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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Der Oktober gehört zunächst den JazzSängerInnen. Zuerst INGA LÜHNING, die wir von den NuJazzern [re:jazz], vor allem aber von den beiden schönen "Hodgepodge"-Alben mit André Nendza (der auch hier den Bass bedient) kennen und die mit "Daughters And Sons" (JazzSick) ein sehr facettenreiches Album vorlegt, das von Blues (hört z.B. das eben jenen Blues mit Funk verbindende "You Are More"; auch durch das GitarrenSolo am Schluss von "Gentle And Quiet" weht ein starker BluesHauch) bis zu Bar-kompatiblem KlavierTrioJazz ("Tonight") reicht. Beim mit mädchenhafter Stimme Deutsch gesungenen "Wie im Märchen" taucht dann eine Trompete auf und auch die federnde BassFigur gefällt hier sehr. Gelegentlich gastiert ein Saxophon – z.B. im ein wenig arg "á la Annett Louisan" gesungenen "In deinem Licht". Die BAP-Schnulze "Do Kanns Zaubere" wird hier zu hochdeutschem "Du kannst zaubern"-BarJazz – und der ist (nicht nur) mit seiner dahin perlenden KlavierLinie gar nicht übel (wir kennen diese oder zumindest eine ähnliche Fassung ja schon von "Hodgepodge Vol. II"). Mit dem Rausschmeißer "Atme ein atme aus" geht Inga Lühning dann einen großen Schritt in Richtung SiSo-Pop – wobei ich gar nicht sicher bin, ob das der richtige Weg für sie ist. 4
Etwas gestelzter ist der KlavierTrioJazz des LORA KOSTINA TRIOs, der auf "Pasternak" (Acoustical Mind) von der wunderbaren Stimme PASCAL VON WROBLEWSKYs zehrt (wer sie noch nicht kennt: unbedingt ihr Debut "Swinging Pool" (Amiga 1987) antesten, auch "Fasten Seat Belts!", im gleichen Jahr mit Bajazzo eingespielt, ist prima. Oder "Speak Low". Oder ihre "Singt Kurt Weill"-Platte von '96...). Wie die Musik wirken hier aber auch die bildungsbürgerlichen (deutsch-russischen) Texte zuweilen etwas überambitioniert. 3
Mit DEELINDE & EMILIANO SAMPAIO wird’s auf deren s/t-CD Welt(musik)-offen. Ist der stagename der steierischen Sängerin und Cellistin Dietlinde Härtel-Živadinović vielleicht ein dezenter Verweis auf die quietschebunten FunHouseHoper Deee-Lite, deren "World Clique" genau wie der Nachfolger "Infinity Within" ganz klar zu meinen "guilty pleasures" gehören? Wäre eine (mir) höchst sympathische Erklärung, die allerdings kaum etwas mit der hier zu hörenden Musik zu tun hätte (es sei denn, man würdigt den ähnlich unverkrampften Umgang mit Wurzeln und Vorbildern als Gemeinsamkeit). Man kennt deeLinde vielleicht vom österreichischen Nicht-"Stubenmusikklassiksalonorchester" Netnakisum; der Gitarrist und Posaunist Emiliano Sampiao ist beim Meretrio aktiv und auch im Mereneu Project – Schranken sind in den Köpfen der beiden also nicht zu vermuten. Voller SpielFreude werden hier Alpenballaden mit Jodeln und HeimatLiebeGeschnulze ein eine Art brasilianisch-jazziges Spitzengewand gewickelt. Dazu einige Cello-Gitarren-Duelle (oder -Duette), die hier und da aber leider etwas arg angekitscht und betont fingerfertig wirken. Egal, Leute: "Groove Is In The Heart!" 3
Weil wir hier gerade das MERETRIO erwähnt haben – gemeinsam mit Bassist Gustavo Boni und Schlagzeuger Luis Oliviera blickt Herr Sampiao in dieser Formation inzwischen auf "20 Years" (beide Session Work) JazzKarriere zurück. Seine Begleiter schütteln ihm daher auf dieser Platte gern ein weiches Bett für seine Gitarren- und PosaunenKaskaden auf. HandwerksJazz auf höchstem Niveau, brasilianisch inspiriert und dennoch etwas (zu) steril. 3
Auf dem "Schimmer" (Anuk) von FABIAN M. MUELLERs Projekt BERG begegnen wir endlich mal wieder der großartigen Schweizer Sängerin Corin Curschellas, z.B. bei der wunderschönen, zu zarten, von einem bezaubernden Schlagzeug gestützten KlavierKlängen portugiesisch gesungenen Ballade "Ova da Muntogna" – so geht moderner BarJazz. Dazu kommen hier und da KeyboardEffekte und SynthAtmosphären oder – wie in "Vech" - auch mal ein kurzes energisches SchlagzeugSolo. Wirklich gelungene AnarchoJodelArien gibt es auch ("Vorbei" oder "Gamal Springer" – hier stammen die vocals von Noldi Alder und die gefallen mir deutlich besser als die vorhin erwähnten Versuche von deeLinde), mal quietschen dazu SynthieHarmonien fast Glasharmonika-artig, mal verneigt sich Mueller mit BERG auch vor dem DX7. Eine Musik, die sich jeder Kategorisierung entzieht. Das ist nicht wirklich Jazz, auf keinen Fall Pop und schon gar nicht Folk – ach, es ist einfach Musik. Gute Musik. 4
