Die australische Songwriterin Grace Cummings ist gewiss keine Künstlerin, die sich mit einer einzigen Identität zufrieden gibt. Auf ihrem Debüt-Album „Refuge Cove“ von 2019 präsentierte sie sich noch als Folk-Singer, das zweite Album „Storm Queen“ zeigte sie 2022 mit klassischem Piano-Pop und akustischen Torch-Song-Balladen, bei ihren Live-Shows präsentiert sie sich auch schon mal als Rock-Queen und auf ihrem neuen, von Jonathan Wilson produzierten Album „Ramona“ gibt es monumentale, mit akustischen und elektronischen Elementen opulent arrangierte Epen mit psychedelischem Touch zu bestaunen, die nun überhaupt keiner bestimmten Stilistik mehr zuzuordnen sind. Mehr noch: Hier präsentiert sich Grace im Titeltrack dann auch gleich mit einer neuen Persona – der von Bob Dylan in dem Stong „To Ramona“ ins Leben gerufenen Titelheldin und schlüpft auch sonst gerne in verschiedene Rollen. Die Frage wie viele Persönlichkeiten ihr denn wohl innewohnen, lächelt Grace Cummings zunächst zwar mit einem charmanten „Ich weiß es gar nicht“ weg – aber so leicht lassen wir uns da nicht abschütteln und wollen da noch mal nachhaken.
Das neue Album „Ramona“ sprengt die Grenzen all dessen, die für Grace Cummings bislang abgesteckt erschienen – sowohl musikalisch wie auch gesanglich, denn nie präsentierte sie sich selbstbewusster, stärker un intensiver. Man wagt sich kaum auszumalen, welches Label sie für ihr neues Album „Ramona“ angedichtet werden wird. Wie sieht Grace denn selbst die Frage nach Genres, Stilen und Labels?„Es gab vielleicht mal Zeiten, zu denen ich mir viele Gedanken zu diesem Thema gemacht habe – aber heute sehe ich das eher so, dass ich es als äußerst limitierend betrachte, wenn man versucht sich in einem bestimmten Stil oder Genre darzustellen“, führt Grace aus, „man drängt sich so nämlich selbst in eine Ecke ohne das zu realisieren. Ich denke es ist weiser, einfach das zu machen, was man machen möchte. Denn dann kann man nämlich eigentlich alles machen und braucht sich nicht einzuschränken und vor allen Dingen werden die Leute Dich dann auch nicht einschränken."
Gehört dazu auch, dass die Musik, die Kunst und die Performance auf der Bühne nicht sowieso größer als das „richtige“ Leben sein sollten? Dieser Eindruck drängt sich angesichts der monumentalen Urgewalt der neuen Songs nämlich geradezu auf.
„Manchmal denke ich das auch“, gesteht Grace, „aber ich denke selbst wenn das gar nicht der Fall ist, dann liegt es daran, wie wir die Kunst wahrnehmen und fühlen. Wenn Kunst gut ist, dann denke ich, dass sie sich auch größer als das Leben anfühlen sollte."
Hat sich Grace deswegen das neue Alter-Ego der 'Ramona“ ausgesucht? Die besungene Ramona wurde ja von Boby Dylan in die Welt gesetzt und präsentiert sich als vielschichtiger, komplexer Charakter. In dem Track – der musikalisch nichts mit dem Dylan Song zu tun hat – singt Grace am Ende jedenfalls das Mantra „It's time to be Ramona“ und drückt so eine Art Sehnen nach einer neuen Identität aus.
„Ja das stimmt“, bestätigt Grace, „es fällt mir jedenfalls leichter, mich verletzlich zu zeigen, wenn ich die Maske eines Charakters trage. Und ich habe mich dazu entschlossen, dieser Verletzlichkeit – oder was immer es auch sein mag – den Namen 'Ramona' zu geben. Auf eine gewisse Art ist das auch ein Mittel des Empowerments."
Heißt das, dass es dabei dann um eine Form des Eskapismus geht?
„Sicherlich“, räumt Grace ein, „oder zumindest geht es darum, etwas entfliehen zu wollen. Das Meiste, was ich schreibe ist ja autobiographisch – und da nutze ich die Fiktion dann, um meine Gefühle ein wenig zu verschleiern. Das soll nicht heißen, dass ich das anstrebe, aber es ist eine gute Art zu beschreiben, wie ich arbeite. Es ist vielleicht ein bisschen so wie das, was ein Schauspieler macht. Der verkörpert ja auch verschiedene Charaktere und Menschen, spricht deren Worte und übernimmt deren Handlungen. Die einzige Möglichkeit, sich in einen Charakter hineinzuversetzen, diesen zu verkörpern oder gar zu sein, ist aber, das eigene Erleben und Empfinden anzuzapfen, denn nur darüber kann man ja die Welt um sich herum überhaupt erst verstehen."
