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QUICKSILVER

V.A.

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"Hefte raus! Klassenarbeit!" – mit einem kleinen Seitenblick zu Helge S. beginnen wir mit einer WiederholungsFrage: Kennt jemand noch Billie The Vision and The Dancers – jene superlustigen Schweden, die in den Nullerjahren ihre Musik via website verschenkt haben? Oder die Indie-fröhlichen Woog Riots? Ja? Dann habt ihr eine ungefähre Vorstellung, wie DOUBLE DEÜCE auf "Warm Ham In A Foreign Home" (BB*Island) klingen. Obwohl – nein, spätestens bei Liedchen #3 "New Dutch Folk" ist das doch ein Johnny-Cash-Prank, oder? "Snap Backwards" spielt dann ebenso gekonnt mit HipHop-Klischees – schließlich pendelt sich das alles aber ein auf einer angenehmen Form von LoFi-AntiFolk-Pop, den man keinesfalls mit einer Parodie verwechseln darf. Was sich vielleicht erklärt, wenn man aus dem Info lernt, dass hinter dem Duo mit Toby Goodshank (The Moldy Peaches) und Angela Carlucci (u.a. Herman Dune) zwei gestandene Musikanten stecken. 4
SUPERMARKET heißt die Band dreier Italiener, deren Chef Alfredo Nuti diesen seinen Namen eigentlich sehr zu recht tragenden "Italo Barock(Q)" (Panderosa) nahezu im Alleingang im heimischen SchlafzimmerStudio vorbereitet hat. Lustig klimpernder 8bit-KunststoffPop mit ballernden Beats, schreienden Effekten und den berühmt-berüchtigten 1-Finger-Melodies. Der TrackTitel von #2 bringt es eigentlich auf den Punkt "Fake Tropicalia" – da schwingt sich dann auch schon mal ein zappeskes Sax über den straighten Beat. 4
Klangverwandt dazu sind einige Momente des an sich sehr abstrakten AdvcancedTechnos, den CHURCH ANDREWS & MATT DAVIES auf ihrer LP "Yucca"(Odda) zelebrieren. Feine KlickerKlackerKlapperKlupper-Anschwell-Abschwell-Sounds, bei dem es zumindest mir völlig egal ist, dass die Konstruktionen auf FibonacciReihen basieren. Mir gefällt das Fraktur-Fraktale dieser Stücke, das sich z.B. im die 22-Minuten-EP abschließenden "Winston" nur lautmalerisch als "BonnngggZiDuWhaaa!"-Schleife beschreiben lässt. 4
Nun gibt es Projekte namens "SUN" wie "Sun"d (also "Sand" – das Wortspiel funktioniert niedergeschrieben nicht mehr so recht) am Meer und wir dürfen dieses hier keinesfalls z.B. mit den Grungern verwechseln, bei denen unser Herausgeber Holger in den 90ern den Bass zupfte, aber dieser textlose akustisch-verspielte IndieWohnzimmerPop ist durchaus charmant. Hinter dem Ganzen steckt Andi "Notwist" Haberl, also ein Mann, der recht genau weiß, was er tut. Aufregende Neuigkeiten darf man auf "I Can See Our House From Here" (Alien Transistor) sicher nicht erwarten, gediegen-geschmackvolle Unterhaltung hingegen schon. 4
Zunächst seltsam gestaltlos wirkt (das an sich ja sehr begrüßenswerte) "La fin de l'économie" (Crammed), die neue CD von AQUASERGE, die ich eigentlich sehr schätzte. Dieses Mal aber verliert sich die Band aus Toulouse leider erstmal in einem gleichförmigen AvantPopSound und elegischen Singsal. Ein klein wenig tanzt das aggressiv-grungige "Miso" aus der Reihe – vielleicht sollten Aquaserge mal eine PunkPlatte machen. Und irgendwie scheint "Miso" auch so was wie ein platzender Knoten zu sein, denn das folgende "LPT" ist ähnlich interessant wie das wiederum darauf folgende, gleichfalls recht eklektizistisch-kaleidoskophafte "Shoot de love", dessen von einer getragenen Oboe gespielte melancholische NichtMelodie begeistert. Auch die letzten beiden Stücke bergen einige Hörenswertigkeiten, die mir anfangs eben doch fehlten. 3