Genau wie "Innuendo"(Mons) vom TOBIAS HOFFMANN JAZZ ORCHESTRA. Eine schöne, flotte Big Band mit einer fantastischen RhythmusGruppe und sehr fetten BläserSätzen – nostalgisch und modern zugleich. Ja, das klingt manchmal nach 60erSciFi-Soundtrack, aber die zweite Hälfte von "Summer Solstice" z.B. ist mit einem wunderschönen PosaunenSolo gefüllt und der Beginn des gleichfalls sehr hörenswerten "Bipolarity" erinnert mich schon fast an eine Debussy-Ouvertüre. 4
Die Briten EMPIRICAL liefern mit "Wonder Is The Beginning" (Whirlwind) sehr solide Hausmannskost ab, handwerklich über jeden Zweifel erhaben, künstlerisch durchdacht und doch leider wenig mehr als eben Hausmannskost. Weil: trotz aller Schönheit und Unterhaltsamkeit so eben doch schon tausendfach gehört. 3
Ganz anders: "水、滾る [Mizu, Tagiru]" (Totalism) von LIBERSKI/YOSHIDA. Der belgische KlavierImprovisateur Casimir Liberski ballert sich hier mit Ruins-Gründer und TrommelBerserker Tatsuya Yoshida durch eine gute Stunde pure Power. Der relativ sanfte Beginn täuscht: hier treffen klassische FreeJazzAttacken von Schlagzeug und Klavier auf avantelektronisches Sirren und Brummen. Action-reich und so tatsächlich noch nicht so(!) oft gehört! 5
Nochmal ganz anders, nämlich sehr erfrischend ist hingegen die den Unter- oder BeiTitel ""Enregistrement nomade" tragende "Musique migratoire"(Ormo/pagans) von LA DÉMESURE DU PAS. Freies FlötenPfeifen zu zartem Vogelzwitschern, Glockengeläut und SchaltkreisKnarzen voller elektroakustischer Schönheit. Dazu treten elektroakustische Gäule und Gänse, ein flatterndes Saxophon duelliert sich mit einer ebenso lang geblasenen Klarinette. "VIP" erinnert an auf einer Landstraße an dir vorbeirauschende bzw. -rasende Autos und LKWs, über die sich hinter einem metallischen Klappern eine Tuxedomoon-eske BläserLinie aufschwingt und der "Marche Fictive" steht genau wie der "Marche démesurante" in der Kagelschen Tradition jener, die geeignet sind, den Sieg zu verfehlen. "Ein gelungenes Miteinander aus VogelStimmen, gezogenen Bläsereien und elektronischen Seltsamkeiten" lautet also die Zusammenfassung. 4
Mit WISHAMALII kommen wir nochmal zurück zu menschlicher StimmStärke. "Al-Bahr" (Nordic Notes) feiert traditionsbewusste nahöstliche GesangsKunst, die (z.B. am Ende von "Tahmilat Bayat") auch mal etwas freier mit der Überlieferung und dem SoundSetting umgeht. "La Paz Eterna" wird durch das eingebaute Klavier beinahe zu "echtem" Jazz und das abschließende "Salla Fina" spielt mit ganz dezenten elektronischen ClubSprengseln. 4
Klanglich und auch strukturell erstaunlich ähnlich, dabei geografisch weit entfernt und ohne elektronischen Tingeltangel begegnet uns die "Coexistence"(Glitterbeat/tak:til) von DAL:UM. Das ist ein Duo zweier koreanischer Zither-Spielerinnen (mit den wundervollen Namen Ha Suyean und Hwang Hyeyoung), die natürlich traditionelle Instrumentenformen benutzen (wer's ganz genau wissen möchte: eine Gayageum und eine Geomungo). Frei-fremde Schönheit aus Rhythmus und Klang. 4
"In My Ears (for Maryanne)" (Line) von ESTELLE SCHORPP führt uns ins ElektroAvantgardistische. Der erste von zwei hier zu hörenden "synaptic choral"s besteht im Grunde aus wenig mehr als 8 Minuten elektronischem GrillenZirpen, das irgendwann mit HörgeräteAkustikerTestTönen verschränkt wird. Wobei sich – getreu dem alten Reich'schen "Phase Patterns"-Prinzip (dürfen wir das zukünftig als PPP abkürzen?) - aus den sacht gegeneinander verschobenen GrundSamples feinste und immer neue Überlagerungen ergeben. Der 18Minüter "one city away" wurde aus GlasGlocken-artigem Zwitschern, dämonischem Zischen, geisterhaftem Gluckern und anderen elektroakustischen Phänomenen zusammengesetzt. Und für "synaptic choral 2" verflicht die US-amerikanische SoundArtistin in ihren SuperCollider-Algorhythmen schließlich sieben kurze Morsezeichen mit knapp-signalhaften (semi)TelefonKlingelTönen. 4
