Die kanadische Songwriterin Abigail Lapell hat in unseren Breiten sicherlich noch nicht den Status erreicht, der ihr als Künstlerin zustände, die bereits seit 2012 aktiv ist, sich als Live-Sängerin und Musicians Musician in Nordamerika einen Namen gemacht hat, mehre Canadian Folk Awards vorweisen kann und bereits vier Alben veröffentlichte. Vielleicht war es aus diesem Grund keine schlechte Idee, dass sie sich für die Produktion ihres nun vorliegenden, fünften Albums „Anniversary“ mit dem auch bei uns über sein Bandprojekt Great Lake Swimmers bereits etablierten Kollegen Tony Dekker zusammentat, der sie als kreativer Partner in Crime (und Rhyme) bei der Produktion, Technik und Logistik unterstützte. Nachdem Dekker zuvor mit den Great Lake Swimmers seine eigene Musik an so ungewöhnlichen Orten wie Höhlen, Scheunen und Getreidesilos eingespielt hatte, überrascht es dann nicht besonders, dass er Abigail empfahl, ihre aktuelle Songsammlung in einer Kirche einzuspielen.
Ihre Laufbahn begann Abigail Lapell zunächst als klassische Folk-Künstlerin. Nun ist das aber so, dass sich Abigail Lapell – speziell auf diesem Album – stilistisch deutliche breiter aufgestellt hat und mit Rock-, Indie- und Psychedelia-Elementen experimentiert. Wovon zeigte sie sich selbst denn inspiriert?„Also ich denke viel über Harmonien und Stimmen nach – das ist meine große Liebe. Ich hatte Glück, dieses mal mit so tollen Musikern wie Tony Dekker zusammenarbeiten zu können – und das hat mich inspiriert, mich aus meiner Komfortzone herauszubewegen, schätze ich."
In welcher Kapazität war denn die Zusammenarbeit mit Tony Dekker wichtig?
„Ich konnte mit Tony auch auf der kreativen Ebene gut zusammenarbeiten“, führt Abigail aus, „ich habe zwar zuvor schon mit wundervollen Produzenten und Tontechnikern zusammengearbeitet – aber mehr auf der technischen Ebene. Mit Tony habe ich mich aber im Vorfeld stundenlang über Songstrukturen, Klänge und auch die Produktion ausgetauscht. Er hat mir also auf der technischen und der kreativen Seite geholfen – und das war eine große Hilfe, weil ich so einen Partner in Crime hatte, der mir viele Details abgenommen hat."
Inwieweit nahm Abigail beim Schreiben der Songs noch Bezug zu ihren Folk-Roots? Ging es vielleicht darum, traditionelle Folk-Formate in einem modernen, zeitgemäßen Indie-Rock-Setting zu implementieren?
„Ja total“, pflichtet Abigail bei, „wie Du schon sagst, schrieb ich in der Art einer Folk-Sängerin und verwendete in den Texten viele Bilder aus der Natur, während die Arrangements dann in eine Rock-Richtung gingen. Ich denke, man könnte das auch als Folk-Rock-Ästhetik bezeichnen. Ich würde es gerne elektrischen Folk nennen wollen – einen Hybrid also."
„Anniversary“ bedeutet im englischen Sprachgebrauch nicht nur „Geburtstag“, sondern auch wiederkehrende Jahrestage. Insofern singt Abigail also über Erinnerungen an verschiedene, zurückliegende Ereignisse in ihrem Leben. Welches Thema hatte denn im Sinn, als es daran ging, die neuen Songs zu schreiben?
„Nun – alle Songs sind irgendwie Liebeslieder“, erwidert Abigail, „das war der lockere Rahmen, in dem ich gedacht habe. Natürlich gibt es verschiedene Stile und verschiedene Genres des Liebesliedes. Einige Songs sind eher spooky, andere dysfunktionale Liebeslieder und andere eher romantisch. Ich war auf jeden Fall froh, dass ich dieses Thema hatte, denn so habe ich zuvor noch nie gearbeitet. Es ist eine interessante Weise, sich auf ein Projekt zu fokussieren, wie ich finde."
Ging es dabei auch um eine Art Chronologie des Liebesthemas und darum, wie sich die Liebe im Lauf der Zeiten verändert?
"Oh diese Idee finde ich toll“, meint Abigail, „auf jeden Fall habe ich die Sache als Rückblick angelegt. An eine Chronologie habe ich damals zwar noch nicht gedacht, aber im Nachhinein war es das schon. Ich weiß gar nicht, was mich antreibt, Songs zu schreiben – und manchmal weiß ich auch gar nicht, worüber ich eigentlich schreibe. Wenn ich dann darauf zurückschaue, realisiere ich dann erst, wovon der Song tatsächlich handelt, wenn sich das Thema oder das Motiv offenbart. Das ist mir jedenfalls bei diesem Album so gegangen. Es geht dann darum, mit der Liebe alt zu werden oder – wie Du sagst – dass man seine Sichtweise ändert, wenn man älter wird. Man denkt als Teenager schließlich anders als in den 40ern oder 60ern oder was immer. Und das ist es, was ich interessant an dem Thema fand – nämlich etwas tiefer zu gehen, als nur die romantischen oder sexy Aspekte eines Liebessongs zu betrachten. Es gibt in der Popkultur ja eigentlich nur diese Form der Liebe, die wir betrachten – und ich wollte den Blickwinkel erweitern und die Grenzen ein wenig verschieben."
Wie geht es weiter für Abigail Lapell?
„Das ist eine gute Frage“, zögert Abigail, „bei diesem Album ging es mir ja darum, mit einem anderen Musiker als Co-Produzenten zusammenzuarbeiten – und das war ein großer Schritt für mich. Die Zusammenarbeit mit Tony Dekker war für mich eine große Unterstützung und außerdem war es wichtig, dass ich so eine redaktionelle Stimme zusätzlich hatte. Was ich in dieser Hinsicht als nächstes machen will, weiß ich noch nicht. Was ich aber tatsächlich gerne mal machen würde, ist mit mehr Musikern als bisher auf Tour zu gehen um größere Live-Shows präsentieren zu können."
Hoffentlich tut sie das bald auch ein Mal bei uns. Eine Europa Tour kann es aber erst geben, wenn Abigail ihr neues Album in Nordamerika präsentiert hat.
Aktuelles Album: Anniversary (Outside Music / Bertus) VÖ: 10.05.)
Weitere Infos: https://www.abigaillapell.com/