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Dystopie in Töne gegossen

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Furchtlos, unkonventionell, authentisch: Mit ´Living Waters´, dem inzwischen fünften Album ihrer Band E, knüpfen Thalia Zedek, Jason Sanford und Newcomer Ernie Kim einmal mehr an alte No-Wave-Grundwerte an, gleichzeitig öffnen sich die drei erfinderischen Amerikaner mehr denn je neuen Einflüssen und gehen so zwischen smartem Songwriting und der puren Freude am Experiment weiterhin unbeirrt ihren eigenen Weg, bevor sie im Juni und Juli auch wieder auf europäischen Bühnen zu Gast sind. Hierzulande sind Auftritte in Wetzlar, Berlin und Leipzig sowie beim Fusion Festival in Lärz geplant.

Ziemlich genau zehn Jahre ist es inzwischen her, dass E ihre allererste 7"-Single, ´I Want To Feel Good´, veröffentlicht haben. Fünf Alben später muss Gitarristin/Sängerin Zedek, einst bei Come und auch als Solistin aktiv, im WESTZEIT-Interview nicht lang überlegen, um die Frage nach der wichtigsten Lektion aus einer Dekade E zu beantworten.

"Ich schätze, es ist das Vertrauen", sagt sie. "Da ´Living Waters´ mit unserem inzwischen dritten Schlagzeuger geschrieben und aufgenommen wurde, habe ich gelernt, auf die Chemie zwischen mir und Jason zu vertrauen. In den letzten zehn Jahren haben wir bewiesen, dass wir in der Lage sind, mit allen möglichen unterschiedlichen Bedingungen und Musikern zusammenzuarbeiten, kreativ zu sein und zu wachsen."

Dass das nicht geflunkert ist, wird beim Hören des Albums schnell deutlich. Befeuert durch den etwas verspielteren Stil von Neuzugang Kim, suchten sich Sanford und Zedek für ´Living Waters` neue Herausforderungen und ließen sich dabei auf ungewohnte Perspektiven und ein erweitertes Instrumentarium ein. So beweist Kim gleich auf seinem ersten Album mit der Band, dass er mehr als nur Schlagzeuger ist, und tut sich auch als Saxofonist und – bei zwei Songs – als Leadsänger hervor. Gitarrist/Sänger/Tüftler Sanford, der schon in der Vergangenheit mit seinen selbstgebauten Gitarren und Effekten für Aufsehen gesorgt hatte, war auch dieses Mal nicht untätig, und auch Zedek wurde erfinderisch. Sie verwendet nun einen zusätzlichen Tonabnehmer in ihrer Gitarre und lässt ihn durch ein Oktavpedal laufen, um Gitarre und Bass gleichzeitig spielen zu können.

Gerade Letzteres ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sich E, jenseits von Sanfords hausgemachten Effekten (dem Bass E Stomper und dem Monosequenzer), jahrelang gegen die Bass-Nutzung ausgesprochen hatten. Dieses Mal gab es aber gute Gründe für ein Umdenken.

"Bei den ersten beiden Platten, ´E´ und ´Negative Work´, hatte ich das Gefühl, dass das Fehlen des Basses dazu führte, dass jeder ein bisschen härter arbeiten musste, um mehr von dem tiefen Klangbereich abzudecken", erinnert sich Sanford. "Ich hatte das Gefühl, dass wir durch die Abschaffung der Rolle des Bassisten ein egalitäres Modell geteilter klanglicher Arbeit entwickelt hatten, das eine gewisse Art von utopischem Denken nahelegte. Als ich später den Monosequenzer entwickelte, hatte er den seltsamen Effekt, dass er gleichzeitig unsere musikalische Palette erweiterte und unsere klanglichen Aufgaben einschränkte. Ich hatte das Gefühl, dass ich zu viel von der Verantwortung des Basses übernommen hatte. Die Integration des Submarine-Tonabnehmers in Thalias Gitarre und die separate Effektkette, die zu einem Bassverstärker führt, hat uns wieder auf unsere ursprüngliche utopische Vision der geteilten Verantwortung ausgerichtet."

Das bedeutet auch, dass Kim auf ´Living Waters´ nicht nur der Juniorpartner von Zedek und Sanford ist, sondern fester Bestandteil des basisdemokratischen Ansatzes der Band. Tatsächlich fügt er sich bemerkenswert nahtlos ein – und das, obwohl er in große Fußstapfen zu treten hatte: in die von Gavin McCarthy, dem familiäre Verpflichtungen und die Reunion seiner alten Band Karate zuletzt nicht mehr genug Zeit für E ließen.

"Als Schlagzeuger und Performer auf Gavin zu folgen, war ziemlich einschüchternd, ganz abgesehen von der gewaltigen Aufgabe, all die alten Songs zu lernen", gesteht Kim. "Ich betrachte mich selbst als Musiker, der auch Schlagzeug spielt. Gavin ist zwar auch ein Multiinstrumentalist, aber er ist vor allem Schlagzeuger mit einem großen 'S'! Zum Glück hat Thalia mehrere Monate lang mit mir gespielt, um mich auf den neuesten Stand zu bringen (wir wohnen etwa tausendmal näher beieinander als Jason). Dadurch, dass ich regelmäßig mit der Hälfte der Band proben konnte, fühlte ich mich sofort wie ein Bandmitglied und nicht nur wie ein Freund, der am Schlagzeug aushilft. Die Zeit, die ich damit verbrachte, Gavins Parts und kompositorische Entscheidungen intensiv zu studieren und zu ergründen, wie sie zu den beiden einzigartigen und unkonventionellen Stimmen von Thalia und Jason passen und sie ergänzen, hat mir geholfen, E zu verstehen."

Dass E auch nach einem gemeinsamen Jahrzehnt immer noch überraschen können, ist nicht zuletzt dem ungewöhnlichen Credo der Band geschuldet. Denn Sanford befriedigt mit seinem Faible für selbst gebaute Instrumente und Applikationen nicht nur seinen inneren Daniel Düsentrieb.

"Wir haben es hier mit einem Prozess zu tun, den ich als 'Dialog mit Materialien' bezeichne", erklärt er. "Manchmal geben die Instrumente Klänge oder Effekte vor, die zu Songs werden können, und manchmal gibt es eine Idee zu einem Song, die von den Instrumenten etwas anderes verlangt – oder gelegentlich sogar die Entwicklung eines neuen Instruments nahelegt."

Textlich dagegen bleiben sich E treu: Der Blick unter die Oberfläche und das Aufzeigen von (versteckten) Dingen, die in der modernen Gesellschaft falsch laufen, ist eine Konstante in der gesamten Laufbahn der Band. Doch warum ist Musik eigentlich das richtige Medium, das richtige Mittel, um eure dystopischen Gefühle zu vermitteln?

"Ich finde, dass Musik und Texten das perfekte Ausdrucksmittel sind, weil man sie so kombinieren und gestalten kann, dass sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig verstärken", sagt Zedek. "Das Jahrzehnt, in dem E schreibt und aufnimmt, war ein extrem turbulentes, und genau das kommt in unseren Songs zum Ausdruck!"

Aktuelles Album: Living Waters (Silver Rocket)


Weitere Infos: abandcallede.bandcamp.com Foto: Ben Stas

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