Usura
Die Zeiten, in denen Wim Mertens kleine Sinfonien für Flippermaschinen ("For Amusement Only" 1982) oder ausgedehnte Studien für diverse Soloinstrumente ("Aren Lezen" 2001) schrieb, scheinen vorbei zu sein. Denn bei den letzten Veröffentlichungen des produktiven Flamen lag der Schwerpunkt meist auf Ensemblestücken. So auch bei diesem, einem bereits im Herbst 2014 in der Sint-Maartens Kathedrale in Ypern uraufgeführtem und sich einem eher düsteren Thema widmenden Orchesterzyklus. "Voice Of The Living" entstand nämlich im Auftrag des Belgischen Premierministers für die Gedenkfeiern zur 100. Wiederkehr des Ausbruchs des 1. Weltkriegs und ist den Bürgern Yperns gewidmet (die Stadt wird wohl nicht nur von mir noch heute mit den Schrecken des "modernen" Gaskriegs assoziiert). Mertens-Kenner erwartet wenig Überraschendes, das aber einmal mehr in höchster Vollendung. Und auch Neulinge werden sich an den grandios gesetzten Bläser-, Streicher- und Klavierlinien erfreuen. An den zarten Melodien, mal voller perlender Euphorie, mal dunkel-melancholisch. An Mertens auch im Alter (der Mann feierte im Mai seinen 70.!) noch immer kräftigem und ausdrucksstarken FantasieSprachenFalsettGesang, der sich in den meisten der 10 Stücke über die Instrumentalisten erhebt. Und an den klugen, der musikalischen Aussage eine weitere Ebene hinzufügenden Titeln der einzelnen Abschnitte auch. Vom Minimalismus kommend hat sich Mertens schon vor vielen Jahren in Richtung einer sowohl modernen wie auch für eher Theorie-ferne Hörer konsumablen Form von Neuer Orchestermusik bewegt, in der er eine ebenso charakteristische wie einmalige, sich von sentimentalem Kitsch und experimenteller Selbstgefälligkeit gleichermaßen fernhaltende Ausdrucksform gefunden hat. Eine Ausdrucksform, die Mertens hier zu einem weiteren Höhepunkt führt, denn "Voice Of The Living" ist nicht einfach nur eine starke Platte, sondern vielleicht – und das herauszuheben fällt mir als bekennendem Mertens-Fan durchaus schwer – sogar seine Beste aus den letzten 10 Jahren. 5Weitere Infos: www.wimmertens.be
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