Mindestens zwei musikalische Seelen wohnen – ach - in der Brust der irischen Songwriterin Aoife Nessa Frances. Da ist zum einen das Faible für repetitive musikalische Ausdrucksformen, für Trance-Zustände und ambientmäßig ausgelebte Stimmungen – das sie insbesondere auch gerne auf der Bühne bei ihren Solo-Auftritten demonstriert. Und auf der anderen Seite sind da klassisch komponierte und strukturierte Indie-Folk-Pop-Songs mit elaborierten, teilweise gar barock inszenierten, organischen Arrangements. Freilich: Dazwischen passiert dann auch noch eine ganze Menge, denn stilistisch festlegen lassen möchte sich Aoife auch ihrer nun vorliegenden zweiten Scheibe „Protector“ schon mal gar nicht.
Wenn man sich Aoife's Songs anhört, dann könnte man – aufgrund der Harmonien und Akkordwechsel - dem Eindruck erliegen, dass sie von der Folkmusik beeinflusst wäre. Das ist aber so nicht richtig, oder?„Nein, denn ich höre mir so viele unterschiedliche Arten von Musik an, dass es zugegebenermaßen schwer ist, herauszufinden, wovon ich mich eigentlich direkt beeinflusst fühle“, räumt Aoife ein, „ich mag The Velvet Underground, Nico, Lee Hazelwood, The Beatles aber auch Bands wie Suicide, Harmonia und Can, denn ich liebe Musik mit sich wiederholenden Mustern und Mantras, die Dich in eine Art Trance versetzt. Es gibt zum Beispiel ein Live-Album von Harmonia von 1974, das ich mir dauernd anhöre."
Harmonia ist dabei ein bei uns gar nicht so bekanntes Side-Projekt der Elektronik- und Kraut-Pioniere Dieter Moebius, Hans-Joachim Rodelius und Michael Rother.
Kommen wir noch mal zu dem Mantra-Thema zurück. Was reizt Aiofe denn genau an dem Element des Wiederholens? Geht es vielleicht darum, durch die Wiederholungen zu einer Erkenntnis zu gelangen?
„Ich weiß nicht“, zögert Aoife, „es ist eher eine Art von Meditation. Wenn Du ein Mantra aufsagst, dann versetzt Dich das ja in eine Trance. Je öfter Du ein Mantra aufsagst, desto mehr verliert es ja an Bedeutung und es wird zu etwas anderem. Wenn man da einen spirituellen Moment hat, dann kann das aber schon zu einer Art Erleuchtung führen."
Dabei kann natürlich auf der inhaltlichen Ebene kein klassisches Storytelling herauskommen. Zuweilen sind Aoife's Texte ziemlich spezifisch und dann wieder gibt es unzusammenhängende Gedankengänge. Betrachtet sie ihre Lyrics vielleicht als Collagen?
„Ja schon“, räumt sie ein, „ich mag es nicht super-konkret zu werden und Sachen auszubuchstabieren. Ich mag es, mich um eine Bedeutung von außen herumzubewegen. So kann man Stimmungen, Szenarien, Zeitspannen oder Personen wie in einem Gemälde einfangen. Es ist dann wie ein abstraktes Gemälde: Es wird schon etwas drinstecken, aber Du musst es Dir schon aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen, um es zu verstehen, weil es sehr persönlich ist. Ich mag es dann, einen Schatten darüberzulegen."
Lässt sich Aoife dabei von den Songs selbst leiten?
„Ja, ganz genau“, bestätigt Aoife, „das ist dann so als schriebe sich der Song fast wie von alleine. Manchmal muss man sich aber auch anstrengen, und den Song irgendwo herauszerren. Man muss zunächst mal der Inspiration Raum geben und nachher suchst Du Dir dann ein Werkzeug wie ein Bildhauer und bringst Dein Kunstwerk in Form. Es kommt dann darauf an, was Du belässt, wie es ist und was Du hinzufügst. Der wichtige Teil der Arbeit ist dann also dieses in Form bringen. Es ist wie Bildhauerei und ich kontrolliere dann den Meißel."
OK – warum heißt das Album „Protector“? Wovor will sich Aoife schützen?
„Auf den Titel kam ich, noch bevor das Album fertig war“, erinnert sich Aoife, „der besungene 'Beschützer' wurde zu einer Art Führer, dem ich durch den Entstehungsprozess des Albums folgte. Dadurch hatte ich nämlich das Gefühl, dass etwas Größeres als ich mich dazu brachte, diese Musik zu machen. Etwas, was mich im spirituellen Sinne beschützte. Wenn ich drüber nachdenke, ging es um einen Schutz durch die Natur, die Familie und die Freunde. Es war eine Art Schutzhülle. Das war sehr schön, denn wenn Du eine Unterstützung durch die Welt in Form Deiner Familie erfährst, dann ermöglicht Dir das so viel mehr aus Deinem Leben zu machen. Diese Scheibe zu machen hat mich das gelehrt."
Gibt es denn schon eine Vision für die Zukunft?
„Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich treiben lassen“, führt Aoife aus, „ich erlaube nur der Kreativität gewisse Freiräume, damit ich sie formen kann. Ich nehme also die Dinge nicht, wie sie kommen, sondern ich habe schon gewisse Absichten, die ich verfolge – wie z.B. ins Studio zu gehen und eine Scheibe aufzunehmen. Ich habe auch Vorstellungen davon, wie sie klingen soll. Ich erlaube nur dem kreativen Initialfunken, sich zu entfalten. Ich habe auch schon Vorstellungen für meine nächste Scheibe."
Heißt das etwa, dass Aoife sich als Medium für ihre Musik betrachtet?
„Exakt“, bestätigt sie, „sie fließt irgendwie durch mich hindurch und ich lasse das dann geschehen. Das ist dann wie unterschiedliche Teile Deines Hirns zu verwenden. Man erlaubt der kreativen Seite ihr Ding zu machen und dann kommt die logische Seite hinzu und versucht, alles zu ordnen – aber beide müssen harmonisch zusammen leben."
Aktuelles Album: Protector (Partisan / PIAS)
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©1996-24 WESTZEIT | 2022.11.01 | Autor: Ullrich Maurer | › kontakt › impressum › datenschutz | › Besuche uns auf Facebook