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Beim letzten Mal habe ich mich an dieser Stelle noch über zu viel Regen beklagt, nun ist es (mir) zu warm. Bei Außentemperaturen über 85 Grad (gut, Fahrenheit, ist aber trotzdem too much!) will man doch in einen lauschigen See hüpfen oder einen Schattenplatz im Biergarten genießen – auf jeden Fall aber nicht mehr oder weniger aufregende Musik bewerten. Machen wir aber trotzdem – in hitzebedingter Knappheit.Wir fangen an mit TanzMusik: BUZZ' AYAZ zelebrieren auf ihrem "s/t" Album eine feine zypriotisch/ost-mediterran/anatolische Tanzmugge voller beats und heftiger Gitarren. "Arkos" z.B. kommt im flotten 4/4-Takt, der sich unmerklich in etwas ziemlich Kompliziertes wandelt. Und was ich für eine ElektroSaz oder vielleicht eine Effekt-satte Bouzouki gehalten hab, ist in Wirklichkeit eine elektrifizierte Tsouras ("Schalenhalslaute mit drei Doppelsaiten"). Aber auch mit der lassen sich offenbar sehr schicke Knarztöne erzeugen (hört den Schluss von "Ate Pale"!). PsychedelicLevanteBluesRock. 4
Einen ähnlichen Ansatz, allerdings in eher israelisch-arabischer Färbung (die jetzt in Berlin lebende Band stammt aus Jaffa), verfolgen EL KHAT auf "mute". Leicht nöliger, schleppend (oder auch mal sehr flott) perkussionierter WüstenPop. 3
Ganz anders, aber wegen des gleichen (Label)Stalls hier noch schnell erwähnt: "Lúireach" (alle Glitterbeat) von LANDLESS. Das Info sagt: "The Irish quartet sings centuries old ballads as well as more recently penned folk songs." Dem ist wenig hinzuzufügen. Ziemlich puristischer (fast nur) a-capella-Kram. 3
Dazu passt nun wieder LA COZNAs "Ni Nuit Ni Jour" (Raffut Collectif). Ein Dame mit dem wundervollen Namen Clémence Baillot d’Estivaux besingt zu nahezu kammermusikalischen Strukturen eine "Marguerite" oder "Blanche biche", das weiße Reh, in vielfältiger Ausprägung. Es gibt aber auch noiselastige Passagen bei dieser Verwandlung von französischer Folklore in AvantPop. 4
Zunächst war ich ja skeptisch, ob sich der bizarre Charme der a-capella-Kunst des AinuFrauenChors MAREWREW wirklich mit dem westeuropäischen Remix-Konzept verträgt und der erste Teil der "Ukouk Remixes" gibt mir da in gewissem Rahmen auch recht, denn der sonst so stilsichere Andi Otto scheitert mit seiner etwas Donald-Duck-haften Bearbeitung an der Kraft der japanischen Folklore. Neben Mixen von M.RUX, Patric Catani und Ya Tosiba steht aber auch der "Y Bülbül Remix" von "Yaykatekara" und der ist mit seiner Verbindung von VokalFetzen und zwischen SynthSpuren geklemmter InstrumentalSamples ziemlich gelungen. (Noch) Besser wird’s mit "Part 2" (beide Pingipung) dieser jeweils um drei digitale Zugaben erweiterten 7"es, denn dort zerlegt Elijah Minnelli über einem DubBett den StimmZauber von "Uekap" in einzelne verhallte Vokale. Peter Prestos Bearbeitung bleibt elegischer und dehnt eine feine SloMoDubBassLine. Und auch Andi Otto kehrt mit seiner reduzierten Version von "Hunpe Yan Na" zu alter Stärke zurück. 3/5
Jetzt wird’s heftiger: Wie uns UNIFORM-Shouter Michael Berdan gleich zu Beginn des für die ganze Platte titelgebenden openers "American Standard" (Sacred Bones) anschreit, fühlt sich schwer nach Navy-Seals-Boot-Camp an (ohne dass ich auch nur eine Ahnung davon hätte, wie diese entmenschlichten Söldner wirklich ausgebildet werden – es lebe das Vorurteil!). Dazu schichten sich heftige GitarrenRiffs zu Swans'scher Dichte und die beiden Schlagzeuger verbreiten einen schleppenden, aber enorm druckvollen DüsterGroove; das zuweilen hervor schimmernde Glockenspiel verursacht dazu eine besondere Gänsehaut. Als würde Yello Biafra nochmal all seine Wut über den VerstärkerLärm eines Sunn O)))-LiveSets brüllen. 5
Das (mir) noch immer latent unheimliche Doppel i HÄXA präsentiert inzwischen "Part Three" (Pelagic) ihrer EP-Reihe, bevor am 01.11. das "richtige" Debutalbum erscheint. Bis dahin bleibt es schaurig, nach folkhaftem (Teil 1) bzw. eher dark-wavigem (Teil 2) wird es bei #3 nun medieval-romantisch. In etwa, als müssten sich Miranda Sex Garden frisches Blut aus ihren Mundwinkeln wischen. 4
