(Nonesuch Records / Warner)
Laurie Anderson ist eine der wenigen Personen, bei der ich die Titulierung als "lebende Legende" für akzeptabel halte. Sie ist musikalisch durch und durch eine traditionsbewusste Avantgardistin, zugleich eine unverwechselbare Individualistin, kongeniale Geschichtenerzählerin und Präsentatorin ihrer Kunst. Was gleichermaßen für ihr musikalisches Œuvre wie für ihre Arbeiten in Sachen Film oder Performance gilt. Auch steht ihr Name für dezidiert weibliche Kreativität und Innovationskraft mit sanfter Selbstverständlichkeit und fundiertem Selbstbewusstsein. Darin ähnelt sie wiederum Amelia Earhart, der Heldin ihres aktuellen Albums (wobei sie sich mit dieser Frau schon seit Jahren beschäftigt, erste Live-Performances dazu gab es schon anno 2000). Earhart war die erste Atlantiküberquererin im Flugzeug. Zunächst (1928) als Passagierin, etwas später (1932) im Alleinflug. Nach Pazifiküberquerungen ging sie 1937 das Projekt "Erdumrundung am Äquator" an. "It was the sound of the motor I remember the most" – diese Worte (im "klassischen" Anderson-Duktus dahingeraunt) sind die ersten, die sich aus düsterem SynthStöhnen, resoluten Geigenstrichen und Motorengeräuschen schälen. Dann erklärt Anderson Amelias Plan: "Take-off. May 20th 1937. Oakland/California. The idea: to fly from California back to California. To circle the world. From East to West. And to become the first woman to circumnavigate the earth." Sie wäre sogar der erste Mensch überhaupt gewesen, dem ein solcher Flug gelungen wäre. Nach einem missglückten ersten Versuch passte sie die Idee nochmal den Wetterbedingungen an: Der Flug begann in Miami und ging dann über Brasilien, Afrika und Indien nach Indonesien. Am 2. Juli 1937 startete sie in Neuguinea zur letzten Etappe über den Pazifik – und verschwand mit ihrem Navigator Fred Noonan in den WasserWeiten. Wie Anderson die dokumentierten Reflexionen der Pilotin (oder ihre Ideen darüber, was Amelia durch den Kopf gegangen sein könnte) in Musik übersetzt, wie sie "the shadow of my plane on the water" (San Juan) zu Klang werden lässt, ist schlicht beeindruckend: die klagende und jaulende Elektronik und die in AuskennerKreisen weltberühmte Trademark-ZauberGeige, der hochartifizielle und doch beiläufig-lakonische SingSang, die zauberhaften, mal rauen, mal sehr zugänglichen Streicherarrangements und die orchestralen Kleinigkeiten. In "India" singt sie mit ihrer wohlvertrauten VocoderStimme und das dramatische Ende der Reise wird in "Radio" mit opulenter OrchesterArbeit beschrieben. Zuvor wurden auch Mitschnitte aus Earhardt-Interviews eingebaut und sogar organisatorische Details verarbeitet: "We carry a letter. To whom it may concern. Just in case the engines fail and we fall into the Arabian desert. I possess a letter, which I myself cannot read. It is addressed Arab tribesmen and it explains, how and why a woman pilot might drop down from the sky unto their land. And it explains what to do when she did drop down. And who to call." dazu schraubt sich die Violine in so große Höhen wie vermutlich Amelias Lockheed (darunter ein "ozeanisches" Bett aus anderen, rhythmisierten StreicherKlängen und Elektronischem) – man muss das wohl selbst hören, um die ganze Größe und Schönheit nachzuvollziehen. Die Orchesterparts stammen von der Filharmonie Brno und Marc Ribot ist ebenso dabei wie Anohni, die StreicherStars Rob Moose, Martha Mooke, Gabriel Cabezas und Nadia Sirota oder Bassist Tony Scherr. Den "Vorwurf", das Album wäre "musikalisch sperrig" kann ich übrigens an keiner Stelle nachvollziehen (es sei denn, die bisherigen Erfahrungen des Konsumenten beschränkten sich auf FormatPop). Ganz im Gegenteil: "I See Something Shining"! 6Weitere Infos: www.laurieanderson.com
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