Keine Zukunft ohne Vergangenheit: Auf seinem just erschienenen Album ´Vorwärts Rückwärts´ zieht das Solinger Quartett Blackberries einmal mehr klanglich viel Inspiration aus der Vergangenheit, findet für seinen Sound zwischen Krautrock, Pop und Psychedelia in dystopischen, mit viel Weltschmerz aufgeladenen Texten über die drängenden Probleme des Hier und Jetzt aber einen Anker in der Gegenwart. Im Oktober stellt die Band die Platte live in ganz Deutschland vor.
Dem Albumtitel zum Trotz: Die Blackberries machen mit ihrem inzwischen vierten Album einen ordentlichen Satz nach vor. Innerhalb kürzester Zeit live im Studio eingespielt, fangen Julian Müller, Janis Rosanka, Joscha Justinski und Thomas Haumann auf ´Vorwärts Rückwärts´ besser als je zuvor die Wucht ihrer Live-Auftritte ein, ohne dass die Melodien oder der Raum für Spontaneität zu kurz kommen würden. Hatte man bei den ersten Werken ´Music For The Night´ aus dem Jahre 2012 und dem vier Jahre später erschienenen Nachfolger ´Greenwich Mean Time´ bisweilen das Gefühl, der Band reiche es, sich an den Ideen ihrer Idole festzuhalten, wagten die vier Musiker schon auf der 2018 erschienenen LP ´Disturbia´ den Schritt in die Selbstständigkeit und setzten verstärkt auf eine eigene Note: Der Sound einer Band, die sich und ihren Weg gefunden hatte. Ein Eindruck, der sich nun auf ´Vorwärts Rückwärts´ noch verstärkt. Selbstbewusst verfolgen die Blackberries den einmal eingeschlagenen Weg unbeirrt weiter, halten gleichzeitig aber auch rechts und links des Pfades nach Neuerungen Ausschau.„Wir haben uns mit ´Disturbia´ ein bisschen mehr vom Sixties-Einfluss abgelöst und haben dadurch mehr zu uns gefunden“, stimmt Sänger und Gitarrist Julian Müller im Westzeit-Interview zu. „Allerdings haben wir das letzte Album mit mehr Overdubs aufgenommen, und vielleicht waren wir uns auch noch weniger einig, wie es am Ende klingen soll. Für die neue Platte haben wir all die guten Aspekte, die wir hoffentlich auch schon vorher hatten, genommen und haben sie zusammengefügt."
Tatsächlich klingen die Blackberries in musikalischer Hinsicht auf ´Vorwärts Rückwärts´ so befreit wie nie zuvor. Gerade bei den experimentierfreudigen, ausufernden Instrumentalparts klingt das Quartett auf dem neuen Album spürbar intuitiver, auch wenn Müller das etwas differenzierter sieht.
„Eigentlich haben wir schon immer auf eine gewisse Art und Weise das gemacht, was wir wollten, und uns wenig darum geschert, was Erfolg haben könnte, weil das ja am Ende eh nie klappt“, erklärt er. „Dieses Mal waren einfach einige Dinge anders, und das hat es uns leichter gemacht. Sicher haben wir auch mehr Erfahrung mitgebracht, und auch wenn mehr Erfahrung manchmal dafür sorgt, dass du ängstlicher oder verkopfter wirst, war dieses Mal das Gegenteil der Fall. Wir haben tatsächlich lange an den Mixen gefeilt, weil wir durch Corona auch die Zeit dazu hatten, aber letztlich haben wir über vieles weniger nachgedacht."
So klingen die Blackberries auf ´Vorwärts Rückwärts´ mehr denn je wie eine Band, die auf ihre eigenen Fähigkeiten vertraut und mit Schlenkern zu Soul, Funk oder Pop mühelos neue Wege einschlagen kann, ohne deshalb den Faden zu verlieren. Mit dem neuen Werk stellen sich die vier Musiker aber nicht nur musikalisch breiter auf, sie werden auch politischer. Der Song ´After The War´, obwohl lange vor dem Ukraine-Krieg entstanden, ist nun leider aktueller denn je, und auch mit ihren Gedanken zu Klimawandel und Umweltzerstörung (´The Moor´) und dem Gefühl der Überforderung in der rastlosen modernen Welt (´Vorwärts´) spiegeln die Blackberries unser aller Gegenwart wider.
„Auch ich bin in den letzten Jahren viel wacher geworden für bestimmte Dinge, über die man sich vorher nicht so viele Gedanken gemacht hat“, sagt Müller. Die Beschäftigung mit den brennenden Problemen der Gegenwart, ganz egal, ob es um Umwelt und kriegerische Konflikte oder um sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität geht, ist für Müller alternativlos, auch wenn das bedeutet, dass viele der neuen Blackberries-Songs unerwartet düster daherkommen.
„Wir müssen uns überlegen, wie wir leben wollen und wie es weitergehen soll, denn so wie jetzt kann es ja anscheinend nicht weitergehen“, ist er überzeugt. „Ob es noch früh genug ist, etwas zu ändern, und wer das ändern kann, das steht natürlich leider auf einem ganz anderen Blatt.“
Aktuelles Album: Vorwärts Rückwärts (Unique Records/Membran)
Weitere Infos: www.instagram.com/blackberriesofficial Foto: Jens Vetter