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Wenn es den ganzen Sommer sowieso nur (stark)regnet, kann man sich auch in einem wohlverdunkelten Zimmer einschließen und ANDREA DE WITTs "s/t"-DL (Undogmatisch) abspielen. In (s)einer technoiden Versuchsanordnung schickt der Italiener, den wir v.a. durch seine Beiträge zur grandiosen "Magnum Opus Collectio Series" (s. WZ 05/23) schätzen gelernt haben – gezerrte Samples und knarzende loops durch seine Filter. Bei "JUN 4" (alle Stücke tragen das Datum ihrer skizzenhaften Entstehung im Titel) ist es z.B. ein herrlich fieses SubBassBumsen, das dem Ambient aus Schaben, Kratzen und Zirpen Struktur verleiht. Man kann das Wohlvertraute eben doch immer wieder neu und anders arrangieren. Eine ruhige, warm rhythmisierte, dennoch aufwühlende Arbeit – "früher" nannte man das armchair techno. Dass der Mann vor Jahren beim Technophonic Chamber Orchestra spielte, fügt sich recht genau ins klingende Bild. 5Dazu passt eine re-issue, denn tatsächlich ist "optimal.lp" (Keplar) von SHUTTLE358 sage und schreibe 25 Jahre alt. Es war nämlich 1999, als Dan Abrams dieses WunderWerk auf Taylor Deuprees großartigem 12k-Label veröffentlichte. Damals habe ich das aber gar nicht bemerkt, obwohl ich (schon) seinerzeit diesen verwaschenen ElektroSound sehr mochte: das Paradebeispiel "slowly in ..." klingt wie ein schlecht eingestellter Radiosender. Verrauscht, aber doch erkennbar. Genau wie die folgenden, spektakulär verhallten KnirschKnackKlänge von "next" und "gone" und das wundervoll durch die Kanäle flackernde Knarzen am Ende von "floops". Oder die von zartem RaschelKnistern gegliederten AmbientWolken von "tank". Und ganz egal, ob man sich in den 5 Viertelstunden, die "optimal.lp" spielt, einfach nur an die Störungen gewohnt hat oder ob die Stücke gegen Ende hin wirklich weicher werden ("zet" ist nachgerade verträumt!) – grandiose ruhige und doch sehr kluge Musik ist das auf jeden Fall. 5
Mit "Seth"(a-Musik) von Melani Wratil aka. TITANOBOA dürfen wir (zum Glück) noch eine kurze Weile bei zer-, ge- oder auch verstörter KrachMusik bleiben. Nach dem dark-ambienten opener "Metallurg" geht es pumpend, hämmernd, stampfend ins "6.OG". Es regiert blanke Hysterie: "5. Stock! - Ich! – Ich! - 6. Stock! - Ich! - 5. Stock! - Ich muss es wissen! - Aber ich hab doch keine Zeit!" Gesunder Lärm, der sich bei "Maman Birgit" über ein hintergründiges kinderliedhaftes Summen schiebt, bevor man schließlich im "Straumur" lustvoll zwischen den NoiseSteinen zermahlen wird. "LSD is hopscotch compared to that." steht im Info. Es bleibt ein Schrei: "Schatz, ich lieb' dich doch!" - und Schluss! Sehr schön! 5
Einen (gefühlten) Höhepunkte erlebte solcherlei Zerrissenheit schon mal Anfang der 80er, insbesondere in WestBerlin. Damals dilletierten(!) Genies wie Einstürzende Neubauten, P1/E, DIN A Testbild oder das Mekanik Destrüktiw Komandöh (wenn ihr irgendwo einen Verweis zu Mech(!)anik Destrüktiw Komandöh lest, wisst ihr, dass der Autor den Fehler unbemerkt aus den Info übernommen hat) herum, auch Kiddy Citnys SPRUNG AUS DEN WOLKEN gehörten schon früh zu diesem Umfeld (inkl. diverser personeller Überschneidungen zu den eingangs genannten Projekten – soooo viele Leute waren das seinerzeit eben auch nicht, die was zustande brachten). Zu erhöhter Bekanntheit gelangte die Band, als Wim Wenders ihr Stück "Pas Attendre" in seinen JahrhundertFilm "Der Himmel über Berlin" einbaute, ihre Mischung aus experimenteller Lyrik, metallischen Sounds, verdrehten Gitarren, kaputten Synths und