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CODEINE

Musik, die langsam vorbeizieht

CODEINE

Vor über 20 Jahren fassten Codeine den Entschluss, ihren intimen, zerbrechlichen Indierock im Zeitlupentempo, aber dennoch mit viel, oft unterschwelliger Aggression zu spielen, und erfanden damit praktisch im Alleingang das Slowcore-Genre. Nach zwei Alben und einer EP trennte sich die Band Mitte der 90er, doch nun wird das gesamte bahnbrechende Schaffen des New Yorker Trios in erweiterten Vinyleditionen sowie in Form der aufwendigen Sechs-LP-und-drei-CD-Werkschau "When I See The Sun" wiederveröffentlicht. Ein Rückblick.

Als Bassist/Sänger Steve Immerwahr, Gitarrist John Engle und Drummer Chris Brokaw 1989 zusammenfanden, klangen sie wie keine zweite Band. Umso erstaunlicher ist es, dass ihr experimenteller Sound bereits auf ihrem ein Jahr später veröffentlichten Debüt ´Frigid Stars LP´ bereits so perfekt war, dass große konzeptionelle Nachbesserungen auf den folgenden Veröffentlichungen praktisch unnötig waren. Der Grund dafür war nicht nur, dass Codeine eine klare Vorstellung von ihrem einzigartigen Sound – Musik, die ganz langsam am Hörer vorbeizieht – hatten, sondern auch verbissen hinter verschlossenen Türen daran arbeiteten, bevor sie sich in die Öffentlichkeit wagten.

“Steve und John hatten schon ein Jahr an der Musik gefeilt, als ich zu ihnen stieß”, erinnert sich Chris Brokaw im Westzeit-Interview. “In unserem ersten gemeinsamen Jahr arbeiteten wir nur sporadisch, aber bevor wir im Sommer 1990 die erste Platte aufnahmen, hatten wir alles ziemlich vervollkommnet. Es hat eine Weile gedauert, bis es sich für mich natürlich anfühlte, diese Musik zu spielen, aber als es so weit war, veränderte es mich für immer.”

Trotz begeisterter Kritiken und einer erfolgreichen ersten Europa-Tournee mit den Seelenverwandten Bastro im Jahre 1991 kam der kreative Motor der Band schon bald ins Stocken. 1992 verwarf das Trio Material für eine komplette LP, lediglich die EP ´Barely Real´ erblickte das Licht der Welt. Einige Songs wurden – mit Brokaws Nachfolger am Schlagzeug, Doug Scharin – 1994 für die zweite und letzte LP, ´The White Birch´, neu aufgenommen, viele andere Stücke und Versionen werden dagegen erst jetzt auf ´When I See The Sun´ veröffentlicht.

“´Die 'Frigid Stars LP' fiel uns leicht, alles, was danach kam, war sehr kompliziert”, erinnert sich Brokaw. “Wir hatten ernste Schwierigkeiten herauszufinden, was wir machen wollten. Dennoch bin ich sehr glücklich, dass viele der damals unveröffentlichten Stücke nun erscheinen. Unsere Version von ´Wird´ zum Beispiel ist meiner Meinung nach das Beste, was die Originalbesetzung jemals aufgenommen hat. Nie haben wir besser das eingefangen, was uns vorschwebte. Ich empfand es damals als unglaublich frustrierend, dass wir diese Version nicht veröffentlicht haben. Umso glücklicher bin ich, dass sie nun endlich herauskommt.”

Ungeachtet der Probleme, die die Band gegen Ende ihres kurzes Lebens hatte und die letztendlich nach einer finalen Tournee im Sommer 1994 zu ihrer Auflösung führten, hat sich das Schaffen der Amerikaner über die Jahre als ungemein inspirierend erwiesen. Zahllose Indierock-Größen, von Bedhead bis Low, von Sebadoh bis American Analog Set, sind deutlich von Codeine beeinflusst. Keine Frage, der Kult um das Trio wuchs beständig. Deshalb ist Brokaw auch nicht ob des überwältigenden Echos bei Fans und Medien erstaunt, das die anstehenden Wiederveröffentlichungen und die weltweit weniger als 20 Konzerte, die diesen Sommer ohne Chance auf Wiederholung geplant sind, ausgelöst haben:

“Nein, das hat mich wirklich nicht überrascht, denn seit Jahren höre ich immer wieder: ´Wenn ihr jemals wieder auftretet, nehme ich das erste Flugzeug, um dabei sein zu können!´, und vor allem in den letzten Jahren haben mich auch immer wieder Fremde auf die Band angesprochen” , erzählt der 47-Jährige. “Ausgerechnet in der US-Ausgabe des Rolling Stone eine Ankündigung unserer Tournee zu finden, war allerdings schon ein bisschen seltsam.”

Aktuelles Album: When I See The Sun (Boxset) (The Numero Group / Groove Attack)


Weitere Infos: › www.heartofthunder.com/codeine Foto: Laura Larson

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