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PERFORMANCE

Pop ist kein schmutziges Wort

PERFORMANCE

Manchester scheint ein kreatives Nest zu sein. Ich sage nur Joy Division. New Order oder The Smiths. Und jetzt Performance: ein Trio, bestehend aus Frontmann Joe Stretch, Gitarristin und Sängerin Laura Marsden und Joe Cross am Synthesizer und Bass.

Der Tag hat 25 Stunden

Wobei „jetzt“ nicht ganz richtig ist. Denn als Schulfreunde kennen sie sich schon ewig. Die Zeit, die Performance schon zusammen Musik machen, dauert gefühlt gleich mehrere Ewigkeiten an. Doch werden diese immer wieder brachial unterbrochen. Erst gibt es eine bandinterne Romanze, dann sind Drogen im Spiel oder eine psychische Krankheit stellt ihr Stopp-Zeichen auf. Schließlich hat Joe Cross für das Erfolgsduo Hurts geschrieben und Joe Stretch hat mit der gleichen Band am interaktiven Roman „Don’t Let Go“ gestrickt. Dann machten seine Romane international Furore, zuletzt ´The Adult´. In Deutschland ist bei Rowohlt sein Debüt ´Widerstand´ zu haben. Zusätzlich liest Joe Stretch auch noch an der Universität Keele über kreatives Schreiben. Das klingt, als müsse da der ein oder andere Tag schon mal 25 Stunden oder mehr haben. Doch die drei Künstler können voneinander nicht lassen. Sie kommen immer wieder zusammen und schaffen musikalische Kabinettstückchen. Eines nach dem nächsten.

„Wir sind einfach eine brillante Band“, stellt Joe Stretch unmissverständlich klar, „daran habe ich nie gezweifelt. Wir schreiben brutal geile Lieder. Das können nicht viele Bands von sich behaupten.“

Und das, obwohl sie sich nicht mal auf ein gemeinsames Mixtape für den Tourbus einigen können.

„Jeder hasst die Musik, die der andere hört“, schildert Joe Stretch das Dilemma, „und mit der Musik, die wir als Performance machen, hat sie nicht die geringste Schnittmenge.“



Fröhliche Musik - düstere Worte

So richtig fröhlich kann der Soundtrack dieses historischen Spannungsfeldes nicht wirklich sein. Doch falsch geraten. Das Trio Performance zaubert auf ihren aktuellen Album ´A Language´ süffige elektronische Tastenspielereien, in die Gitarristin Laura Marsden mit schön schrägen Riffs immer wieder hineingrätscht. Auch schon mal überdreht, aber genau an den richtigen Stellen und nie zu schrill. Beide laden die Stücke mit einer ganz speziellen Energie auf. Gemeinsam mit Joe Cross ist Laura Marsden auch verantwortlich für die fröhlichen Wellen, auf denen Joe Stretchs düstere und oft beunruhigende Worte surfen. Manchmal kleine, aber scharfzüngige Schockmomente. Dann emotionale Stoßgebete. Gegensätze? Überhaupt nicht! Aber die Quelle vom unglaublichem Charme, den Performance verströmen.

„Wir machen tatsächlich optimistische Musik“, bekräftigt Joe Cross diese Sichtweise, „aber ich bin mir sicher, dass es keine echte Freude und Fröhlichkeit ohne Melancholie gibt. Das sind eben zwei untrennbare Seiten einer Medaille. Wenn eine davon verschwindet, ist die ganze Medaille verloren.“

Performance präsentieren jedes einzelne ihrer Stücke mit voller Wucht. Sie rennen förmlich in die Lieder hinein und werfen sie den Hörern entgegen. Die große Stärke von Performance ist, dass sie ihre Stücke so schreiben, wie wirklich nur Performance sie schreiben können: euphorisch hochfliegend und ernsthaft tiefgehend zugleich.



Kampf für den puren Pop

Das, was des Hörers Ohr erreicht, das ist purer Pop. Schlimm?

„Wir sind gern eine Popband. Das ist ja kein schmutziges Wort“, stellt Joe Stretch ein für alle Mal klar und bringt die drei eingangs genannten Manchester-Bands erneut ins Spiel, „wir sind jedoch keine dieser Synthesizer-Revival Bands; denn wir kämpfen nicht für die gitarrenlose Zukunft des Rock’n’Roll. Wir nehmen uns die Idee, die des Synthesizer-Einsatzes bei New Order und führen sie weiter, genau so greifen wir die Text-Idee von The Smiths auf und schicken sie in die Zukunft und schließlich nehmen wir uns der Idee von Pop von Joy Division an und entwickeln sie fort.“

Und was kommt dabei heraus? Ein Klanggebäude mit Raum für den Hörer, es zu möblieren. Die beste Musik ist so. Sie hat höchsten Anspruch ist experimentell und innovativ und schließt Mickey Mouse in höchster Intensität mit Jean-Paul Sartre und Andy Warhol kurz. Mit einer fast existentialistischen Radikalität kämpfen Performance für ihren Pop, der Magie und Mythos in sich trägt. Der aber immer auch eine Aufforderung zum gepflegten Hüftschwung in sich trägt. Und manchmal stößt diese Hüfte die Tür zum Discohimmel ein klein wenig auf. Diese Kombination macht Performance so unwiderstehlich.

Beim Eintauchen in die ersten Takte löst die Platte zudem einen 80er-Jahre Flashback aus, darin verstecken sich zudem pfiffige, melodische Britpop-Anleihen. Kokettiert wird mit Klängen, die man immer zu kennen glaubt und bevor man ihrer wirklich habhaft wird, haben sie sich verflüchtigt und Platz gemacht für Joe Stretchs Stimme, die über blubbernde Synthesizer-Riffs, die mit einem dichten, vorwärts treibenden Beat unterlegt sind, hinwegfegt.

Mit ´A Language´ stehen Performance gleichzeitig knöcheltief in der Retrowelt und entführen von da aus das Stück in die bereits angesprochene musikalische Zukunft. Die liegt auch auf den Bühnenbrettern. Haben Performance bereits im Frühjahr, als Vorband von The Human League, bewiesen, wie explosiv sie auf der Bühne sind und Massen zum Toben gebracht, die eigentlich wegen einer anderen Truppe da waren, haben sie im Dezember endlich Zeit gefunden, wiederzukommen.

Aktuelles Album: A Language (BMG Rights Management/Rough Trade)



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