Dazu passt KLARA LEWIS' als Verneigung vor ihrem Mentor Peter Rehberg zu verstehende LP "Thankful" (Editions Mego), bei der sich im Titelstück langsam eine CelloFigur aus der dunklen Stille schält, die – stetig wiederholt und in ein klein wenig SynthesizerWolkigkeit gehüllt – meditative Kraft verbreiten will. Doch spätestens im zweiten Drittel dieses 20Minüters setzt eine raue Verzerrung ein, die CelloSaiten beginnen sich an oder mit der Elektronik zu reiben, lassen den sanften Schönklang mehr und mehr zu harschem Noise gerinnen. Aus heiterem (naja, eher sehr düsterem) Himmel bricht das Stück urplötzlich ab und macht Platz für eine eigenartige, mit ihren gerade mal 1:16 Minuten aber trotzdem hinreichend lang(weilig)e Ukulelen-Fingerübung mit dem sinnigen Titel "Ukulele 1". Dann noch ein kurzes "Top"-Stück technoider Noise im Stil der spät80er/früh90er, bevor mit "Ukulele 2" nochmal 12 Minuten lang der Schönheit des in die Verzerrung verschobenen SaitenTones (hier eben der einer Ukulele) gehuldigt wird. 4
Zum Ende erfreut uns Kontemplatives: :- zunächst das neue Album der australischen JazzMinimalisten THE NECKS. Chris Abrahams (p, keys), Tony Buck (dr, e-git.) und Lloyd Swanton (b) sind nicht nur als Solisten ein fester Bestandteil der (va. Berliner) ImproSzene, sondern auch als Trio eine Macht. "Bleed" (Northern Spy) ist ihr 20.(!) Studioalbum und mit dem hier zu hörenden knapp dreiviertelstündigen "one-track"-Werk unter den vielen guten sicher eines der besten. Nach 6 Minuten zärtlichster PianoTupfen springt ein TrommelTusch ins KlangBild, die Sounds werden vorübergehend schärfer und nach etwa einer Viertelstunde führt ein verhalltes Keyboard den Weg an den nach wie vor die Gesamtatmosphäre prägenden KlavierBällchen vorbei ins ein wenig Feen-hafte. 5 Minuten später treten eine monoton angeschlagene Gitarre und ein bäriges BassBrummen hinzu (die KontrabassSaiten werden wenig später auch gezupft), bevor nach einer halben Stunde GlöckchenKlingeln und verschwommene KeyboardKlänge regieren und sich zum Ende hin schließlich alles in klare GitarrenAkkorde auflöst. Im Gesamteindruck angenehm zurückhaltend und aufgeräumt, ja beinahe spärlich oder asketisch arrangiert und doch voller Dynamik und KlangFarbenReichtum. 5
Finally: JOHN CAGEs "Winter Music" (Wergo) in der famosen Interpretation von Sabine Liebner als Weltersteinspielung in der "Complete version for one pianist" (Cage selbst hatte als InterpretationsAnregung ja "to be performed, in whole or in part, by 1 to 20 pianists, with or without Atlas Eclipticalis" über sein Stücke geschrieben). Die alte Frage zum Verhältnis zwischen dem vom Komponisten Gewolltem, Intendiertem, Notiertem und dem von der Interpretin Erfühlten, Erdachten, Erspielten und so Erschlossenem stellt sich gerade bei Cage jedes Mal aufs Neue – dieser dialektische Zusammenhang wird hier sogar im booklet ausführlich behandelt. Meiner bescheidenen Meinung nach ist es insbesondere für diese Art von Musik wichtig, einen erfahrenen Musiker, eine mit der Materie bestens vertraute Interpretin am Instrument zu wissen, denn gerade Cage gibt dem Interpretatorischen (und natürlich auch dem Zufall) einen weiten SpielRaum (sowohl im buchstäblichen wie im metaphorischen Sinn). Vieles ist in der Partitur nur skizziert, angerissen, vorgedacht; große Teile der Kunst liegen regelmäßig in der Aufführung. Der (Wieder)Hörbarkeit halber hat man das 67:03 Minuten-Werk hier in vier tracks aufgeteilt, die aber natürlich fließend ineinander übergehen. Das atmet zuweilen Feldman'sche Meditativität, gerade, nachdem sich die anfangs etwas harschen Akkorde in weiche(re) TonWolken aufgelöst haben. Phantastische Musik, die nur zu Beginn "sperrig" wirkt – sobald man sich auf Cage und Liebner einlässt, erfährt man eine ungeheure Ruhe und Tiefe. 5

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