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Verblüffend wenig (mehr oder minder) relevante JazzMusik gibt es in diesem Dezember – oder (was ich viel eher annehme) es ist meiner müden Aufmerksamkeit einfach mal wieder das Beste durchgerutscht. Wie dem auch sei - LIFE IS GREAT ist dennoch zum einen ein schlichter wahrer Satz (doch!), zum anderen der Name eines Jazz(Rock)Projekts, das der trommelnde Komponist Johannes Koch ins Leben gerufen hat. Mit Asger Nissen (sax/synth), Thörbjørn Stefansson (b) und Johannes Mann (git) fand er drei sehr passende Partner für seine Grundidee, einfach mal das als Jazz zu spielen, was man in "normalen" JazzCombos nie spielen darf: indierockende Rhtyhmen, SynthWände, hallende ElektroBassLinien und verzerrte GitarrenRiffs. Inszeniert mit einer gewissen LoFi-DIY-Attitüde und jeder Menge Energie erdet einzig das Sax das Ganze im Jazz. Dabei geht es mal komplexer und mal simpler zu; insbesondere die Gitarre ist sehr facettenreich gespielt. Koch selbst sagt: "Life is Great macht Rockmusik, aber vielleicht für Weirdos." Oder eben für Leute mit offenen Ohren und Herzen. Und mit Geschmack. 4Gedankenverwandt, also auch irgendwo an und in der Schnittmenge von IndieRock und Jazz forschend, kommt das zweite Werk von MR. VERTIGO. Die "23 Meditations" der Band um den Schweizer Stratocaster-Maniac Ursus Bachtaler erscheinen (zumindest mir) zunächst sehr ohrenschmeichelnd und irgendwie "schön", auf die volle Länge dann aber doch etwas zu gleichförmig (vor allem im Sound der Strat) und konturenarm. Da hilft auch der tolle Groove der beiden Trommler nicht so richtig. 3
Umso mehr begeisterte uns das GitarrenSetting beim "Live" (beide Unit)-Auftritt vom ELIA AREGGER TRIO, denn selbiges schwebt erst in einem Peter-Green-haften HallSound und wird nur dann lauter, wenn sich das Schlagzeug gar zu frech in den Vordergrund drängt. Zuweilen hilft aber auch eine ordentliche Verzerrung der Gitarre weiter, was bei "You're So Sus" soweit ins Extrem geführt wird, dass das Resultat auch Töne aus einem ge-flanger-ten Synthie sein könnten. Zu all dem verrichtet die BassGitarre eine höchst solide HintergrundArbeit. Aber das ist natürlich alles auch wesentlich dichter an "echtem" Jazz als die beiden zuvor verhandelten Fälle. 4
Die HUNGRY GHOSTS reißen uns allerdings ganz schnell aus zu gemütlicher Versonnenheit, denn der Dreier, den Yong Yandsen (sax) mit dem "Norwegian powerhouse duo" aus BrachialBassist Christian Meaas Svendsen und Wahnsinnstrommler Paal Nilssen-Love bildet, macht keine Gefangenen. "Segaki" (Nakama) bedeutet wohl "die hungrigen Geister füttern" und das tut diese auf einem intensiv nachbearbeiteten Mitschnitts eines Auftritts in Österreich basierende Platte auf jeden Fall mit schierer Energie. 4
Wenn Sakina ABDOU (sax), Toma GOUBAND (perc) und Marta WARELIS (p) "Hammer, Roll and Leaf"(Relative Pitch) spielen, kennt die Freiheit ebenfalls kaum Grenzen. Ein schönes Geklingel und Geklopfe, Getröte und Gefiepe, allerdings ohne ganz großen AlleinstellungsWert. Den bietet am ehesten das zuweilen fast plaudernde, schwatzende Sax ("Leaf The Roll"). FreeJazz, wie ihn sich Leute vorstellen, die keinen FreeJazz hören – und trotzdem richtig gut! 4
Weniger verspielt und fröhlich als Abdou-Gouband-Warelis, dafür in der Verquickung von elektronischen Zittereien, SaxSchnalzern und diversem seltsamen Gerassel konzentrierter und zwingender kommen DANS LES ARBRES auf ihrem "L' album vert" (Aspen Edities). "In den Bäumen" musizieren bekanntlich mit Xavier Charles (cl), Ivar Grydeland (pedal steel), Christian Wallumrød (electr) und Ingar Zach (perc/electr) vier skandinavische ImproGranden: Wildheit als ruhige Kraft, besonders im diese feine Platte beschließenden über 20 Minuten langen, schräg-meditativen "danse imaginaire". 4
