"Ich hoffe, dass es für die Menschen, die es hören, etwas bewirkt, dass es sich echt anfühlt. Das ist alles, wonach ich strebe", sagt Jessica Pratt über ihr nun erscheinendes viertes Album, ´Here In The Pitch´, für das die 1987 geborene Singer/Songwriterin aus Los Angeles sich ein Stück weit von der klassischen Westcoast-Folk-Einsamkeit ihrer früheren Werke distanziert und mit Versatzstücken aus Latin-Rhythmik und dezentem Jazz gelungen Entschleunigung mit melancholischem Unterton zelebriert.
Jessica Pratt macht es spannend. Bei unserem geplanten Zoom-Interview bleibt der Bildschirm leer, weil die Künstlerin erkrankt ist, und auch ein paar Antworten per E-Mail zu bekommen, gestaltet sich schwieriger, als man glauben sollte. In allerletzter Sekunde erreichen uns dann doch noch ein paar Statements, die – um es positiv auszudrücken – genauso minimalistisch und karg sind wie die Arrangements ihrer Songs auf ihren ersten drei Alben, mit denen sie auf den Spuren des althergebrachten Laurel Canyon-Folk und der psychedelischen Aura des Kaliforniens der 60s wandelte. Ähnlich wie bei der großartigen Amber Rubarth glichen Pratts Songs bisweilen über die Jahre gewachsenen Skulpturen, und tatsächlich schien es Parallelen zwischen Bildhauerei und ihren Liedern zu geben, denn sie stellte in der Vergangenheit stets Reduktion in den Vordergrund.Schon auf ihrem letzten Album, dem vor fünf langen Jahren erschienenen ´Quiet Signs´, ergänzten allerdings hier und da eine jazzige Flöte, sanfte Orgelklänge und sporadische Piano-Tupfer dezent die ganz aufs Wesentliche beschränkten Fingerpicking-Songs Pratts. Für ihr nun erscheinendes viertes Album – ihr zweites auf dem Berliner Label City Slang – wählte sie allerdings einen anderen Weg. Mit oft volleren Arrangements entdeckt sie auf ´Here In The Pitch´ mit Schlenkern zu orchestralem 60s-Pop, Hollywood-Psychedelia und Bossa Nova die Möglichkeiten jenseits des solistischen Singer/Songwriterinnen-Daseins. Auf ´Here In The Pitch´ widmet sie sich einem großen Klangpanorama, das das Publikum ans Meer und Kalifornien denken lässt, ohne dass Pratt deshalb aus den Augen verliert, was sie in der Vergangenheit ausgezeichnet hat.
"Wenn man den wesentlichen Kern verliert, ist man verloren", erklärt sie diesen bewussten Schritt. "Wenn man die Flamme am Leben erhalten kann, während man mit der Produktion und umfangreicheren Arrangements experimentiert, dann ist man gut dran."
Unterstützt wird sie dabei anders als auf den Vorgängerwerken, für die sie sich ihre Kollaborateure in ihrem engsten Umfeld suchte, von einer Reihe hochkarätiger Gäste wie Gitarrist Ryley Walker oder Alex Goldberg, die bislang nicht in ihrem künstlerischen Orbit aufgetaucht waren und Pratt jetzt wie Freunde vorkommen.
"Wir hatten das Glück, Besuch von einigen unglaublich talentierten Musikern zu bekommen, vor allem in Form einer Rhythmusgruppe: Mauro Refosco mit Handpercussion und Spencer Zahn am Bass", erzählt sie. "Sie hatten beide ein großartiges Gespür für die Musik, so dass es nicht wirklich zu Spannungen kam. Allerdings gab es wechselnde Rollen. Al Carlson, der Tontechniker, spielt auch Bass. Ich habe sogar einmal Schlagzeug gespielt. Es gibt viele Synthesizer- und Orgelbeiträge von mehreren Leuten."
Das Resultat ist ein Album, mit dem Pratt nachdrücklich beweist, dass die Grenzen ihres musikalischen Universums nicht so eng gesteckt sind, wie ihre früheren Platten vielleicht vermuten ließen: Man höre nur den ersten Song ´Life Is´, der mit seinem Phil-Spector‘esken Wall of Sound früh die Richtung vorgibt, in die Pratt sich mit dieser LP bewegt. Trotz alledem: Ihr Kompass ist dabei auch weiterhin ihre Intuition, die dafür sorgt, dass ihre Lieder auch weiterhin bisweilen herrlich eigensinnig, aber auch voller Schönheit und Erhabenheit sind. Dass sie ausgerechnet die 1968er-Beach-Boys-Platte ´Friends´ mit ihren herrlich schrägen, von Brian Wilsons mentalen Problemen gekennzeichneten Songs als Inspirationsquelle nennt, passt da irgendwie perfekt ins Bild.
Textlich verarbeitet Pratt auf ´Here In The Pitch´ manchmal Autobiografisches, noch öfter allerdings sucht sie sich Figuren, die ihr als Ventil für Gefühle dienen, die durch das Storytelling an Gewicht und Größe gewinnen. Doch wonach genau sucht Pratt beim Songschreiben eigentlich?
"Ich glaube nicht, dass ich jemals bewusst nach etwas suche, wenn es um Texte oder Lieder geht", erklärt sie. "Es geht einfach darum, wie es einen trifft. Die Texte können bizarr oder unglaublich einfach sein, und solange sie zur Melodie passen, ist das alles, was man wirklich braucht. Ich neige dazu, mich den Texten von einem Standpunkt aus zu nähern, der sich sehr auf die Melodie und die Form konzentriert, aber ich schätze auch einen wortreichen oder literarischen Text. Es kommt einfach auf den Kontext an. Wenn es funktioniert, funktioniert es!"
Aktuelles Album: Here In The Pitch (City Slang/Rough Trade) VÖ 03.05.
Weitere Infos: www.jessicapratt.net Foto: Renee Parkhurst