interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

JAZZJANZKURZ

V.A.

_

Sommer. Nach der Hitze des Tages auf dem Balkon sitzen, kühlen Weißwein schlürfen und entspanntem Jazz lauschen – klingt doch nicht übel, oder? Auflegen könnte man z.B. die neue CD vom TINGVALL TRIO. Da zwitschern "Birds" (Skip) aus Martin Tingvalls gefühlvoll angeschlagenen Klavier, denen Omar Rodriguez Calvo (b) und Jürgen Spiegel (dr) einen feinen (Start- und Lande)Untergrund bereiten. Diese Besetzung spielt jetzt seit 20 Jahren zusammen, in der heutigen JazzWelt eine seltene Ewigkeit. Die Musik ist im besten Sinne "gefällig", schiebt zwischen die zarten Klaviermotive ("Africa" hat z.B. so eine Ohrwurm-Linie. Und ein feines Zupf-Bass-Solo.) aber immer wieder auch improvisierte Ausflüge. Der Bass kommt gern mal gestrichen und klingt dann an manchen Stellen fast wie eine Bratsche oder ein Cello. Und mit "S.O.S." wollen Tingvall-Calvo-Spiegel tatsächlich einen Notruf absetzen: die Vogelwelt ist (wie der ganze Planet) ernstlich bedroht. Wenn der Hilfeschrei so liebevoll verpackt wird - vielleicht hören ihn die Leute dann? 4
Auch in höchstem Maße SommerAbendBalkonWein-kompatibel sind die Solo-Gitarren-Stücke des jungen (Jg. 89) in Dresden lebenden Tschechen LADISLAV PAZDERA. "Chiaroscuro" (unit) bezieht sich natürlich auf das Hell-Dunkel-LichtSpiel in der Malerei, das Rembrandt zur Perfektion geführt hat, lässt mich aber sofort auch an "Chiaretto" denken, womit wir gleich nochmal den Bogen zum BalkonWein geschlagen hätten. Sensible, atmosphärische (und natürlich im Vergleich zu manchem, das wir hier sonst (heute etwas weiter hinten) behandeln, sehr konventionelle) AkustikGitarren-Etuden, die mit unterschiedlichen Instrumenten, darunter eine sehens-(Bookletfoto!) und hörenswerte doppelhälsige "bağlama"-Gitarre (die dann eigentlich ein Zwitter aus Laute und Gitarre ist), ebenso fein eingespielt wie technisch brillant aufgenommen wurden. Bei drei Stücken wird Pazdera von seinem Mentor Reentko Dirks (bekannt von Maasa oder dem schönen "Istanbul 1900" - s.WZ 10/21) begleitet und bei "A Girl From Istanbul" spielt und singt seine InstrumentenKollegin Claire Besson mit ihm. Hier und da hat das Ganze einen (wohl unvermeidlichen) "Spanien"-Touch, aber dass Pazdera sich sehr für die Musik der Levante interessiert, hört man ebenfalls. Interessant! 4
Wenn neben den Brüdern CORNELIUS CLAUDIO KREUSCH (p) und JOHANNES TONIO KREUSCH (git) auch AvantBassist ANTHONY COX im "Hotel Casablanca"(GLM) eincheckt, kommt es zu einer spannenden Session. Da wird in "Dirt" die Gitarre tatsächlich mal (etwas) schmutzig(er), die PianoWürfe reagieren entsprechend aufgeregt, nur um im folgenden "Brain" wieder versöhnlicher zu werden (wobei hier das Klavier gerade in seinen Tiefen Lagen schon noch etwas bedrohlich wirkt). Bass gestrichen, Bass gezupft, Bass geschlagen – hier wird von allen Beteiligten Virtuosität und Kreativität demonstriert. Vor einiger Zeit haben die drei mit "Gestalt" ja schon mal ein sehr hörenswertes Album vorgelegt, das hier ist mindestens genauso gut! 4
Mit MAGNUS SKAVHAUG NERGAARD LP "Hibernacle" (Motvind) wird’s experimenteller, der opener "Antenna" knirscht und brummt, irgendwo schlägt jemand ein Instrument. Nergaard ist gelernter Bassist, aber eben auch Norweger und als solcher wahrscheinlich schon seit Kindertagen Experiment-affin. Neben einem kaputten (analogen) X-911 GitarrenSynth von KORG bedient er hier eine Akustikgitarre, die Geige seines Opas, eine 70er-Jahre-drummachine (auch analog, logisch. Für nerds: Roland CR-68) und einen SP-404-Sampler; einige seiner Freunde trommeln und perkussionieren bei einigen Stücken. Das zischt, quietscht und heult atonal, hat aber auch wunderbar besinnliche Momente, die dann wieder durch trötenden SinusKrach gestört werden. Mein Kind sagte "schizophren" dazu, was – positiv gewendet – durchaus passt. Kleinteilig, zerrissen und doch sehr wohl gefügt. 4
