2
ANDREA BURELLI lebt in Berlin, stammt aber (natürlich) aus Italien. Gemeinsam mit Mari Sawada (v) und Sophie Notte (clo) vom "Solistenensemble Kaleidoskop" beschreibt er die "Sonic Mystics for Poems (of Life and Death of a Phoenix)". Die im Selbstverlag produzierte LP/CD enthält semi-polyphone, irgendwo zwischen Mittelalter-Kirche, (nord)osteuropäischer Folklore (ja, die Beziehungen mögen auch bis nach Korsika oder das Languedoc reichen) und (nicht allzu) avancierter Kammermusik zu verortende Gesangsstücke mit dezenter StreicherBegleitung und noch dezenteren SynthBeigaben. 3
Und nochmal Musik aus bella i...ihr wisst schon: TELLKUJIRA (eigentlich soll man den Bandnamen ja bis auf das "K" klein schreiben. Vielleicht, weil "Kujira" das japanische Wort für "Wal" ist und man dem etwas mitzuteilen hat?) ist ein "avant-garde quartet", das auf seinem "s/t"-Album (Superpang) mit Bratsche, Cello, 2 Gitarren und reichlich FX eine eigenartig faszinierende Form von experimentell-meditativer AvantKammermusik inszeniert. Der Entwicklungsprozess ihrer Musik kulminiert in der Nutzung von "Fragmentarium, a tool for gathering and rearranging pieces based on an instruction code that generates an unlimited palette of possibilities." Liest sich so abgefahren wie theorielastig, ist klanglich aber sehr packend. Mit intelligenter Dynamik, schlauem Spannungsaufbau und etlichen Überhängen in Richtung Noise, Impro und FreeJazz – entdeckungswürdig! 4
Der norwegische Saxophonist ANDRÉ ROLIGHETEN polierte lange an seinen "Marbles" (Odin), ohne den klingenden MarmorMurmeln ihre wilde Schönheit zu nehmen. Im "Sonny River" schwingt das Sax angenehm frei und doch melodiös, "Ariel’s Song" bezaubert mit seiner schönen Vibraphon-Untermalung und im "Whale Waltz" brilliert das flatternde Schlagzeug wieder gemeinsam mit dem Vibraphon, sogar eine pedal-steel-Gitarre jammert im Hintergrund - im "Lagoon Mist" klingt das Instrument dann fast wie eine Singende Säge. Der folgende Pyramidentanz gerät zum Mambo und "Twin Bliss" ist mit seiner dominanten E-Gitarre wieder energischer. Viel schöne und freie Abwechslung hier! 5
Rolighetens Landsmann TROND KALLEVÅG spielt auch gern auf einer pedal-steel. "Amerikabåten" (Hubro) beginnt recht folkloristisch mit reichlich Hardanger-Fidel, bis dann in "Fargo" tiefenentspanntes Sliden übernimmt. Bei "Høvding" schleicht sich sogar ein leicht wippender Reggae-Rhythmus zwischen Fidel, Akkordeon und Harmonium. Auch in "Quebec" heult die pedal-steel countryesk – vorher gab’s noch einige Ausflüge auf die Akustische. Alles in allem ist "Amerikabåten" aber doch vielleicht etwas zu brav (insbesondere für das hochkarätige Portfolio vom Hubro-Uhu) - das mit einem unruhige(re)n Schlagzeug unterlegte "Enveisbillett" weist da vielleicht einen Ausweg. 3
Wir entspannen uns aber weiter, mit dem fast einstündigen "Kalypso Hypnos Drone" (Thanatosis) von ANGLES & ELLE-KARI WITH STRINGS aber in eher experimenteller Form. Die schwedische Band Angles tat sich dafür nicht nur mit der Sängerin Elle-Kari Sander zusammen, sondern auch mit einem Streichquartett. Dazu kommen und gehen etliche Bläser (darunter auch der von mir sehr geschätzte Saxophonist Martin Küchen, von dem auch die kompositorischen Vorgaben stammen), Karis Stimmbänder vibrieren – alles das mal mehr, mal weniger hör- und identifizierbar. Die meditative Grundstimmung des BasisDrones wird dabei nie aufgegeben: "Perhaps, one could think of Pulp Fiction meeting Henry Purcell, or Carla Bley meeting Beth Gibbons." heißt es ganz treffend im Info. 4