GARLANDS nennen Sui Kemmer und Catharina Rüß ihre Band (wenn das eine Verbeugung vor der gleichnamigen Cocteau-Twins-Platte sein soll, ist diese gelungen!) und weisen darauf hin, dass "Turn the Sky" (La Pochette Surprise) eigentlich aus zwei EPs besteht (die B-Seite "Condor" ist 2019 schon mal erschienen, allerdings nur digital). Wie auch immer: zwei gut geschminkte Damen auf dem Cover, zwei EngelsStimmen – perfekter SexistenKram? Weit gefehlt! Kilometerhohe Gitarrenwände, schleppende Rhythmik, alles durchdringende Melancholie = 90erDreamPop revisited. Und das in äußerst gelungener Form! 5
Hinter riesigen Gitarrenmauern versteckten sich auch THE TELESCOPES während ihrer "Radio Sessions (2016 – 2019)" (Tapete). Die Ex-Creation-Band lässt dort 50 Minuten lang das Feedback wabern bis der Arzt kommt, die vocals verschwimmen in diesem NoiseMeer zu einem wunderbaren Brei und wenn man das Ganze richtig laut hört, sieht man auch ganz ohne halluzinogene Wirkstoffe sehr schnell alle Farben. Wirklich schön! 5
Ursprünglich kommen HABIBI wohl aus Detroit, aber mittlerweile hat die auf 5 Damen angewachsene Band ihr Lager in Brooklyn aufgeschlagen. "On The Road", der fein genervte opener von "Dreamachine" (Kill Rock Stars) ist wirklich OK, dann aber versandet die Platte in etwas unentschlossenem IndieElektroRock, meinethalben auch -Pop. Bis zum 5minütigen "Interlude", das sehr frei, ja entfernt und doch sehr schön mit nahöstlichen Traditionen unter GarageRock-Bedingungen spielt. In "My Moon" wird’s dann sogar leicht pop-lasziv...4
Auch bei FINOM musizieren ausschließlich Frauen, allerdings sind es hier nur zwei. "Not God" (Joyful Noise) bezaubert mit gekonntem Stimmeinsatz, der dabei immer auch ein gewisses Maß an rauer IndieAttitüde hat. Auch die Musik ist zugleich reduzierter b-g-dr-Rock wie höchst durchdachte musikalische FeinmechanikerArbeit, die sich z.B. im epischen "Not God" auch zu einer kleinen NoiseOrgie türmen kann. Geschickte gebaute TextDopplungen und -Wiederholungen strahlen in einem dunkel-warmen SatzGesang, wie man ihn von besseren CountrySongs kennt. Oder von richtig gutem IndiePop. Anspieltip ist unbedingt der opener "Haircuit" 4
Jetzt wird’s etwas spezieller, denn wenn die Portugiesin DULLMEA auf ihrem self-release-DL "Ñe’ẽsẽ" ihre Stimme erhebt, entstehen in unseren Ohren DüsterLandschaften zwischen GruftWave und Avantgarde mit zirpenden Störungen, freundlichen Gesängen und semi-klassischen Anwandlungen. Wobei angenehmer Weise mit zunehmender Spieldauer das avantgardistische und doch (experimentell) verspielte Element die Kontrolle übernimmt. 4
