Kleine Band ganz groß. Auf ihrer hinreißenden dritten LP, augenzwinkernd ´Expert In A Dying Field´ betitelt, verwandelt das neuseeländische Quartett The Beths ein Gefühl der Niedergeschlagenheit und Beklemmung mit Wucht und Köpfchen in betont fröhlich klingende Indie-Hymnen, die mühelos an die hochgelobten Vorgängeralben ´Future Me Hates Me´ aus dem Jahre 2018 und das 2020 mitten im ersten Pandemie-Lockdown veröffentlichte Zweitwerk ´Jump Rope Gazers´ anknüpfen, durch raffinierte Schlenker, viel Liebe zum Detail und ungewöhnliche Melodik und Rhythmik aber stets aufregend und neu klingen.
Klanglich, das fällt sofort beim ersten Hören von ´Expert In A Dying Field´ auf, graben The Beths dieses Mal ein wenig tiefer als zuvor, ohne deshalb das mit den Vorgängerwerken abgesteckte Terrain zwischen Indierock, Emo und Power-Pop zu verlassen. Während andere Künstlerinnen und Künstler befürchten, zu viel theoretisches Wissen könnte ihnen beim Hören dem Bauchgefühl im Wege stehen, haben Sängerin, Gitarristin und Songwriterin Liz Stokes, Gitarrist Jonathan Pearce, Bassist Benjamin Sinclair und Drummer Tristan Deck trotz Musikstudium offenbar keine Probleme damit.„Nein, überhaupt nicht“, bekräftigt Stokes im Westzeit-Interview. „Ich will jetzt nicht sagen, dass jeder Musik studieren sollte, aber wenn du etwas schreibst und es sich magisch anfühlt, dann geht die Magie doch nicht flöten, nur weil du ein bisschen mehr darüber weißt.“
Auch wenn man das den klanglich freudestrahlenden Songs nicht anhören kann, gab es während der Entstehung von ´Expert In A Dying Field´ doch einige Stolpersteine für die Band, und rückblickend ist Stokes geradezu froh, dass die Umstände der COVID-19-Pandemie dafür gesorgt haben, dass The Beths mehr Zeit als erwartet in das Finetuning der neuen LP stecken konnten.
„Für ein Album richtig Zeit zu haben, macht einen Riesenunterschied“, ist Stokes überzeugt. „Dabei geht es nicht allein um die Zeit, die du tatsächlich daran arbeitest, sondern auch um die Zeit, in der du alles sacken lassen kannst. Genau diese Zeit hatten wir dieses Mal zur Verfügung."
Ursprünglich hatten The Beths mit den Aufnahmen zu ihrem dritten Album Mitte 2021 begonnen, doch dann zwang sie ein landesweiter Lockdown von August bis Dezember zu einer ungeplanten Pause. Das Gerüst für das Album stand zu diesem Zeitpunkt bereits, aber die Band war noch nicht richtig zufrieden.
„Wir hatten das Gefühl, dass die Platte einfach noch nicht gut genug war“, erinnert sich Stokes. „Nicht, dass es für Musik eine Skala von schlecht bis gut gibt, aber wir mochten das Album alle nicht so sehr, wie wir uns das erhofft hatten. Die erzwungene Pause gab uns die Zeit, noch einige weitere Songs zu schreiben und an den schon vorhandenen noch ein wenig zu schrauben. Als wir damit fertig waren, gefielen uns die Lieder viel besser. Ohne die Pause hätten wir diese Zeit der Reflexion nicht gehabt."
Fragt man Stokes, ob sie den langgezogenen Entstehungsprozess und das Feilen an den Details zu schätzen weiß oder ob sie es vorziehen würde, dass ihr die perfekten Lieder in den Schoß fallen, ist sie unentschieden.
„Das Ganze kann durchaus erfreulich sein“, sagt sie. „Manchmal ist es leicht und die Songs kommen als Ganzes zu dir und du bist im Handumdrehen damit fertig, dann aber gibt es Lieder, die so viele verschiedene Versionen durchlaufen, bis du an den Punkt kommst, an dem du dir den Song anhörst und sagst: ´Ich will dich nie wieder sehen!´“. Sie lacht. „Sobald du mit den Aufnahmen durch bist, siehst du dann aber alles eh mit ganz anderen Augen."
Um zu wissen, welche Songs die guten sind, an denen sie unbedingt festhalten sollte, hat Stokes einen sehr interessanten Maßstab.
„Wenn mich die Songs zum Weinen bringen, dann ist das gut“, verrät sie. „Es geht darum, diese magische Kombination von Worten zu finden, die an deinem Gehirn vorbei direkt zu Herzen gehen. Ich bin immer auf der Suche nach dieser magischen Verbindung von Text und Melodie, bei der beide ineinandergreifen. Es ist gar nicht einmal so, dass ich in der Musik suche, die ich selbst höre und schätze, danach suche, aber in meinen eigenen Songs braucht es einen emotionalen Kern, oder ich fühle mich nicht wirklich mit dem Lied verbunden."
Die Songs, die Stokes für The Beths schreibt, sind autobiografisch und rücken immer wieder Charakterskizzen von Beziehungen aller Art und ihre Nachwirkungen in den Mittelpunkt. Was man mit der Vertrautheit macht, die man mit einer Person erlangt hat, wenn sie aus dem Leben verschwunden ist, gehört dabei zu den zentralen Fragen. Ihre Texte zu sezieren und detailliert ihre Hintergründe zu erklären, ist trotzdem nichts für Stokes. Ihr gefällt es besser, wenn sich die Hörerinnen und Hörer selbst ihren Reim darauf machen, sagte sie: „In Interviews werde ich oft gefragt, wovon dieser oder jener Song handelt, und ich hatte lange damit zu kämpfen, denn – und ich bin mir bewusst, dass dies das Gegenteil von dem ist, was ich zuvor über die Musiktheorie gesagt habe – bei den Texten habe ich nicht das Gefühl, dass die Magie mit mehr Wissen wächst. Ich mag es, wenn die Menschen ihre eigenen Interpretationen haben, und das kommt ja oft genug vor. Das Schöne am Songwriting ist, dass die Leute wissen, dass die Songs von mir handeln, und trotzdem haben sie das Gefühl, es geht um sie."
Aktuelles Album: Expert In A Dying Field (Carpark Records / Indigo)
Weitere Infos: thebeths.com Foto: Frances Carter