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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Obschon die dunklen Wintermonate ja eigentlich mehr zur konzentrierten Auseinandersetzung mit "schwieriger" Musik einladen als laue Sommernächte, liegen zu Jahresbeginn doch hauptsächlich Tonträger mit konservativ-traditionellen Klängen auf meinem Schreibtisch.
Beginnen wir mit der sehr freundlichen und höchst verträumten Levitation, die DAGOBERT BÖHM mit seiner akustischen Gitarre evoziert. Auf "Within A Dream" (Ozella) geht es tatsächlich ein wenig traumhaft zu. Neben (und oft auch vor) die grazilen SaitenKlänge tritt gelegentlich Karl Seglems Saxophon und ein sanfter beat, bei "Lone Station" gar eine sehnsuchtsvolle Mundharmonika. Auch die keys (bzw. Fender Rhodes) von Carsten Mentzel fügen sich in die Sanftheit des Ganzen schön ein. 3
Dazu passt ADAM MILLERs "Gateway" (Inner Magic). Man kann einwenden, dass die weltvergessene Gitarrenmusik des Ex-Chromatics-Manns wenig mit Jazz zu tun hat, eher mit Ambient (das Info will uns was von Post-Punk weismachen und zieht Vergleiche zu Vini Reillys Durutti Column, Felt und sogar "den frühen The Cure", aber das ist natürlich Quatsch!). Doch wozu in Schubladen denken, wenn man diese elegisch dahin gleitende Musik genießen kann. Schwebende Gitarrenklänge und zarte SynthieWolken gelieren hier keineswegs zu einem BeliebigkeitsBrei, sondern zu einem schönen soundtrack für 40-Minuten-Badewanne-Relaxen. 4
Die Atmosphäre bleibt beim aus Thiery Maillard (p), Sylvian Luc (git) und Stéphane Belmondo (tr) bestehenden MLB TRIO entspannt und melodisch, wenngleich die Stücke auf "Birka" (Ilona) eine andere, offenere StilSprache sprechen. Die drei Franzose bringen zusammen sicher locker 100 Jahre JazzErfahrung in allen möglichen Konstellationen vom Orchestre National De Jazz über Michel Legrand und Wynton Marsalis bis Bireli Lagrène auf die (Studio)Bühne. Die Komposition stammt bei 8 Stücken von Maillard, bei 5 von Luc und 2 schrieb Belmondo – was trotz erkennbar bleibendem gemeinsamen Grundverständnisses zu einer schönen Heterogenität führt. "Sleipnir" oder "Revenir À Vous" sind da nur zwei (sehr gelungene) Beispiele. 4
Der italienische Schlagzeuger SIMONE PRATTICO lässt sich auf "Oriundo" (Zamora) am Bass mal von Edward Perez, mal von Essiet Okon Essiet (den man vielleicht von Dollar Brand/Abdullah Ibrahim-Platten oder einigen Aufnahmen mit Art Blakey & The Jazz Messengers kennt) und immer von Klaus Mueller (Piano und Fender Rhodes) begleiten, bei 2 Stücken kommt noch ein Streichtrio dazu. Das Ergebnis ist sehr solider und über weite Strecken auch recht spannender moderner old-school-Trio-Jazz. Klug und handwerklich sauber, aber auch voller Inspiration. Hört doch z.B. einfach mal in das spannend inszenierte "Push And Pull" rein: nach einem schönen drums-solo zur Eröffnung treten nach und nach erst der gezupfte Bass, dann herrliche Klavierkadenzen hinzu, wenig später folgen die aufregend arrangierten Streicher – aus vielen Einzelteilen wird ein Ganzes. 4
Etwas wilder wird’s in den "30 Years Of Success" (Off) der PIERRE VERVLOESEM GROUP. Der von X-Legged Sally und dEUS bekannte GitarrenMann treibt seine Begleiter zu etwas an, das ich FusionJazz für das 21. Jahrhundert nennen möchte. Denn mit den bekannten Stilmitteln (SynthEinsatz, intensive ElektroGitarrenGniedelein, wildes Getrommel, etc.) fabrizieren die Belgier etwas doch so ansprechend wie neuartig Klingendes. Dieser "Belgian Triumphalism" ist eine fröhliche Verbindung von Prog, BigBandJazz und straighter RockEnergie, die gerade durch ihre Unbekümmertheit gegenüber jedweder Kategorisierung so erfrischend wirkt. 5
Aber zwei experimentellere Sachen haben wir doch noch: In den späten 90ern war MARC MATTER Angestellter im Institut für Feinmotorik und die dort praktizierte eher objektorientierte und mechanische Umsetzung theoretischer Überlegungen in akustische und musikalische Phänomene hat er auch für seine one-sided-Solo-LP "Could Change" (Futura Resistenza) beibehalten. Dort wird, ausgehend von den vier Worten "Moves on / brings back" weiteres, aus "news headlines" destilliertes Textmaterial von einem speziell konstruierten Algorithmus in Form von "gradually shifting loops" geschichtet und solange gegeneinander ver- und übereinander ge-schoben, bis aus den Worten sämtlicher semantischer Sinn gewichen ist und die verknoteten Bruchstücke zu reiner Rhythmik werden. Auch wenn sich das Prinzip durchaus ein wenig an Alvin Luciers "I Am Sitting In A Room"-Experiment anlehnt, ist diese ganz treffend als "word composition" deklarierte SoundArbeit "dedicated to Diana Deutsch and her work on ’Phantom Words’.". Nicht nur für Fans von Ms. Deutsch und andere Musikpsychologen von Interesse! 5
Bei EMMANUEL SCARPA und seiner CD "Might Brank - The Masks" (Carton/Coax) bin ich noch nicht mal sicher, ob nicht ein Teil des von mir als CD-Titel vermuteten nicht doch eher der Künstlername ist – man wird aber auch aus der Musik nicht schlau. Denn da ist alles reine SchlagWerkKunst und WortSchichtung, im Studio live und zugleich eingespielt. "Onomato" ist grandios und "Sur La Harpe" irritiert mit plötzlicher mönchischer Zurückgenommenheit (inkl. semi-gregorianischem Gesang), aber auch der Rest fasziniert in seiner radikalen Reduziertheit auf (mal gerade, mal sehr gebrochene) Perkussion und Stimme. Hier und da sind auch Rückkopplungs-ähnliche Sounds zu hören (phänomenal: "Onoff"), aber alles, was hier nicht aus Kehle oder geschlagenem Fell/Holz/Metall entsprang, kann bestenfalls einem einer dieser Quellen nachgeschalteten Effektgerät stammen. Wundersam. Und höchst interessant. 4

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