In Norwegen können wir noch eine Weile bleiben (meinethalben für immer!): Das (wie der Informator der tödlichen Doris) siebenköpfige LIV ANDREA HAUGE ENSEMBLE begleitet seine Klavier spielende und mit sanfter Stimme singende Chefin auf "Hva nå, Ekko?" (Odin). Tja, Ekko – was jetzt? Jetzt spielen 4 Frauen und 3 Männer frei auf. Mal ganz behutsam, mal herrlich brachial – die beiden Teile von "Follow" sind ein gutes Beispiel. Trompete und Sax hauchen hier und brüllen dort, genau wie Bass, Schlagzeug und (hier und da) Synth. (Bis zu) Dreistimmiger Gesang und Melodien in klassischer Schönheit. Oder in wilder Entrücktheit. 4
Nach Schweden ist es nicht weit und MARTIN KÜCHEN schätze ich spätestens seit "Lieber Heiland, lass uns sterben" von 2017 sehr. Trotzdem fällt mir der Zugang zum LichtTunnel bzw. zu dessen entsprechender Umgehung etwas schwer. Für "Detour Tunnels of Light" hat Küchen gemeinsam mit der französischen Pianistin SOPHIE AGNEL aus einer sehr ruhigen Grundhaltung heraus vier Stücke von jeweils knapp 9 Minuten entwickelt. Zart, aber auch sehr zerrissen, tupft Agnel ihre Tasten zwischen kleinteiligem Geräusch und dem den GesamtSound prägenden verwaschenem Sax-Röcheln oder -Pfeifen. 3
Gleiches Label, andere Herkunft; ähnlicher Ansatz, andere Umsetzung – das gilt, wenn der Katalane VASCO TRILLA "A Constellation Of Anomaly" (beide Thanatosis) untersucht. Aus großer Ruhe, in der bekanntlich die Kraft liegt, zaubert Trilla mit Glocken, Becken, Snares, Kesselpauken ("a timpani full of wind-up music boxes and spiced up by a transducer speaker"), iranischen Rahmentrommeln, Triangeln und was weiß ich nicht alles noch für PerkussionsMitteln eine wahre SchlagwerkSinfonie. Sogar auf eine alte Zither haut der Mann hier ein, als wäre sie eine Trommel. Das wird auch mal (z.B. in der "polyphony of self worlds") lauter, beinahe wie ein perc-drone (oder wie ein indonesisches Gamelan-Orchester in seiner Ekstase-Phase), aber Abwechslung erfreut ja (variatio delectat - noch so eine Binsenweisheit). "ignis fatuus" – fürwahr! 4
Erholen ist vielleicht das falsche Wort, denn die freien Improvisationen für Klarinette und Bass (sowie "a little speech" und "a bit of voice"), die BARRE PHILLIPS und GIANCARLO NINO LOCATELLI auf "Danze degli scorpioni" (We Insist!) präsentieren, wirken durchaus manchmal, als hätte ein Skorpion zugebissen. Aber dennoch lässt sich aus dieser dichten Musik auch Kraft schöpfen. Ich zitiere mal aus dem Info: "Dark moon music. If you are interested in the moon. Music concentrated in the process of discovering music, taking any risk. Extreme. How extreme is the exploration of one’s instruments, body, memories and stories. Vibrant, fast but at the same time calm music; slow. In search of the sound. Of movement that becomes sound. Of sound that becomes voice. That becomes movement. We dedicate this music to Coleman Hawkins, master improviser." Yep. 4
Schon der Projektname ORQUESTA DEL TIEMPO PERDIDO ist ja herrlich strange und das klingende Resultat auf "Sepk" (Shhpuma) auch. Wie zerbrochene Volksmusik aus einem Land weit vor (oder hinter oder parallel zu) unserer Zeit wirkt das alles schön frakturiert und zersplittert. Aber auch nebelig, denn Klarheit gibt es bei der vom niederländischen Gitarristen JEROEN KIMMAN angeführten Kapelle keine (was in diesem Fall aber sehr schön ist). Zehn (manchmal auch elf) Musiker, die Gitarren-dominiert StrandSounds zerpflücken und neu zusammensetzen. Mal zerblasen sie FrühNebel in Hawai ("Koesko" oder "Ritorno in ritardo" z.B.), mal lassen sie eine Marching Band untergehen ("Bouncy walls") – nicht schlecht. 4
Auch TONY BUCK macht es uns mit seinen "Environmental Studies" (Room40) nicht leicht. Ist der USB-Stick (andere Formate scheinen nicht verfügbar zu sein) eingestöpselt, kann man sich mit zwei "Excerpt"en vorbereiten auf 1:50:30 Stunden cluster-igen StrukturKrach aus Perkussion, Gitarre und electronics. Manchmal geht’s einfach nicht kürzer. 4
MIKI YUI hingegen braucht auf "Strömen" (Line) nur eine knappe halbe Stunde, um uns mit wundervollen SinusTönen zu verwöhnen. Inspiriert von den akustischen Eindrücken einer Reise in den brasilianischen Amazonas-Regenwald entlockt sie im Versuch, die dortigen Stimmungen nachzubilden ihrem Modularsystem Anordnungen von maschineller Anmut. Sanft an- und abschwellend und über das Ganze gesehen doch stets so etwas wie eine Melodie bildend, verzaubert hier die Schönheit der stillen Schlichtheit. 5

