Usura Music
Vor 2000 Jahren dichtete Ovid die "Heroiden", Briefe mythischer Frauen an ihre Männer, die aus mancherlei (oft kriegerischen) Gründen in der Fremde weilten. Sich der Treue ihrer Gatten nicht wirklich sicher, flehen oder fluchen die Frauen, sehnen oder drohen – die meisten der Briefe bleiben (bei Ovid) ohne Antwort. Diese amouröse Polarität, das Widerspiel von Liebe und Angst, von Leidenschaft und Misstrauen, kleidet der flämische Komponist, Pianist und (Falsett)Sänger Wim Mertens in Töne. Wobei er auch Antworten auf die Zeilen der Damen zu finden scheint, denn neben den mit seinem über die Jahre immer weiter gereiften Countertenor zur Klavierbegleitung vorgetragenen Liedern von Dido, Medea, Ariadne & Co. finden sich auf dieser Doppel-CD auch korrespondierende Versionen für ein mit Geige, Cello, Harfe und Piano besetztes (Kammermusik)Ensemble. Neben der für Mertens so typischen Mischung aus Sentiment und Strenge, aus Süße und Rauheit, beeindruckt gerade dieses musikalische Spiegeln: dort die vom hohen, so faszinierenden wie fremdartigen Gesang dominierte Ballade zum farbenreichen Klavier – da ihre wortlos die Feinheiten von Harfe und Streichern herausarbeitende Orchestrierung. Die Komposition ist die gleiche, die Wirkung ganz verschieden. Wie auch die Sicht von Held und Heldin auf ihr Tun (und Lassen). Die Dichotomie aufhebend verwischen sich denn auch die Positionen: antwortet die Harfe den FantasieWorten? Ruft das Klavier nach dem fernen Freund oder ist eher die Klage des Cellos das Bild für die Sehnsucht der Liebenden? Im zentralen, mit jeweils etwa 12 Minuten auch längsten Stück "Medea" wird diese Überlegung konsequent durchgearbeitet. Eine rhythmisierende Klavierstruktur trifft auf ein hingebungsvolles Cello. Oder eben auf elegischen SilbenGesang. Musikalisch gibt’s hier eine Menge zu entdecken und auch das artwork bietet eine dialektische Spannung: das Bild einer schreibenden Frau stammt vom zwischen Mittelalter und Renaissance stehenden Illustrator Robinet Testard, das Porträt des sinnend in (unsichtbare) Wolken blickenden Komponisten von der italienischen Fotografin Lucia Baldini. In der Musik wie im Bild verschmelzen Antike, Mittelalter und Jetzt zu einem allumspannenden Ganzen: die Nöte der Liebenden haben sich über die Jahrhunderte nun einmal kaum geändert. 5Weitere Infos: www.wimmertens.com
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