Musik, die die Zeit stillstehen lässt: Mit ihren feinsinnigen Songs trägt die in Berlin heimische Singer/Songwriterin Lotta St Joan die Magie des Folk von gestern und vorgestern mit traumwandlerischer Leichtigkeit in die Jetztzeit und findet so, einfühlsam und stimmgewaltig zugleich, die perfekte Ausdrucksform für ihre grüblerisch–tiefgründigen Texte. Nach dem Traumstart mit dem Album ´Hands´ vor drei Jahren hebt sie ihr Tun nun mit ihrem nicht weniger beeindruckenden zweiten Album ´Song For The Undecided´ auf die nächste Stufe.
Die Musik begleitet Lotta St Joan zwar schon fast ihr ganzes Leben lang, die Idee, sie zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen, war für sie aber lange abstrakt. Nach ihrem Lehramtsstudium spürte sie allerdings, dass der Schmerz, diese Seite ihres Ichs nicht auszuleben, immer größer wurde. "Meine Anfänge im Songwriting waren textlich gesehen sehr schüchtern", sagt sie rückblickend im WESTZEIT–Interview. "Es ging mir um die Melodie, die Musik, die Stimmung – den Text versteht ja eh keiner. Es waren dann Musiker–Kollegen in der Berliner Folk–Szene und natürlich die Klassiker: Leonard Cohen, Joni Mitchell, Joan Baez, die mich gelehrt haben, dass der Text das Lied trägt." Ähnlich wie ihre Vorbilder transportiert Lotta ihre Gedanken und Gefühle in ihren Songs wunderbar unverfälscht – und das ist kein Zufall. "Alles, was ich sage, muss in dem Moment wahr sein, das war mein Credo", sagt sie über die Songs ihres ersten Albums. "Seitdem kommt oft der Text zuerst, dann die Musik. Folk bietet sich dafür an; jeder Song ist am Anfang wohl irgendwie Folk, wenn die Gitarre dazu zupft. Ich wollte mich nicht ablenken lassen, sondern auf das Handwerk konzentrieren – das Lied muss so funktionieren, ohne Schnickschnack. Das macht für mich Folk aus. Das hat beim ersten Album geklappt, aber ich bin Musikerin und liebe es, in der Gruppe zu spielen – deswegen habe ich mich für das zweite Album weitergewagt."Hatte sie auf ihrem Debütalbum mit einer bemerkenswerten songwriterischen Zurückhaltung und einer herrlich empathischen Performance geglänzt und die Reduktion auf das Wesentliche in den Fokus gerückt, um wunderbar intim und mit großer Gelassenheit die (Un–)Tiefen ihrer eigenen Gefühle zu erkunden, ist der klangliche Rahmen auf dem Nachfolger weiter gefasst. Das Echo der Musik von Laura Marling, Adrianne Lenker und Angel Olsen kann man dabei genauso hören wie den Einfluss von Nick Drake, der Lotta immer wieder in den Sinn kam, als es im Studio darum ging, eine warme, gemütliche Klangfarbe für das neue Album zu finden. Auf ´Song For The Undecided´ verschmelzen deshalb klassisch–elegante Folk–Schlichtheit und nostalgischer Pop mit orchestralem Glanz. Filigranes Gitarren–Fingerpicking, leichtfüßige Klavierfiguren, dezente Bassläufe, einschmeichelnde Streicher und warmtönende Bläser sorgen dabei für einen stets transparenten, aber doch liebevoll ausstaffierten Sound, der die oft Melancholie–getränkte Schwere der Songs im Handumdrehen vergessen lässt: das Werk einer Künstlerin, die das Musikmachen nicht als Sprint zu kurzlebigen kommerziellen Erfolgen, sondern als Marathon, als Lebensaufgabe sieht. Auch deshalb stand es für sie nie zur Debatte, ihre neuen Songs als Singles oder EP zu veröffentlichen. Im Gegenteil: ´Song For The Undecided´ erscheint (auch) als Vinyl–LP, ganz stilecht mit Klappcover – abgedruckte Songtexte auf der Innenseite natürlich inklusive. "Ich höre selbst fast ausschließlich komplette Alben, der Playlist–Trend geht an mir vorbei", verrät Lotta. "Das heißt nicht, dass ich nicht manchmal Songs in Dauerschleife höre – künstlerisch gesehen ist es mir aber zu kurz gedacht. Vielleicht auch etwas old–school: ich will Platten machen, am besten so viele wie möglich! Und ich will sie in der Hand halten. Ich finde es außerdem wahnsinnig interessant, Alben anderer Künstler zu hören und dann deren Leben zu recherchieren, um ganz genau zu verstehen, was gemeint ist."
