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QUICKSILVER

V.A.

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Der Sommer ist so gut wie vorbei, deshalb bereiten wir uns auf die herbstlichen WohnzimmerKuschelei am besten mit dem klassisch-melancholischen und doch irgendwie gut gelaunten IndieSoftPop vor, den die GenreSuperGroup SPIRIT FEST auf "Bear In Town" (Morr) spielt. Solcherlei DIY-Schönheiten gibt es natürlich schon seit Jahrzehnten (früher erschien sowas gern bei Elefant Rec.), aber bezaubernd ist der zarte Wispergesang zu zurückhaltender Gitarre, Bass, Schlagzeug, etwas Klavier und bunter Elektronik natürlich allemal. 4
Den von Notwist-Acher und Cico Beck (Aloa Input) umkreisten Kern von Spirit Fest bildet das japanische undergroundPop-Dou TENNISCOATS, das auf Einladung von Room40-Chef Lawrence English schon 2009 mit eben jenem als Gasttrommler eine kleine Australien-Tour absolvierte. Im Room40-Archiv fand sich jetzt im Zuge der Vorbereitung der Wiederveröffentlichung des 2007er Tenniscoats-Albums "Totemo Aimasho" ein wundersamer Publikumsmitschnitt aus dem tasmanischen Hobart, der – MC only plus "digital book" – als "Tasmania Bootleg" (beide Room40) in den Tenniscoats-Katalog eingeführt wird. Sicher eher für hardcore-Fans, denn die Musik hat es stellenweise schwer, sich gegen die Umgebungsgeräusche durchzusetzen, in seiner filigranen Schönheit und ambitionierten Improvisationskunst aber trotzdem sehr faszinierend. 4
Fährt man auf der Landkarte mit dem Finger von Hobart genau senkrecht nach oben, landet man irgendwann auf Hokkaido, der nördlichsten der japanischen Inseln. Dort haben sich trotz jahrhundertelanger Unterdrückung noch Reste der japanischen Urbevölkerung und ihrer Kultur erhalten. Eine wichtige Vertreterin der indigenen Ainu-Musik war die Sängerin UMEKO ANDO (1932-2004), deren exotischen Liedern wir auf "Upopo Sanke" (Pingipung) lauschen können. "Upopo" sind sogenannte "Sitzlieder" (im Gegensatz zu den rimse = Tanzliedern), man sitzt im Kreis und singt miteinander. Auf den 2000 gemachten Aufnahmen spielt Oki Kano (ein weiterer großer Ainu-Musik-Aktivist) die Tonkori-Zither, der Frauenchor Marewrew singt und auch ein unbekannter Ainu-percussionist, ein "string player" sowie ein nicht nur rhythmisch rufender, sondern auch den traditionellen Kehlkopfgesang zelebrierender und leider ebenfalls nicht namentlich bekannter Sänger tragen das ihre bei. Es entsteht ein beinahe mantrahafter fremder Zauber, eine hypnotische Atmosphäre aus call-and-response-Gesang und zurückhaltender instrumentaler Kraft. 5
Vielleicht lässt sich da über die schamanistischen Maultrommel- und Flöten-Klänge, die auf "Hämärä" (CPL), der neuen SÄHKÖPAIMEN-CD, eine recht prominente Rolle spielen, ein (natürlich sehr holpriger) Übergang finden. Bei Sähköpaimen (= elektrischer Hirte oder Zaun) bedient man nicht nur traditionelle finnisch-karelische Instrumente, sondern auch eine ansehnliche Batterie elektronischer Klangerzeuger. Und dann gastiert auch noch ein italienischer DorfChor (der das aussterbende Franko-Provenzalisch pflegt) und eine finnische Roma-Sängerin! Jedenfalls finden in dieser "Dämmerung" (so darf man "Hämärä" laut Info übersetzen) die uralten Bräuche des Hohen Nordens zu Dingen wie ModularSynths und ElektroLoops und werden zu sehr gelungener "Folk music from the twilight zone". 4