DrumMachineZischen blieb aber doch ein wenig unter dem Radar. "1981 – West-Berlin"(Bureau B) versammelt frühe Aufnahmen (die Überschneidungen zum 2004er-VOD-release "Early Recordings" sind zum Glück nicht allzu groß) von roher Kraft, aber eben auch begrenzter SoundQualität. Was an den verfügbaren Produktionsmitteln gelegen haben dürfte – dafür ist aber das Wenige sehr fordernd ein- und umgesetzt. "Gegen den Strom - in der Masse ist keiner mein Freund". Ein (Zeit)typisches Rezept: knappe, Parolen-(oder Mantra-)hafte Texte - gern geflüstert, gehaucht oder gemurmelt – werden trotz limitierter musikalischer Mittel zu purer Energie. 4
Anders transportieren die Kanadier von SUMAC ihre Affekte. "The Healer" (Thrill Jockey) besteht aus vier zähen Klumpen hochverzerrten GitarrenFeedbacks – hier wird Metal als AvantgardeDrone oder PostRock gedacht. Sunn O))) ist da nicht weit weg und dass Aaron Turner früher bei Isis Saiten und Stimmbänder malträtierte, auch kein Zufall. Growls rollen durch das wild zertrommelte KlangFeld aus zu Magma geschmolzenen Gitarren – in 2 mal 13 und 2 mal 25 Minuten entfesseln Sumac eine gewaltige dunkle Kraft aus Lärm! 5
Zack, jemand hat den Sender gewechselt – jetzt regieren plötzlich liebliche SangesStimmen:
Dass Masha Qrella (mit Mina und Contriva eine feste Größe in Berlins spät-90er-WohnzimmerSzene, inzwischen als SoloMusikerin beinahe berühmt und für ihre "Woanders"-Platte mit Thomas Brasch-Texten nicht genug zu loben) und Julia "Komëit" Kliemann was zusammen machen wollen, geisterte als Gerücht schon vor 10 Jahren durch die Hauptstadt. Egal, warum es nun so lange dauerte – Hauptsache, wir können endlich "In The Company Of No One" (Fun In The Church/Edition Dur/Dussmann) sein. So nennen die beiden ihre gemeinsame Platte, das Projekt heißt HALO. Eine bewegte Rhythmik, eine wohlig-warme und doch irgendwie auch artifizielle Atmosphäre aus ElektronikBausteinen und Gitarren, zwei flauschige Stimmen. Da ist auch ein Vogelzwitschern wie das in "Codeine" alles andere als fehl am Platz. "I'm waiting to hear an explanation." Nö, ich brauch hier keine Erklärung, das ist einfach nur wundervolle Musik – probiert doch z.B. mal "Sunshine And Roses". Ein so simpler wie geschickter beat, zarte Gitarren, ein wenig Synth in der bridge, ein MelodieBass (Hal(l)o New Order!) und zwei Frauen, die einfach schön singen können und dabei obendrein auch etwas zu sagen haben. LaptopIndiePop vom Feinsten. 5
Wie CASSANDRA JENKINS schon in "Devotion", dem opener ihrer neuen CD "My Light, My Destroyer" (Dead Oceans) zu einer dunkel hingehauchten MelanchoMelodie und filigranen Streichern einen wunderbaren Bläsersatz montiert, machte mich sehr neugierig auf diese Platte. Und wenn ein Stück wie bei "Shatner's Theme" als zart gepfiffene Melodie in einem VogelzwitscherFieldrecording-Dings endet, auch. Denn neben griffigem FemaleAmericanaIndiePop zieren auch einige hochinteressante Interludes diese Scheibe, das eben war nur das erste, später fragt Jenkins lieber nochmal nach: "Music??" - und wir sagen "Ja bitte!". 5
Und dann ist da die helle und doch wunderwarme Stimme von KITTY SOLARIS. Die Berlinerin stellt sich auf "James Bond"(Solaris Empire) in einem von fein-kleinen Gitarren mal semi-akustisch, mal zart-elektrisch illustrierten SoundSetting die Frage(n): "Who is James Bond?" oder eben "Where is James Bond?". Klanglich ändert sich über die Spielzeit wenig, die Songs bleiben Variationen auf ein – wenn auch sehr schönes – ÜberThema. Verwaschen und Dreampop-ig (nach)hallend gibt es hier eigentlich gar keinen Grund "to burn all bridges down." Fein gestrickte und auch klug gemachte Popmusik, die – wie leider zu vermuten ist – trotz Radioeins-Rotation doch im Zuviel des weniger Guten untergehen wird. Wobei - Kitty weiß es ja: "We're on a peace train." Aber: wo und wer ist 007 denn nun? 4