Solch ein Album ist nun auch ´Song For The Undecided´, eine Platte, in die man tief eintauchen kann, um immer wieder neue Facetten zu entdecken. Das Interesse an einer stärker Band–orientierten Herangehensweise ist dabei nichts vollkommen Neues für Lotta. Vor ihren Solo–Veröffentlichungen hat sie in verschiedenen Bands gespielt und war zuletzt auch mit dem kollaborativen Singer/Songwriter–Projekt Sirens Unleashed (ehemals Songs Of The Sirens) unterwegs. Die Erfahrung, als echte Solistin zu arbeiten, möchte sie trotzdem nicht missen. "Songwriting ist eine wunderbar einsame Sache – für mich jedenfalls war das immer so", sagt sie. "Allein auf der Bühne zu stehen – und das gern –, war für mich die beste Schule, um auch in der Band oder im Ensemble zu sein. Die Motivation ist dann eine andere: ich möchte mich nicht verstecken, sondern noch ‚lauter‘ sein. Meine Supergroup Sirens Unleashed besteht aus vier Singer/Songwritern (Mone, Olivia Void und Lena Minder), und wir sind es alle gewöhnt, allein zu performen. Gemeinsam zu touren und die Songs, aber auch die Verantwortung zu teilen, ist eine befreiende Erfahrung. Mit den richtigen Musikern ist die gemeinsame Sache das Schönste überhaupt."
Tatsächlich hat Lotta Musik auch studiert, die Angst anderer Künstler, dass zu viel theoretisches Wissen einer gewissen Naivität im Wege steht, die bisweilen zu besonders schönen, weil unerwarteten Ergebnissen führt, teilt sie allerdings nicht. Vielmehr wartet sie beim Komponieren und Texten auf den Moment, der ihr deutlich sagt: Ja, so muss es sein. "Den Wunsch, Fähigkeiten zu verlernen oder Wissen zu vergessen, hatte ich nie", sagt sie. "Das regelt die Zeit. Ich bin dankbar für jede Instrumental– und musiktheoretische Unterrichtsstunde und sehe das als großes Privileg. Wenn überhaupt, möchte ich mehr lernen. Ein Mangel an musikalischer Naivität gehört nicht zu meinen Problemen. Wer kreativ tätig sein will, findet einen Weg. Wenn man etwas lange genug tut und wiederholt, wird es gut. Von wo man startet, ist ganz egal."
Verarbeitete sie auf ihrem allein zu Hause eingespielten Erstling eine schmerzhafte Trennung und fand so ganz organisch einen roten Faden für die Platte, ist der Blick auf dem neuen Werk nicht mehr nur nach innen gerichtet, wenn sie die Sehnsucht nach Verbundenheit und den Wunsch nach Entschlossenheit in den Mittelpunkt stellt. Dabei legt schon der Titel der Platte nahe, dass die Fülle der Möglichkeiten bisweilen überfordernd sein kann, und tatsächlich war es für Lotta dieses Mal auch etwas schwieriger, einen Rahmen für das Album zu finden. "Das ist ein Thema, das mich viel beschäftigt hat", gesteht sie. "Auf der ersten Platte ist das ganz natürlich passiert, und es freut mich, wenn es für jemanden hörbar ist. Auf ´Song Tor The Undecided´ schwanke ich eher hin und her, als mich von der Frage bis zur Antwort entlangzusingen. Da steht am Anfang die Frage und am Ende ist sie wieder da. Für diesen Rahmen habe ich mich entschieden – zwischendrin stecken vermeintliche Erkenntnisse, aber nie die Auflösung. Man muss es sich also bequem machen im Zwischendrin."
Aktuelles Album: Song For The Undecided (Must Be Mad Records)
Weitere Infos: www.lottastjoan.com Foto: Victoria Byt