Ähnlich, aber doch nochmal anders gehen diese ominöse "Freiheit" Marco BALDINI (tr), Werner DAFELDECKER (b/p/electr) und Jens STRÜVER (tapes, turntables) an. "Prismatic" (Room 40) ist ein download-only-Album mit 4 Stücken: "Jenseits" und "Drehimpuls", jeweils als "I" oder "II". "Jenseits I" kommt dabei als schöne, sehr ruhige, durchaus auch als hochwertige Hintergrundmusik geeignete und mit großer Inbrunst und Zurückgenommenheit zelebrierte Schichtung aus tiefen BassKlängen und verhaltenen, lang gezogenen TrompetenStößen (huch, ein Oyxmoron?). Der "Drehimpuls" ist insbesondere als Version(?)"II" etwas knarziger, schrammender - es rauschen elektronische Ozeane und ein seltsames elektrisches WasserFeuer (noch ein Oyxmoron?) knistert. "Jenseits II" lässt schließlich ein Herz zu einem BeckenHelikopter (aus der Maschine?) pochen... 5
Ebenfalls nur als DL erhältlich ist BEN GLAS' "Music For Listeners (2)" (Room40), eine PsychoAkustikStudie, die mit einer kurzen Meditationsübung namens "silence (1 whole minute alone with your thoughts)" startet, dann über den HörVerlust im Alter nachdenkt (#5 heißt "silence (aging and hearing loss – 21kHz)") und schließlich zu Musik (besser wohl KlangEreignissen) für naturwissenschaftlich interessierte Mediziner wird. Zumeist einminütige, im Extremfall auch "nur" aus "silence (in the trough of a wave)" bestehende kleine Monster positionieren sich um die zentrale, 8 Minuten lange MeditationsSchleife "a polytemporal clock (spatio-polyrhythmic breathing room)": Sommerhits für WahrnehmungsPsychologen, deren Anwendung z.T. von einer ComputerStimme diktiert wird. Ob nun als "cochlear sing-along-song #3 (a traversable field of otoacoustic possibilities)" oder "a series of relativistic waves (byebye)" – das ist ganz wunderbare, aber auch ziemlich anstrengende KlangKunst. 4
Gänzlich der akustischen, hier vielleicht sogar der Sprech- oder SprachKunst widmen sich die "Micro Poems" (Spoken Matter) von ANDREAS BÜLHOFF & MARC MATTER. Die beiden ließen den "voice artist and poet" Ian Hatcher insgesamt 2 x 24 Homophone einsprechen, also Worte, die gleich (aus)gesprochen werden, aber unterschiedliche Bedeutungen transportieren. Beispiele gefällig? "Hear / Here", "Right / write" oder – auch sehr schön! - "Choose / Juice". Die WortPaare werden dann bei der (hier natürlich auch und gerade als KunstObjekt dem nichtgreifbaren Digitalen noch mehr als sowieso schon vorzuziehenden) Vinylvariante in Lockgrooves gepresst und somit immerzu wiederholt – der DL beschränkt die Repetition auf banale 3 Minuten je Anordnung und schon das entfaltet eine immense Wirkung. Auf der B-Seite doppelt doppelt, denn dort wählten die Künstler "two words per loop". Abstrakte WortKunst at it's best! 5
Ganz so "gefordert" möchte ich euch aber denn doch nicht in die Feiertage schicken, weshalb ich euch hier noch ganz dringend die keineswegs banalen, aber eben doch wesentlich luftigeren Klänge von Flügel und Orgel ans Herz legen möchte, die ULRIKE HAAGE zusammen mit dem Organisten Daniel Stickan für "Alles Licht" (blue pearls) aufgenommen hat. Ebenso entrückt (und zuweilen auch etwas esoterisch) wie doch "geerdet" entspinnt sich hier ein luzides Netz aus stiller, packender (Klang)Schönheit, das Haage zu Zeiten der (sonst so vieles erstickenden) Pandemie an ihrem Flügel ersann, um es später mit Stickan in einer Kleinmachnower Kirche live zum InstrumentalDuo wachsen zu lassen. Und siehe: die Zartheit der Flügel-, nein! Nicht -Schläge, das wäre zu kitschig; also: die Zartheit der FlügelTöne (die z.B. zu Beginn des "Window Of Enlightenment") beinahe Feldman-esk anmutet, findet in den langen, vereinzelt auch harschen OrgelKlängen einen passenden – nein, nicht Widerpart, sondern: Partner! 5
Fear No Jazz
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