Es sagt sich ja immer so leicht, dass etwas „größer als die Summe seiner Einzelteile“ sein sollte. Für das aus Jesper Munk, Madeline Rose, Leweis Llyod und Anton Remy bestehende Berliner Allstar-Projekt Public Display Of Affection (kurz P.D.O.A.) gilt das aber in ganz besonderem Maße, denn alleine über die Debüt-LP „I Still Care“, die nun auch auf Vinyl erhältlich ist, lässt sich das Phänomen P.D.O.A. nicht erschließen, obwohl die Band hier bereits einen bemerkenswert breit gefächerten Mix aus Postpunk, schmirgelndem Indie-Rock, Kaputnik-BLues und New Wave-Rock präsentiert. Es sind aber vor allen Dingen an den unglaublichen Live Shows, die das Quartett regelmäßig zu einer Art Postpunk und Kaputnik-Blues Happening werden lässt, die in besonderer Hinsicht faszinieren – und zwar nicht zuletzt aufgrund der faszinierenden Vollkörper-Performances der quirligen Frontfrau Madeline Rose, die ihre Ausbildung als Tänzerin und Schauspielerin im Kontext der Musik ihrer drei Bandkollegen gewinnbringend einsetzt.
Eine der spannendsten Fragen die sich jedem stellt, der P.D.O.A, schon ein Mal live erlebt ist, ist dann wohl die, woher die Frontfrau Madeline Rose die Energie nimmt, 90 Minuten lang als hyperaktiver Wirbelwind über die Bühne (und durch das Auditorium) zu fegen und dabei eine unablässige, improvisierte Hi-Energy-Tanzroutine durchzuziehen. Was nimmt Madeline zu sich, bevor sie auf die Bühne geht?„Ich kann gar nichts essen, wenn ich auf die Bühne gehe“, verrät Madeline, „denn das würde mir dann alles im Bauch herumschwappen und will dann ja auch noch verdaut werden. Ich liebe zwar Kaffee – aber ich kann nicht mehr als zwei Tassen am Tag trinken, weil ich ansonsten zu zittrig würde. Und Drogen oder Alkohol sind ganz tabu. Woher ich meine Energie aber großteils beziehe ist durch Vegemite."
Vegemite ist eine Spezialität von Down Under – ein vegetarischer Brotaufstrich auf Hefe-Basis, der aufgrund des strengen Geschmacks zumindest gewöhnungsbedürftig, für viele Nicht-Australier aber sogar ungenießbar erscheint. Tatsächlich verwenden aber viele australische Sportler Vegemite als legales Dopingmittel. Na ja – und später räumt Madeline ja auch noch ein, dass ein ordentliches Workout und viel Sex auch irgendwie förderlich sind.
Madeleine kommt ja aus dem Theaterumfeld?
„Ja, ich bin in Australien als Schauspielerin und Kreativ-Produzentin ausgebildet worden“, führt Maddie aus. Hat das denn einen Einfluss auf die Performance als Frontfrau in einer Rockband?
„Das ist ja gerade einer der Gründe, warum das so gut funktioniert“, überlegt Lewis, „besonders als wir anfingen hatte Maddie eine erfrischende neue Perspektive. Ich als Musiker habe zum Beispiel ständig mit musikalischen Fachbegriffen gearbeitet und Maddie hat die Sachen ganz anders beschrieben. Etwa indem sie sagte: Wir machen dies und das, wenn das blau klingt oder wenn sich dieses oder jenes dorthin bewegt. Ich fragte dann: 'Du meinst in Takt 37?' Das hat uns vollkommen neue Perspektiven eröffnet."
„Es war sehr interessant eine gemeinsame Sprache zu finden“, fügt Jesper hinzu, „denn Takte haben für mich auch noch nie etwas bedeutet – obwohl ich schon lange Musik mache. Aber Takte zu zählen ist nicht mein Ding. Wir haben dann andere Begriffe, Phrasen, Schlüsselwörter oder Ähnliches verwendet. Ich mag die ungezügelte Art, in der wir zusammenarbeiten – und es war dann Lewis Aufgabe das technisch zu konkretisieren um bestimmte Aspekte zu betonen. Ich liebe es wirklich mit dieser Band so zu arbeiten, denn das ist nichts, was ich ansonsten schon mal erlebt hätte."
Wie war das denn für Madeline?
„Nun ich hatte zuvor nur in einer anderen Band gespielt und hauptsächlich Musiktheater gemacht“, meint Maddie, „ich habe das aber nie als Entscheidung gesehen, vom Theater zur Musik zu wechseln. Ich habe aber viel über die Musik gelernt – besonders im Live-Kontext. Das passiert aber ganz organisch. Für mich fühlt es sich aber nicht so an, als habe ich die Richtung meiner Karriere geändert. Für mich ist das immer noch Kunst – nur für ein anderes Projekt."