Bei ERIK K SKODVINs DokumentarfilmSoundtrack "Afterwar" (Miasmah) erwartet uns Schwärze, nichts als Schwärze. Licht darf man von Skodvin zwar ohnehin kaum erhoffen, aber hier schon gar nicht. Es ist tatsächlich so, wie es der track-Titel "The empty void below" sagt: Du schwimmst über einem großen schwarzen Nichts, das unter dir in endlose Tiefen reicht. Manchen macht das Angst, ich mag das - nicht nur beim Tauchen. 4
Auch bei der gemeinsam von ANJA KREYSING, HANS CASTRUP und PHILIPPE NEAU angesetzten Versuchsanordnung "Before and after silence" (Submarine Broadcasting Company) driften meine Assoziationen schnell ins Maritime: Mal ist es eine kleine GitarrenFigur, mal sind es launige MelodikaTöne, die dort hinter dem (oder im?) submarinen Klangschatten dahinwandeln. "DynAMO (dedicated to D. Suzuki)" ist wirklich so eine Art KrautRock(Remineszens), allerdings UnterwasserKrautRock, denn das gesamten KlangBild dieser Aufnahmen wirkt subaquatisch, submarin, vielleicht sogar subaquamarin. 4
Hatt ich gerade KrautRock geschrieben? Dann müssen wir die neue Platte von FAUST beleuchten: Kurz hatte ich befürchtet, Zappi Diermaier würde auch musikalisch auf das BlödelNiveau des Titelnames des openers von "Blickwinkel - curated by Zappi Diermaier" (Bureau B) absinken ("For Schlaghammer" – ick lach mir tot!). Aber schon die folgende "Künstliche Intelligenz" stellt unter Beweis, dass sich Struktur und Lärm bei Faust nach wie vor bestens vertragen. Minimalistische Konstruktionen umkreisen ein Thema, gern auch mal mit prätentiöser großer Geste wie in "Die 5. Revolution". "Kratie" jongliert dann mit einfache(re)n Figuren und schafft doch eine wundervolle Atmosphäre aus der Vielfältigkeit der Wiederholung. Selbst wenn er immer wieder ein bisschen nach "Selbstzitat" müffelt, bleibt dieser "Blickwinkel" ein interessanter. 4
Nun aber zurück zur KlangForschung: Gemeinsam mit der französischen SoundErkunderin GWENNAËLLE ROULLEAU hat REINHOLD FRIEDL das DL-Album "strata & spheres" eingespielt. Roulleau bedient bei dieser düster scheppernden Installation so interessante Dinge wie ein "Duofluctus" (never heard before!), diverse (Modular)Synths, aber auch "amplified objects, electrodynamic microphone, micro piezzo". Friedl erkundet einmal mehr die Möglichkeiten der "anderen" KlavierBedienung, lässt hier aber dem Schaben, Schnipsen und Lärmen den Vortritt. 4
Gleiches Format, gleiches Label, ganz anderes Ergebnis: die Japanerin YUKO ARAKI macht auf "Zenjitsutan"(beide Room40) einfach nur Krach. Noise. Elektronisch erzeugten puren Lärm. 46 Minuten lang. Man darf, ja muss hier wohl an Merzbow denken. 4
Für die beiden jeweils gut viertelstündigen drones auf der Kassette "The Devil And The River, Volume One" (Karlrecords) hat WILLIAM FOWLER COLLINS seine elektrische Gitarre mit einem (kein Witz!) Kalligrafie-Pinsel gestreichelt. Dass diese Musik live in (s)einem Studio in der Wüste New Mexicos aufgenommen wurde, erklärt vielleicht zum Teil, wieso hier die entspannende Aufregung von droneKunst besonders gut funktioniert. Ob man aber tatsächlich von "a collision between Terry Riley’s Descending Moonshine Dervishes and the loud, distorted, emotional abstractions of My Bloody Valentine" sprechen muss oder kann, lasse ich an dieser Stelle mal offen. 4
Break! Weil: Breaking News! Auch wenn die Nachricht schon im Juli nicht mehr wirklich brandneu war (Stichwort: Sommerpause!): HGICH.T, die Könige der intelligenten (LSD)Verwirrtheit, der gestörten (LSD)Perfektion, des NonPlusUltra der (LSD)MetaEbenenSpiegelung, haben mal wieder die Zeit gefunden, ihre elektronischen KlangMaschinen auf maximalen GoaStampf zu justieren und legen mit "Lenovobeach" (Tapete) ihr (physisch einzig und allein als DoppelVinyl erscheinendes) achtes (!) Album vor. Die Packungsbeilage der Plattenfirma meint, das alles "klingt wie die zärtliche Umarmung einer zugedröhnten Mutter" – ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt, weil meine Mutter noch der Generation "Kirschlikör" entstammt, aber als Bild passt das schon ganz gut. Ich liebe dieses improvisiert wirkende, aber sorgfältig durchdachte SprachSpiel ("Dank des Adapters"), die wild im Kunterbunten wirbelnden Sounds und die OhrwurmHooklines noch immer über alles und könnte auch hier, selbst wenn ich wollte oder gar dazu gezwungen würde, einfach kein einziges Wort der Kritik finden. HGIch.T sind und bleiben perfekt. 6