Unbedingt geistes- und klangverwandt ist "A Soft Seduction Daily" (Trikont), das zweite Album von MALVA. Eine jugendliche und doch auf seltsame Weise erfahren wirkende Stimme, die mal zu einem schunkelnden CountrySound, mal zu straightem IndiePop ("You came along") mit zwischen Gelassenheit und Langeweile pendelnder Attitüde poetische Dichtigkeiten verkündet. Stellenweise erinnert Malva stimmlich ein wenig an Inga Humpe ("Glück aufs Haus"), andere Stücke zerren sogar an RockSounds herum ("Electric"). Bei Trikont ist man – ganz zu recht – ein wenig verliebt in Malva, auch wenn ihr Sound nicht wirklich typisch für das LabelProfil ist. 4
Aus dem gleichen Haus kommt – den rapide sinkenden Verkaufszahlen physischer Tonträger mit dem trotzigen Mut zu einer quietschegelben Doppel-VinylScheibe begegnend – neue ATTWENGER-Musik. Wobei sich Binder und Falkner "Live Im Chelsea" (Trikont) v.a. auf das Material ihrer beiden letzten regulären CDs "Spot" und "Drum" konzentrierten. Mit MinimalDrumSet und Akkordeon sowie ein wenig Maultrommelei und ElektroBeatBasteln als Garnierung schichteten die beiden im Wiener "Chelsea" ihre fulminante MundArt zu straffen Rhythmen und wahnsinnigen AkkordeonQuentschereien. Zuweilen, etwa beim sehr sehr gelungenen "Viech & Mog" (das verschränkt "Foisches Viech" und "I mog"), vermeine ich auch noch was Gitarrenähnliches zu vernehmen. Man hätte eben dabei sein müssen, letztes Jahr zu Nikolaus in Wien. 5
Was uns irgendwie doch noch zu Volks-, Folk-, Welt-Musik bringt.
"Karnatisch" nennt man die traditionelle südindische Hindu-Musik, die (Dr.) JYOTSNA SRIKANTH als "Carnatic Nomad" präsentiert. In sieben z.T. über 20 Minuten langen Ragas führt uns die virtuose Geigerin mit einem Kanjira- und/oder Mridangam-Trommler durch die uralten Melodien und Melismen dieser (eigentlich untrennbar mit Gesang verbundenen) Kompositionen. Auch ohne den ganzen musikhistorischen und -theoretischen Überbau eine schöne Alternative. Und King Charles wusste, was er tat, als er Srikanth im letzten Dezember den MBE-Orden verlieh...4
Etwas populärmusikalisch breiter angelegt ist das Spektrum bei "Namaste Bombay" (beide ARC), einer hommage an das "Hindi Cinema" - produziert von KULJIT BHAMRA. Der versammelte auf 2 Silberlingen insgesamt 38, z.T. recht wilde IndiaPopSongs, wie man sie kennt und liebt. Bollywood-Frauen, die wie Kinder singen - gute Unterhaltung. Gegen Ende von CD2 wird’s dann sogar für Westeuropäer (zumindest für jungle-erprobte) tanzbar – wenn Rekha "Ja Ja Ja" sagt (bzw. singt) und Anj Chauhan "Ayla" anschmachtet. Die Trompeten schmettern, die Keyboards laufen heiß und die Dhol-Trommeln drohen zu platzen – etwas trashig, aber wunderbar. 4
Rock & Pop
›› POLKAHOLIX ›› THE MYSTERINES ›› THE DIRTY THREE ›› CULTS ›› CHRYSTABELL & DAVID LYNCH ›› CHARLY BLISS ›› MALICE K ›› LAMBERT ›› NOTHHINGSPECIAL ›› MAIKA ›› HAMISH HAWK ›› L.A. EDWARDS ›› EMILÍANA TORRINI ›› WILD RIVERS ›› FINK ›› TATIA ›› JOANNA GEMMA AUGURI ›› KING HANNAH ›› LIZ LAWRENCE ›› EELS ›› JENNY DON'T AND THE SPURS ›› RICHARD HAWLEY ›› BLAINE L. REININGER ›› KRISSY MATTHEWS ›› CROW BABY ›› JENOBI ›› LUCY KRUGER & THE LOST BOYS ›› LUCA VASTA ›› QUICKSILVER ›› HALF WAIF ›› DER ENGLISCHE GARTEN ›› PRAG ›› DIE ARBEIT