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Beginnen wir unsere (früh)herbstliche Reise durch das weite Land der improvisierten Musik doch mal in jenen Gefilden, wo neben dronigen (nicht dornigen!) ZirkularBüschen auch zarte MelodiePflänzchen gedeihen, also vielleicht beim "Organism" (År & Dag) des COPENHAGEN CLARINET CHOIR. Der dänisch-deutsch-italienisch besetzte Klarinetten-6er befasst sich (wir verlassen jetzt besser das schief hängende Landschaftsbild!) mit fein strukturierten cl-Figuren, die vielfältig in- und gegeneinander verschränkt werden. Das reicht von schlanken Minimal-Loops bis zu freien Einwürfen, findet oft eine feste Gründung in einer Art BordumFundament und ist durch und durch bezaubernd. 5Wenn auch mit ganz anderen Mitteln erzeugt, ist die Wirkung des von Runhild GAMMELSÆTER & Lasse MARHAUG zwar nicht er-, in der Zwischenwelt von Noise- und StimmKunst aber offenbar doch ge-fundenen "Higgs Boson" (Ideologic Organ), recht ähnlich. Denn es geht auch hier um die Ausdeutung von Zwischenzuständen, Überlagerungen und Verschränkungen. In diesem Fall allerdings wesentlich düsterer, ja beinahe angsteinflößend. Gammelsæter wispert und faucht ihre Texte über Marhaugs finster-elektronische LärmSchichten, ich denke des Öfteren an Diamanda Galas und bin überzeugt, dass mir trotz wirklich häufigem Anhören noch nicht einmal 1/10 der verbauten Gedanken einsichtig geworden sind..."the giver of names". Beide Sachen gibt`s übrigens nur auf Vinyl! 5
Wie eine Synthese dieser beiden Platten beginnt die CD "Live à Venise" (Studiolabut) des Projekts KL4NG. Dahinter stecken das aus der Sopranistin François Kubler und Armand Angster (cl) bestehende Duo Accroche Note aus Straßbourg und das derzeit in Lyon residierende DJ-Team LAB’UT. Wobei man unter "DJ-Team" hier eine avantgardistische Break-Noise-Beat-Effects-Konfiguration zu verstehen hat, die mit herkömmlichem "4-to-the-floor" mal so überhaupt nichts zu tun hat. Kubler wechselt zwischen akademischem NeutonGesang und StimmExperimenten ebenso mühelos, wie sich Angster mit seiner Klarinette an die elektronischen Konstrukte anschmiegt. Fiepen und Zirpen können hier sowohl einem Schaltkreis wie auch einer schwingenden Luftsäule entstammen. Anstrengend und nicht immer schlüssig, zuweilen aber mit grandiosen Momenten, etwa wenn Kubler in "Recherche" u.a. über die Wort "kosten-los" und "Gedanken" improvisiert oder mit den über einen herrlich stupiden Rechner(HipHop)Beat gelegten SaxSplittern in "Firmin". Und bei "Sarde" gerät das Ganze sogar zu einer Art AvantFolk. 4
AvantFolk ist auch der Aufkleber, der in der Regel auf dem Fach mit Musik von ERLEND APNESETH klebt. Seine neue CD "Nova" unterstreicht die Richtigkeit dieser Einordnung, denn einmal mehr gehen hier Tradition (Apneseth ist Meister der Hardangerfiedel) und Experiment (er vermeidet süßliche Kleingeistigkeit, sondern erkundet lieber die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments jenseits des Bekannten) Hand in Hand. Auf "Nova" wird viel mit HallEffekten gearbeitet, so dass sich die Grundtöne mit MelodieLinien auf ganz wundervolle Weise vermischen können. 4
Eine sehr ähnliche, bei aller Entspanntheit in der Grundhaltung im Detail eben doch sehr ambitionierte, Atmosphäre spannt KIM MYHR auf seiner CD "Sympathetic Magic" (beide Hubro) auf. Myhr verwendet dazu nicht nur seine entrückten Gitarren, sondern auch etwas Synthesizer und eine antike Yamaha-Heimorgel (für Freaks: eine YC45D aus den frühen 70ern). Die Unterstützung durch verschiedene Perkussionisten (u.a. Ingar Zach) und weitere Gitarristen verbreitert das SoundBild nochmal. Eine angenehm verschrobene, mal meditative und mal aufwühlende Interpretation von PostRock. 4