„Das bringt uns zum Thema Kommunikation“, überlegt Jesper, „meiner Meinung nach ist Musik die älteste Kommunikationsform, die wir haben. Aber andere Kunstformen kommunizieren ja auch. Als Musiker denkt man nicht wirklich über Genres und Klassifizierungen nach. Ein Künstler, der etwas ausdrücken will wird ja nicht zu einer anderen Person, wenn er ein anderes Format wählt. Jedenfalls fühle ich das so."
Da gibt es aber noch das Argument, dass Schauspieler, die zur Musik gewechselt sind anführen: Dass nämlich das Schauspielern eine rezitative Kunstform ist, während die Musik eine kreative Selbstverwirklichung ermögliche.
„Ja, das ist das, was auch beobachte, wenn ich in einem Schauspielprojekt arbeite“, bestätigt Madeline, „wir sind zum Beispiel 10 Tänzer und 10 Schauspieler. Die Schauspieler versuchen ihren Kopf zu verwenden und wenn Du sie dann aufforderst zu tanzen sagen sie: 'Nein – das ist ja nicht meine Rolle'. Ich finde diese Einstellung limitierend, denn alles gehört ja irgendwie zusammen. Musik – wie der Tanz – sollte aus der Seele entspringen und physikalisch sein, während das Schauspielern eher eine Kopfsache zu sein scheint. Wenn man sich aber zwischen diesen Welten bewegt, dann ist das der Bereich, wo die Magie passiert."
„Ja, aber wirklich gute Schauspieler müssen doch die Ebene des Rezitierens überschreiten“, wirft Lewis ein, „wenn man Musik spielt ist das doch genauso: Man spielt das Stück so oft, bis man nicht mehr drüber nachdenkt und es einfach verkörpert."
„Nun ja – das ist wie beim Method-Acting“, formuliert Jesper, „man hofft da doch drauf, dass man den Text vergisst und ihn zum Teil seiner Persönlichkeit macht und so in einer Rolle aufgeht – obwohl man dadurch ja nicht wirklich zu einer anderen Person wird. Ein Song kann auch verschiedene Aspekte Deiner Persönlichkeit ansprechen und man kann das dann auch filtern und zum Ausdruck bringen."
Okay: Dann einigen wir uns doch einfach darauf, dass sich P.D.O.A, nicht in einer einzigen, spezifischen Kunstform zu Hause sehen.
Kommen wir aber mal zu einem ganz anderen Themen: Worüber singt Madeline eigentlich? Bzw. wovon lässt sie sich inspirieren? Es gibt zum Beispiel eine Referenz auf das Theaterstück „War In Heaven – Angels Monologue“ von Sam Shepard und Joseph Chaikin.
„Ja, das ist ein brillantes Theaterstück, das ich letztes Jahr in Luxemburg aufgeführt habe“, erläutert Madeline, „Joseph Chaikin hatte einen Hirnschlag und die eine Hälfte des Theaterstücks ist ein Monolog, mittels dessen Joseph versucht, seine Fähigkeit zu sprechen wiederzuerlangen. Die andere Hälfte des Stückes besteht aus der Schilderung der Geschichte durch Sam Shepard. Wenn ich einen Text schreibe und an einem Theaterstück mitwirke, dann beeinflusst mich das stark."
Was will uns denn der Titel des Songs (der auch der Titeltrack ist) „I Still Care“ sagen?
„Der Titel stammt von mir“, erklärt Madeline, „das ist für mich eine Hymne. Das ganze Album wurde während der Pandemie geschrieben – und das war ja eine deprimierende Zeit für uns alle. Wir sind zwei Mal in der Woche zusammengekommen und haben an dem Material gearbeitet. 'I Still Care' ist eine Hymne für alle, die durchgehalten haben. Es geht darum, die Hürden zu überwinden, die uns die Politik und die Zeiten, in denen wir uns befinden in den Weg stellen und es geht darum, weiterzumachen, dem Druck zu widerstehen – und auch als Künstler sein Leben zu leben."
Das gilt doch sicherlich auch für die anderen Songs – denn eine kämpferische Note zieht sich ja nicht nur durch die Musik, sondern auch die Texte und die Titel. „Für viele Songs gilt das, ja“, bestätigt Madeline, „es geht um Motivation.“
Gibt es da auch Elemente des Eskapismus oder der Phantasie?