Dazu passt vielleicht der langsam auf- und abschwellende DarkAmbient des "Movement"s (Moving Furniture) von ORPHAX & KENNETH KIRSCHNER. Auch wenn sich hier schon von Anfang an immer mal wieder leise PianoFetzen im KlangHintergrund erahnen lassen (schließlich basiert die Arbeit wesentlich auf Kirschners KlavierSkizzen) gesellt sich etwa in der Mitte des gut halbstündigen Stücks zu den verwaschenen FlächenTönen eine klare simple KlavierLinie, die stoisch wiederholt und zeitversetzt über das Original gespiegelt wird. Und dann in zunehmender Dekonstruktion zerfasert, zersplittert, zerreißt, zum maschinellen Schrei wird. Gegen Ende darf KK dann nochmal mit voller Lust in die PianoTasten greifen und vor rauschendem Hintergrund seine minimalistischen Figuren repetieren. 5
Sehr schräg und sehr schön ist auch der DL "East Wind" (Emerald & Doreen), den der Opernsänger JOHN KEN NUZZO gemeinsam mit dem Elektroniker Shintaro HAIOKA aufgenommen hat. Wie Klaus Nomi 2.0: ein Helden(allerdings kein Counter)Tenor - oft mit starkem, den gewünschten Effekt deutlich verstärkenden Hall auf der Stimme - , einige Klaviertupfen und reichlich gelungene elektronische KlangLandschaften. Ohne den Sexiness-Faktor der 10Tenors oder mancher SopranistinnenInszenierung zu bemühen, ohne Effekthascherei und ohne bildungsbürgerliche Verbrämung, sondern als wirklich gelungene Fusion von ausgebildeter Stimme und elaboriertem SoundDesign. "Under The Neonlights We Sleep!" 5
Nun noch schnell raus in die Welt: Auf DOBRANOTCHs neuer CD "Vander Ikh Mir Lustik" (CPL) zimbeln die Zimbeln, die Klarinette klagt, die jiddisch-russischen Gesänge jubeln (oder trauern) zu althergebrachten Rhythmen – eine gut gemachte klassische KlezmerPlatte. Weil auch bläserseitig mit Tuba, Trompete und Posaunen relativ breit besetzt kommt gar etwas BalkanBrassFeeling ins Spiel - nicht nur bei "Skotshne" fliegen uns die 8tel nur so um die Ohren. 4
Die kurdische Alevitin OLCAY BAYIR singt auf "Tu Gulî" (ARC) zehn feine FolkSongs, die bei aller Fröhlichkeit auch das Leid ihres aufrecht seine sprachliche und kulturelle Eigenständigkeit verteidigenden Volks nicht aussparen. Vier Stücke haben kurdische Texte, je drei Türkische bzw. Armenische (man kann sie alle in englischer Übersetzung im booklet nachlesen), dazu erklingen KonzertGitarre, Oud, Kopuz, Saz, Bass, Perkussion, Duduk-Flöte und Zurna (diese näselnde Oboenart). Modern und traditionsbewusst zugleich. 4
LUCILE AND THE RAKIBUAM verbinden auf "Neyzem" (Trikont) in fabelhafter Weise anatolische Schlager und PsychDub. Hier ist die Saz genauso elektrifiziert wie Bass und Gitarre – die Grooves spielen mit Surf und Rock-Elementen, über die herrliche Stimme des Perkussionisten Tuncay Acar legen sich immer wieder launige Effekte – man möchte fast AnatolKraut dazu sagen! Live bestimmt auch der Hammer! 5
Mit den "Oriental Mirrors" (The Lollipoppe Shoppe) von MULTUMULT (welch schöner Projektname!) wird’s zum Schluss nochmal richtig schön abstrus: die Kapelle aus Bukarest spielt Musik aus einer anderen Welt, verbindet dazu frei(est)e Improvisation und BalkanFolk, uralte (prä)osmanische Muster und FreeFormMusic. Zu diversen Rasseln, Klappern und Glocken, reichlich Blasinstrumenten und jeder Menge Perkussion steigert sich der Gesang zur Ekstase, die nur sehr selten gewohnten Mustern folgt. Entweder man hält das für eine komplette Verarschung und rennt entnervt von dannen oder man erkennt die dieser ungewöhnlichen TonKunst innewohnende überweltliche Kraft. Ich hoffe, ihr zählt zu Letzteren! 4


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