Der Schwede MAGNUS GRANBERG hat sein imposantes Werk "Night Will Fade And Fall Apart"(Thanatosis) für das Avantgarde-erfahrene Tya-Ensemble geschrieben. Geige-Cello-Gitarre-Vibraphone-Klavier ist schon eine ungewöhnliche Besetzung und die Klanglichkeit des (zeit)raumgreifenden Stücks genauso. Auch wenn laut Granberg der mittelalterliche Komponist Solage sowie der Jazzstandard "My Foolish Heart" die Startpunkte seiner Gedanken waren, verweisen die Feldmansche Ruhe und ein Cage-haft-suchendes Tasten vielfach auf die New Yorker Schule. Interessant auch die aus dem Gesamtwerk herausgeschälten Solo-Parts (jeweils für Perkussion, Geige, Cello, Gitarre und Piano/Vibraphone), die verblüffender weise auch einzeln sehr gut funktionieren und dabei jeweils ganz andere Stimmungen induzieren. Die linernotes verfasste übrigens ein begeisterter David Sylvian.4
Eine ganz andere, für viele vielleicht zugänglichere Form entspannten Musizierens pflegt THILO SEEVERS. "Auszug" (bremen radiohall) ist genau das – entweder der Schritt aus dem Behüteten in die weite Welt oder ein Bild für die nackte Offenheit seines reinen Klavierspiels. Oder eben "nur" eine Auslese aus seinem reichen Repertoire. Jedenfalls hat der junge Bremer auf seiner ersten Soloplatte viel richtig gemacht. Impressionistische Unschuld und die schiere Freude an Schönheit und Harmonie treffen hier in sehr unterhaltsamer Weise zusammen (und ich bin mir sicher, dass ihn zu seinem "Rainflow" ein ganz bestimmter "Rainbow" inspirierte). 4
Ähnlich betörend, wenngleich weniger melancholisch sinnend, sondern frei(er) improvisiert sind die 12 Stücke, die CORNELIUS CLAUDIO KREUSCH auf "Eye Of The Storm" (GLM) versammelt hat. Das seltsame Instrument, das in "Berimbao" Platz für ein solistische Einleitung erhält, bevor das Klavier zum Saitenschwirren hinzutritt, ist übrigens genau das – ein Berimbao (für alle, die das wie ich nicht kennen: ein Stock, ein Draht, ein halber Kürbis – fertig. Stammt aus dem Nordosten Brasiliens.). Also: Jarrett-Köln-Konzert-Atmo mit ein klein wenig Exotik. Fein! 4
Jetzt aber genug der sentimentalen Ruhe, es muss doch auch mal krachen! Für solche Bedürfnisse ist PETER BRÖTZMANN eine sichere Bank. Gemeinsam mit den Istanbuler PsychFreeRockern von KONSTRUKT trötet er auf "Dolunay" (Karlrecords) gegen eine dichte Wand aus drums/percussion/Gitarre und Tenor-/Baritone Sax an, bis seine Kanne glüht. Ein weiterer Vulkan, dessen Lava sich erst langsam, dann aber doch unaufhaltsam Bahn bricht. Keine Gefangenen hier! 4
Auch auf JAN KLARE ist Verlass, wenn man sich die Ohren frei spülen lassen möchte. Sein neuestes Werk trägt den verwirrenden Titel "alto eager young u" (Umland) und besteht aus Klare-Impros, z.T. zu (sehr dezenten) Begleitungen von Elisabeth Coudoux (Cello), Joao Mendes de Sousa (drums und shruti-box), "manipulated presets" von Electribe (sehr schön beim kurzen "jk") oder as-kbcl-Ergänzungen (Florian Walter). Im Mittelpunkt steht aber schon das Klare-Horn, das schreiend, wimmernd, flüsternd, trötend oder fremdartig schmeichelnd aus den Boxen dringt. Ein schöner, aber auch etwas labyrinthischer Überblick. Das artwork auf der Rückseite der 2CD triggerte bei mir übrigens Erinnerungen an die "Grebo Gurus" von Pop Will Eat Itself! 4
Und zum Schluß noch etwas wirklich "weird"es: die Kompilation "Lift it up! Vol. IV: Global Players", die wir den Bayerischen SchrägDenkern von Gutfeeling Records verdanken, reiht aneinander, was nicht aneinander zu reihen ist. Da folgt auf psychedelische Prä-Bollywood-Exotik ein flotter KlezmerTune, allerdings einer aus Argentinien, nicht aus dem Shtetl. Dann ein "Japanese Hawaii Blues", Musik aus Kenia und Kolumbien, Kuba und dem Kongo, Rembetika und ein "Japanese Mambo" oder etwas Cumbia. Alles ausgesucht aus ober-obskuren Quellen (allein die Geschichte von den 35 kg japanischer Schellack-Platten, die irgendwie einen (frachtgünstigen) Weg nach Deutschland finden mussten, ist wunderbar!). "Eclecticism is the key" – so das Motto der "Lift it up!"-DJs, aus deren Schatzkiste diese grandiosen Seltsamkeiten stammen. Hören, staunen, freuen! 5
Fear No Jazz
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