Auf eine ganz andere, deutlich akustischere Art, aber eben auch vermittels berückendem Gesang präsentieren FJARILL ihre neue CD "Walden" (Butter & Fly). Der Titel hat nichts mit Thoreaus Aussteiger-Klassiker zu tun, sondern bezieht sich auf das Walden-Studio im Norden Hamburgs, wo die Aufnahmen stattfanden. Mit dabei waren dieses Mal auch 2/3 des Tingvall Trios sowie Hans-Georg Spiegel am Akkordeon und Jens Thomas als PianoGast. Die familiären Verbindungen der Gäste zu den beiden singenden Fjarill-Gründerinnen Aino Löwenmark (gebürtige Schwedin) und Hanmari Spiegel (die stammt aus Südafrika) können wir hier nicht in ihrer ganzen Breite erläutern, wichtig ist ja vor allem, wie das Ganze klingt. Und da verbinden sich sanfter, von Hanmaris Geige/Bratsche-Spiel und den zarten KlavierFiguren der beiden geprägter (Folk)Pop mit dezenten JazzAnleihen und der zurückhaltenden Exotik vielfältiger Traditionen. Sanft-zart-dezent-zurückhaltend – das könnten allerdings auch nette Umschreibungen für "fad" sein, aber das ist diese Musik nun auf gar keinen Fall. 4
Deutlich unspannender scheint mir "The Wolf And The Lamb" (ARC), das neue Lebenszeichen von YALE STROM & HOT PSTROMI. Klezmer ohne Kraft. 2
Die hypnotische Macht lang tradierter FolkPrinzipien verbinden 75 DOLLAR BILL schon seit einiger Zeit zu etwas, dass ich in WZ 05/17 als artifiziellen TuaregRock und in WZ 07/19 als WeirdoWüstenBluesDrone tituliert habe. Das 2020 in Eigenregie digital veröffentlichte Album "Power Failures" materialisiert sich nun (endlich) via Karlrecords als 2LP. 4
Aber waren wir vorhin nicht schon mal bei ModularSynths und ElektroLoops? Erkunden wir mal weiter das elektrische Feld: Schon für die trackNamen der 3 EPs seiner "in:finite"-Reihe hat sich NICHOLAS THAYER ein Konzept überlegt: "on refracting", "on carrying", "on deeping", "on oiling", "on reflecting" heißen die auf #1, "on stretching", "on mourning", "on floating", "on embodying", "on being" die auf #2 und die auf #3 "on variegating", "on growing", "on searching", "on raining" und schließlich "on melting". Manchmal (z.B. bei "on oiling") schmiert er KlangReste zwischen sie zermalmende Zahnräder. Andere Stücke (z.B. das konzentriert-locker dahin gestrichene "on embodying") sind akustisch(er), mal akustisch-minimalistisch ("on variegating") oder auch akustisch-harsch ("on melting"), aber doch immer streng. Schön streng. 4
ELIAS ATTE KANTONENs "a path with a name"(Soda Gong) gibt’s nur auf Vinyl: knuspernde electronica, entrücktes Plätschern und Wispern, wehende Stimmfetzen – bei aller Niedlichkeit im KlangDesign strukturell dennoch sehr spannend. 4
Erinnert sich eigentlich noch jemand an Julien Ashs Nouvelles Lectures Cosmopolites, kurz NLC? Erst in der letzten Ausgabe hatte ich deren jüngstes Werk "The Golden Age (of nothing)" vorgestellt, schon gibt es, wieder via Attenuation Circuit, neuen Stoff des schon immer sehr produktiven Franzosen. Gemeinsam mit den ElektroDronern INNOCENT BUT GUILTY und dem aus einer Pariser Vorstadt stammenden Allesvermischer WOLF CITY widmen sie sich "Dystopian Thoughts". Das Info empfiehlt: "File under: dreampop, electro, psychedelic". Machen wir. 4
Im mehrfachen Sinne aus dem gleichen Stall kommt PHILIPPE PETITs "Sleepwatching The Stars Dance" (beide Attenuation Circuit). Denn nicht nur das Label und die Lust am Vielveröffentlichen eint NLC und PP, sondern auch das überlegt-unvoreingenommen Verwerten diverser Einflüsse. Allerdings orientiert PP sich dort, wo NLC gruftige Dekadenz feiern, mehr an abstrakter KlangAnalyse, die sich zuweilen sogar dem weiten Feld der akademischen Elektroakustik nähert. Einfach nur grandios! 5
Da ist der Weg zu "Record Players, Percussion and Sound Effects I" (Drid Machine/Hærverk Industrie) nur kurz. KJETIL BRANDSDAL & THORE WARLAND verbauen lock-grooves aus SchallplattenResten und freie Perkussion zu hochkomplexen KlangWänden. 4