Bei "Beauties" (Neither/Nor) treffen zwei – zumindest in interessierten Kreisen – wohlbekannte Duos aufeinander, nämlich BEAM SPLITTER auf EIVIND LØNNING & ESPEN REINERTSEN, also die ElektroNoiseStimmKünstlerin Audrey Chen und der gleichermaßen avancierte PosaunenElektroniker Henrik Munkeby Nørstebø auf die Trompete bzw. das Tenorsax der beiden genauso schaltkreisverrückten Norweger. Herausgekommen sind zwei jeweils knapp 20 Minuten lange Stücke Schnalzen-Röcheln-Sirren-Pusten-Summen-Raunen-Kunst vom Feinsten. 5
Die Wien-Berlin-Konnektion POLWECHSEL steht seit Jahren für hochwertig neutönende Improvisations-/EchtzeitMusik. Die Vinyl-Box "Embrace" (Ni Vu Ni Connu) enthält 4 LPs, für die sich Werner Dafeldecker, Michael Moser, Martin Brandlmayr und Burkhard Beins z.T. auch Gäste einluden: für LP1 John Butcher und Magda Mayas und für die A-Seite von LP3 Andrea Neumann. Der Rest des einem akustischen, präparierten und auch elektronischen InstrumentenPark entlockten konzentrierten Avant-Klapperns, -Tuten und -Pfeifens ist original Polwechsel. Was sich eben vielleicht etwas despektierlich las, hört sich auf Vinyl jedoch höchst spannend an. Insbesondere die klirrend-knisternde Neumann-Kollaboration "Magnetron" und die Beins-Stücke "Quarz" und "Obsidian" auf "Embrace 3" beeindrucken sehr – vor allem die schabende Schärfe und das dunkle Klopfen und Zwitschern des "Obsidian"s. Sehr spannend auch das/die von Peter Ablinger konzipierte(n) "Orakelstücke" auf LP4. Hier geschieht zwischen bedeutungsvollen Triangelschlägen und verzweifelten CelloStrichen tatsächlich murmelnd Orakelhaftes. Ganz zum Schluss versinkt dann in düsterster Grundstimmung ein gestrichener drone - "Aquin". 5
Auch REINHOLD FRIEDL & KASPER T. TOEPLITZ frönen dem drone. Auf "La fin des terres" (zeitkratzer production) entwickeln sie allein mit (präpariertem) Klavier und (elektronisch nachbehandeltem) E-Bass zwei grandiose, je etwa eine Stunde lange KlangVersenkungen aus An- und Abschwellen, aus Laut und Leise, ausKraft und Gelassenheit . 5
Und genau damit, mit Kraft und Gelassenheit und einem feinen drone(n) entlassen wir euch in die herbstliche Dunkelheit...

Fear No Jazz
›› V.A. ›› ERLEND APNESETH TRIO & MAJA S. K. RATKJE ›› LEA DESANDRE & THOMAS DUNFORD ›› V.A. ›› DDK TRIO ›› ZEITKRATZER - REINHOLD FRIEDL ›› JAZZJANZKURZ ›› HÉLÈNE GRIMAUD ›› FRODE HALTLI ›› MATTHEW HALSALL ›› SIMON BERZ / KONDO TOSHINORI / BILL LASWELL ›› FLOCKS ›› GEORGE ›› ALVIN LUCIER ›› JAZZJANZKURZ ›› DUO STIEHLER/LUCACIU ›› WIM MERTENS ›› FREDRIK RASTEN ›› FRANCESCO ARONI VIGONE ›› JAZZJANZKURZ ›› ANNA PROHASKA/PATRICIA KOPATCHINSKAJA/CAMERATA BERN ›› JAZZJANZKURZ ›› KJELL BJØAGEENGEN & CHRIS COGBURN ›› ENSEMBLE 0 ›› JAZZJANZKURZ ›› INGAR ZACH ›› TAJ MAHAL ›› RICKIE LEE JONES ›› EYDÍS EVENSEN ›› FIRE! ORCHESTRA ›› RAPHAELA GROMES ›› JAZZJANZKURZ ›› VALENTIN SILVESTROV / HELENE GRIMAUD / KONSTANTIN KRIMMEL


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