Mit einer verwirrenden Vielfalt an Seltsamkeiten zwischen FlötenFolk und dem DadaAcid der gerade gepriesenen HGich.T auf Slow Motion, zwischen SpokenWord-IDM und Tuxedomoon'scher AvantPopSchönheit überrascht uns das britische Duo MERMAID CHUNKY auf seinem Debut "Slif Slaf Slof" (DFA). Ein Pailletten-schillerndes Kaleidoskop aus allem, was man sich an Einflüssen nur vorstellen kann, aber doch nach recht eigenwilligen Prinzipien konstruiert und auch dramaturgisch sehr klug arrangiert. 5
Womit wir uns nun irgendwie in Richtung Pop bewegt haben: Aus Brüssel kommen ANOTHER DANCER und die frönen auf "I Try To Be Another Dancer" (Aguirre Records – ja, das ist das Label mit dem famosen KatalognummernKürzel "zorn") jenem melancholisch-psychedelischen NoisePop, der Ende der 80er/Anfang der 90er mal die Welt regierte. 5
Auch die ORCAS sind für intelligenten (Dream)Pop bekannt. Bis vor kurzem hätte ich noch gesagt "waren", denn die beiden mir bekannten Album des Duos erschienen 2012 und 2014. Nun aber gibt es mit "How to Color a Thousand Mistakes" (Morr) neuen Stoff für Freunde der schönen Verzerrungen, bittersüßer SynthWolken und sehnsüchtigen Gesangs. 4
Mit abstrakter ClubMusik bezaubert uns die "Segmente EP"(NovaMute) von JAKOJAKO. Aseptische AcidSounds treffen auf sterile Beats und doch atmet das alles auch eine gewisse TechnoKellerWärme. 4
Während "Kyra" (Trovarobato) vom kroatisch-italienischen Duo SO BEAST mit einem versöhnlichen, wenn nicht gar harmlosen "Intro Puntuale" beginnt, entwickelt sich mit dem stumpfen Beat und der latent aggressiven Stimme von Sängerin Katarina Poklepović in "Dear Mother" schnell eine subtile Angriffslustigkeit - da kann auch das intensiven Wühlen in den Klaviertasten während des Mittelteils nicht drüber hinwegtäuschen. Das folgende "<" lebt dann vom Kontrast zwischen sich auftürmenden expressiven Klavierwolken und NoiseFetzen. Wobei ich im drum- besser Schlagzeug-Programming – ganz im Gegensatz zum geglückten Verschmelzen von heftigen GitarrenVerzerrungen mit Klavier- und ElektroStörungen - auch bei den übrigen 10 Stücken immer noch ein wenig Luft nach oben sehe. Stimmlich erinnert (mich) Poklepović übrigens immer wieder an die grandiose Katie Jane Garside (Daisy Chainsaw, Queen Adreena). "Divlja" kommt in Landessprache und "Nevera" besteht aus einer schönen NoiseSchichtung mit fast klassischen Zügen – wäre da nicht dieser BassAbgrund: "Sex, Love and Cooking Oscillator". Ein namenloser Rausschmeißer fasst die hier gewonnenen Erkenntnisse nochmal gesanglos und beinahe freundlich zusammen. 5
Und zum Schluss erinnern wir uns gemeinsam mit einem der größten Experten für den westdeutschen (Kassetten)Untergrund der späten 70er/frühen 80er (quasi der Alexander Pehlemann der BRD) an die seligen Zeiten, "Als die Welt noch unterging" (Tapete). "Compiled by Frank Apunkt Schneider" steht unter bzw. über diesem Sampler, der auch als BegleitMusik für das erstmals 2007 im Ventil-Verlag veröffentlichte und inzwischen in 4. Auflage vorliegende Standardwerk gleichen Namens verstanden werden kann. Wie immer sind es nicht die inzwischen auch den (zu) Spätgeborenen (sofern an solcherlei TonKunst interessiert) vertrauten Projekte wie The Wirtschaftswunder, Male, Palais Schaumburg, Kosmonautentraum, Hans-A-Plast, Die Zimmermänner, Holger Hiller, Freiwillige Selbstkontrolle, Bärchen und die Milchbubis oder Family 5 (von denen es hier aber dankenswerter Weise zuweilen recht rare Stücke zu hören gibt), sondern die Sachen aus den Ecken, Nischen und Falten der Bewegung, von Bands mit so klangvollen Namen wie Rassemenschen helfen armen Menschen, Die Zwei, Lustige Mutanten, Die Egozentrischen 2 oder Autofick. Und die MinimalHymne "Sing mir ein kleines Arbeiterkampflied" vom Foyer des Arts-Seitenprojekt Konstantin kann man doch wirklich immer wieder hören, oder?! Deshalb jetzt alle: "Sing' mir ein kleines Arbeiterkampflied / Eines mit Pepp, eines, das swingt / und werktätige Menschen zum Nachdenken bringt. / Sing' mir ein kleines Arbeiterkampflied / Eines, das zischt, eines, das knallt / und aus tausend Männerkehlen vor dem Werkstor erschallt." 5
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