Melange. Da kriegt der Wiener ganz leuchtende Augen und will ohne Umschweife ins nächste Kaffeehaus. Das Wort Melange steht aber auch als Synonym für eine Vermischung, Verschmelzung, Kreuzung oder Mixtur verschiedenartiger Dinge und Stilarten. Genau das tun Julia in Formvollendung. Ob die Klangspiele von Julia wirklich dort entstanden sind, ist nicht sicher verbürgt.
Anfangs waren sie mal als Rockcover-Band unterwegs und haben sich dabei alles draufgeschafft, was das professionelle Bühnengeschehen so erfordert. Allem voran auch Frustbewältigung. Und das Meistern von Situationen, in denen der Frontman ran muss, um das Publikum zu beruhigen und die explosive Anspannung vor einem Konzert rauszunehmen, zu dem mal wieder nur eine Handvoll Zuhörer erschienen sind. Der Zaubersatz in solchen Momenten lautet: „Macht euch keinen Stress, wir haben schon in weit größeren Hallen vor noch weniger Publikum gespielt.“ Doch wer das hinkriegt, der weiß auch: steter Tropfen höhlt den Stein. Und das innere Mantra eines „yes, we can“ hatten Julia schon lange entdeckt und so die Hallen nach und nach immer mehr aufgefüllt. Plötzlich spielten Julia vor jubelnden Massen.Romantische Noten mit Metal-Kuvertüre
Aus dieser Erfahrung ziehen Julia die Ruhe und die Kraft, um eine neue musikalische Spezies heranzuziehen. Irgendwelche musikalischen Berührungsängste gibt es nicht. Gemacht wird, was gefällt. Aus den Samen des recht hartem Rock, manchmal fast Metal erwächst eine starke Pflanze mit romantischen Blütenkelchen. Aus ihnen erklingt ein schneller, ordentlich treibender Sound, der aber nicht nur klar und sauber, sondern geradezu rein bleibt. Vor allem aber ist es ein Gemisch, das auch die Stimme von Matthias Kobold nicht zumüllt. So bleiben auch die Botschaften der Truppe nicht auf der Strecke. Julia haben sich in der hohen Kunst der Reduktion nicht nur versucht, sie haben sie zur Vollendung gebracht. Die kleine Form und klare Strukturen prägen die neue Platte:
„Die Songs funktionieren mit den einfachsten Mitteln. Wir haben das ganze Klimbim einfach weggelassen“, betont Sänger Matthias Kobold. Danach wurde das neue Material von den musikalischen Vielarbeitern einer Test-Rallye unterzogen. Mit anderen Worten, es wurde wieder getourt ohne Ende. Die Zahl der Shows nähert sich der magischen 500er Marke. Darunter waren auch zahlreiche Premium-Festivals wie etwa Southside, Frequency, Taubertal, Sziget oder Nova-Rock. 2006 wurde mit der gemeinsamen Deutschland-Tour mit Billy Talent noch eins draufgesetzt.
Es muss wehtun
„We only wake up, when it hurts“, so lautet ein Titel, der aktuellen und dritten Julia-CD „The Scars we Hide.” Dann hat es wohl verdammt weh getan; denn Julia sind bei der Plattenproduktion nicht nur mal eben so aufgewacht, sondern absolut hellwach zu Werke gegangen. Selten gelingt es, die gepflegte Rohheit, energetisch, ungefiltert und mit voller Durchschlagskraft auf Platte zu bannen. Meist ist diese unbändige und wilde Kraft in ihrer schönsten Ausprägung den Liveshows vorbehalten. Nicht so bei Julia. Sie verbinden ihr frisches Rock-Punk-Grunge-Gemisch mit einer gewollten Portion zartem Schmelz. Feuer und Eis. Das ganze Album kommt mit einer geradezu jugendlichen Frische daher, die gestandenen Bands bei der dritten Produktion oft bereits abhanden gekommen ist. Die überaus grandiose Versöhnung von Melodie und Lärm vollzieht sich in einer Ausprägung, als hätte jemand gedroht, der Band nach den Aufnahme-Sessions die Instrumente wegzunehmen. Und die bei weitem wirkungsvollste Versöhnung seit langem ist es zudem auch noch.
Aktuelles Album:
The Scars we Hide (Calm Records/Edel / Broken Silence)