Fear No Jazz
›› WIM MERTENS ›› FREDRIK RASTEN ›› FRANCESCO ARONI VIGONE ›› ANNA PROHASKA/PATRICIA KOPATCHINSKAJA/CAMERATA BERN ›› JAZZJANZKURZ ›› KJELL BJØAGEENGEN & CHRIS COGBURN ›› ENSEMBLE 0 ›› JAZZJANZKURZ ›› INGAR ZACH ›› TAJ MAHAL ›› RICKIE LEE JONES ›› EYDÍS EVENSEN ›› FIRE! ORCHESTRA ›› RAPHAELA GROMES ›› JAZZJANZKURZ ›› VALENTIN SILVESTROV / HELENE GRIMAUD / KONSTANTIN KRIMMEL ›› SAM GENDEL ›› JAZZJANZKURZ ›› THE NECKS ›› DOBRAWA CZOCHER ›› ME AND MY FRIENDS ›› SUNSWEPT SUNDAY ›› LE MILLIPEDE ›› JAZZJANZKURZ ›› LEA DESANDRE / IESTYN DAVIES / ENSEMBLE JUPITER (THOMAS DUNFORD) ›› LAUTTEN COMPAGNEY BERLIN & WOLFGANG KATSCHNER ›› JEFF PARKER ›› JAZZJANZKURZ ›› ULRIKE HAAGE ›› JAZZJANZKURZ ›› MAKAYA MCCRAVEN ›› JAZZJANZKURZ ›› GYÖRGY KURTÁG


Konserven
Olymp
Electronik
Fear No Jazz
Floorfashion
Hard & Heavy
Hip Hop
Reggae/Dub
Rock & Pop
Punk/Hardcore
Singer/Songwriter
Talentamt
Worldmusic