„Ja“, meint Madeline zögerlich. „Ist denn für Dich Phantasie und Eskapismus das selbe?“ fragt Jesper dazwischen. Nicht wirklich, denn Phantasie ist ja eher etwas Erstrebenswertes und Eskapismus ein Ausdruck des Flüchtens – so war die Frage an Madeline aber ja auch nicht gemeint. Es ging ja nur um die Abgrenzung zur Realität.
„Wenn man zum Beispiel eine Ausstellung oder eine Veranstaltung besucht, die jetzt nicht so interessant ist, dann tendiert man ja gelegentlich dazu, etwas zu trinken um die die Sache dann etwas phantastischer zu machen“, beschreibt Madeline ihre Einstellung, „ich finde es sehr interessant, wie ich mich so selbst unterhalten kann, wenn ich mich in einer solchen Situation befinde. Und das der Moment, wo man sich in Phantasien verlieren kann. Wenn etwas so Beiläufiges wie das Trinken dazu verwendet werden kann, sich entweder in Phantasien zu ergehen oder Spaß zu haben, dann gehören Phantasie und Eskapismus sicherlich zur selben Welt."
„Ich finde es witzig, dass ich gerade dann mit der Phantasie in Kontakt stehe, wenn ich zum Leben beitrage indem ich etwas erschaffe oder schreibe was ich als Phantasie bezeichnen würde. Vor etwas fliehen will ich dann gar nicht.“
Muss Musik eigentlich größer als das Leben sein? Eine Performance von P.D.O.A, scheint es ja zumindest zu sein.
„Das würde ja bedeuten, dass sie größer als alle Menschen wäre – und das ist sicherlich nicht wahr“, überlegt Jesper, „jeder macht nur seinen Job und manche sind besser in etwas als andere. Aber man sollte sich als Musiker nicht besser oder größer als jemand anderes fühlen, sondern einfach nur seinen Job erledigen."
Ja aber es macht die Sache doch unterhaltsamer, wenn dabei etwas übertrieben wird?
„Sicher“, pflichtet Lewis bei, „wenn etwas over the Top ist, dann hilft es den Leuten, lockerer zu werden."
„Absolut“, bestätigt Jesper, „das heißt aber nicht, dass wir wichtiger als andere Menschen wären."
Auch Madeline hat dazu ihre Meinung: „Na ja, wir werden doch immer abgestumpfter und unsensibel“, führt sie aus, „wegen der Technologie und der Gesellschaft. Also kommen die Leute heutzutage zu Musikshows um der Mondänität ihrer Existenz entfliehen zu können. Sie wollen dann trinken und tanzen und unterhalten werden und wir sind dazu da sie diesbezüglich ein wenig zu trösten."
„Man weiß ja heutzutage gar nicht mehr, wo einem der Kopf steht“, resümiert Jesper, „das schärft irgendwie die Sinne."
Was ist denn das Wesentliche bei dem Projekt P.D.O.A,.?
„Zwei Dinge sind wichtig“, führt Jesper aus, „es mag sein, dass es eine Herausforderung sein kann, uns zuzuhören – aber es ist immer noch eine Art von Kommunikation. Wir versuchen niemanden auszuschließen. Ganz im Gegenteil: Wir versuchen alle mit etwas zu umarmen, das etwas zu realistisch ist um bloß 'Trost' genannt zu werden. Und es ist wichtig, dass man dieses Projekt live erlebt, um verstehen zu können, worum es eigentlich geht. Natürlich sollst Du trotzdem die Scheibe kaufen – aber alleine damit fehlt Dir dann ein großer Teil unserer Theatralik, die für uns eine Brücke zum Publikum bedeutet."
„Deswegen haben wir beschlossen, dass der beste Weg dieses Album zu machen der ist, das ganze oldschool-mäßig live auf einer alten Bandmaschine aufzunehmen“, erläutert Anton, „und sogar alte Bänder zu verwenden – was vielleicht nicht die beste Idee war. Aber wir wollten das Live-Ding so gut wie möglich einzufangen, was aber nur bedingt möglich ist.“
Noch ein Hinweis: Wer sich über das Projekt P.D.O.A, informieren möchte, muss aufpassen: Sowohl der Projektname, wie auch jene von Madeline Rose und Lewis Lloyd zeitigen aufgrund unglücklicher Namensdoppelungen unglückselige False-Positives bei der Google-Suche.
Das Fazit aus diesem Gespräch kann eigentlich dann nur noch sein, dass sich das Projekt Public Display Of Affection nicht über nur einen Aspekt des kreativen Tuns erschließt, sondern mit allen Sinnen aus jeder möglichen Richtung erfahren werden sollte. Punkt.
Aktuelles Album: I Still Care (Partisan)
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Foto: Ullrich Maurer