Ist es dann nicht sogar so, dass Grace zu sich selbst spricht, wenn sie die Rollen der verschiedenen Charaktere einnimmt?
„Ja, das denke ich doch“, meint Grace, „eine gute Freundin hat ein Mal gesagt, dass sie sich in der Jugend immer einsam und alleine gefühlt habe, und das sie irgendwann ein Mal angefangen habe, zu singen, um sich selbst Gesellschaft zu leisten. Ich finde, dass das eine schöne Formulierung sei und dass ich mich auch so fühle. Darum geht es, wenn man Geschichten schreibt und Charaktere erfindet: Man macht das doch, um sich selbst Gesellschaft zu leisten, oder?"
Klaro – denn dann ist man ja letztlich auch immer in guter Gesellschaft.
Wie kam es denn zu dem Treffen mit Jonathan Wilson – und was war seine Aufgabe in dem ganzen Prozess? Denn während Jonathan Wilson schon ein gewisses Geschick hat, seinen Produktionen eine gewisse monumentale Note zu verleihen, gehört er nicht zu den Produzenten, die Musikern einen bestimmten Sound aufdrängen.
„Ich hatte mir auf der letzten Tour Angel Olsen's Album 'Big Time' im Kopfhörer angehört und war der Meinung, dass das eines des am besten produzierten Alben ist, das ich seit langem gehört hatte. Ich habe dann herausgefunden, dass Jonathan Wilson das Album produziert hatte und habe meinen Mut zusammengefasst, ihn kontaktiert und dann gefragt, ob er mit mir zusammenarbeiten wollte und zu meinem Glück hat er dann auch zugesagt. Mit ihm zu arbeiten ist sehr cool – es fühlt sich an, wie mit Deinen besten Kumpels zusammenzuarbeiten. Er hat zwar nicht an den Kompositionen mitgewirkt, aber er hat zusammen mit dem Arrangeur Drew Erickson (Weyes Blood), der die Streicher arrangiert hat, dafür gesorgt, dass eine natürliche, freundliche, spontane Atmosphäre herrschte. Es gab nicht einen Moment, an dem er sich wie ein Produzent anfühlte – obwohl er es ja war. Er war einfach da und wir haben zusammen gut gearbeitet. Er hat auch viele Instrumente eingespielt."
Wie entstehen dabei dann die Songs?
„Das geht bei mir Hand in Hand mit der Musik und den Texten“, berichtet Grace, „ich würde ja gerne auch mal anders schreiben – aber momentan bin ich dazu einfach zu ungeduldig. Manchmal muss ich ein bisschen herumprobieren. Wenn ich zum Beispiel eine Textzeile habe, die nicht zu dem Song passt, an dem ich gerade arbeite, verwende ich sie dann im nächsten – oder dem übernächsten usw. bis es dann irgendwann ein Mal passt. Im allgemeinen inspirieren sich Musik und Texte gegenseitig."
Und was ist Grace dabei am wichtigsten?
„Was ich an der Musik selber schätze ist wenn ich den Eindruck habe, dass der Autor die Musik speziell für mich geschrieben hat“, führt Grace aus, „wenn ich das selbe Hintergrundwissen hätte, das der Autor hatte und was dessen spezifische Geschichte ausmachte, dann wäre dieser Song ja nicht mehr alleine für mich. Was ich also wirklich gerne mag, ist wenn mir die Leute berichten, was meine Songs für sie bedeuten – was ja total unterschiedlich zu dem sein kann, was ich selber denke. Wenn ich aber in der Lage bin, etwas, das ich selber erlebt habe auf kreative Art in einen universellen Zusammenhang zu stellen, dann habe ich mein Ziel erreicht."
Auf welche Weise funktioniert Musik am besten für Grace Cummings? Ist es eine emotionale, eine organische, eine philosophische oder eine intellektuelle Angelegenheit?
„Na ich denke all das“, meint Grace, „es kommt natürlich immer darauf an. Musik bedeutet mir zu verschiedenen Zeiten auch viele verschiedene Dinge. Es gibt ja mit Bezug auf Musik auch diese phänomenologische Sache, die wir gar nicht richtig verstehen oder erklären können und die ich aus Mangel anderer Begriffe gerne 'das Erhabene“ nennen möchte."
Das lassen wir besser mal als Schlusswort so stehen, denn besser hätten wir es auch nicht ausdrücken können.
Aktuelles Album: Ramona (Ato Records / Pias) VÖ: 05.04.
Weitere Infos: https://www.facebook.com/gracecummingsmusic/ Foto: Tajette O'Halloran