Ein ganzes Lebenswerk feiert die 3LP "Electronic Music from 1972-2022" (Unseen Worlds), denn dort finden sich CARL STONE-Arbeiten aus 5 Jahrzehnten. Die ersten entstanden 1972 gemeinsam mit dem später als Z’ev zu höchster Anerkennung gelangenden Stefan Weiser, anderes unter dem Einfluss der Elektronischen Hochschul-Studios oder dem seines Studentenjobs (Stone überspielte eine Zeit lang am California Institute of the Arts Schallplatten auf Tonbänder und zwar alles von Barock über Elektronik bis Folklore), was oft zu ebenso zufälligen wie unvermeidlichen Koinzidenzen führte, die dann zu einem sehr nahrhaften KlangBrei geronnen. 5
Eine andere Art der Verneigung, nämlich die von gestandenen Künstlern vor einem Großen ihres Fachs stellt das 5-CD-set "All Micro Ambient Music" (12k) dar. Der Ende März verstorbene Ryuichi Sakamoto definierte Ambient für sich und uns ganz neu. Und so halten es auch die insgesamt 39 Musiker, die an dieser tribute-Aktion beteiligt sind. Dabei sind natürlich viele ganz Große des avant-elektronischen Improvisierens (Alva Noto darf genauso wenig fehlen wie Lawrence English, Taylor Dupree oder Christopher Willits) und entsprechend furiose (wenn auch oft recht zurückgenommene) Musik ist da schon beinahe zwangsläufig zu erwarten. Etwa die experimentellen Quietschereien (in einfach grandioser Qualität) von Otomo Yoshihide oder das Knistern, Knacken und Pfeifen des no-input-Mixers der unvergleichlichen Sachiko M. oder das ihres GeistesBruders Toshimaru Nakamura. Oder David Toops verhallter Schrei aus dem See. Oder Kazuya Matsumotos akustischer Bericht aus einem schmelzenden Eisberg (zumindest klingt dessen "Ice" genau so, wie ich mir eine solche Situation vorstellen würde). Oder der von Takashi Kokubo begleitete einsame "Rainforest soloist". Oder die feinen Ambient-Übungen von... ich glaube, man muss sich selbst die Zeit nehmen, die 4 Stunden dieser Box zu erforschen, denn an jeder Biegung wartet hier eine neue, wundervolle Überraschung. Und das gilt insbesondere auch für die selbst mit dem hier behandelten Genre vermeintlich Vertrauten weniger bzw. gar nicht geläufigen Namen! Warum aber "Available to the public for a limited period of 3 months."? Solch wundervolle TonKunst sollte doch dauerhaft verfügbar sein?! 6
Was auch für die Geburtstagsplatte "20 Years - Two Decades of Polychrome Sounds" (Les disques Linoleum) gilt, mit der das brillante Label des Kompinisten und Musikers Laurent Rochelle sich selbst feiert. Völlig zurecht natürlich. Zwischen MinimalSchichtungen ("Diagonales") und einigen wunderbar improvisierten BassklarinettenLäufen des Meisters ("Oscillations"!) bedanken sich hier viele Labelkollegen. Ob mit wildem Geschrei oder TrompetenArtRock wie das Lilliput Orkestra, mit Variete-Melancholie (inkl. verstörendem Gespenster-Ende) wie Catherine Le Forestier ("Qui s’en va") oder mit Schwelgereien wie Prima Kantas "Li" – alles siedelt im Spannungsfeld von Jazz, Minimal-Music und AvantPop. 5
Nach so viel KopfMusik brauchen wir noch ein bisschen was zum Zappeln. Vielleicht hilft die "Mud"-EP(Carton) der Lyoner AvantRocker PARQUET. Ihr treibender DiskoRock, bei "Brut" voller NoiseSynths, im Titeltrack beinahe funky, macht zumindest mir viel Spaß. 4
Mit "Gabori" (Kitchen Leg) von den beiden Japanern, die in Berlin als NOVATRON ihr Unwesen treiben, wird’s aber schon wieder bzw. nochmal anstrengender. Wände aus GitarrenVerzerrungen, wildes Chaos am Schlagzeug und jede Menge purer Energie auf einer sehr schicken 40-Minuten-Kassette. 4

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