„Yesterdaze“ ist der Titel des sechsten Albums des Wahlberliner Musikers Jesper Munk. Eigentlich hätte es „Yesterdays“ heißen sollen, aber als sein Tontechniker den Titel falsch notierte, fiel Jesper auf, dass die letzten 5 Jahre – auf die sich die besagten vergangenen Tage beziehen – für ihn tatsächlich ziemlich vernebelt darstellten. Nicht nur, dass er als Musiker besonders von der Pandemie betroffen war (weswegen sein letzter Longplayer „Taped Heart Sounds“ auch ein Cover-Album geworden war) – auch seine Ehe mit der Musikerkollegin Madeline Rose ging in die Brüche, obwohl beide noch das gemeinsame Projekt Public Display Of Affection ins Leben gerufen hatten. Kein Wunder also, dass Jespers erstes neues Material seit dem 2019er Album „Darling Colour“ hinter einem Dunstschleier aus Unsicherheiten und Unwägbarkeiten entdeckt werden will, der sich auch klanglich mit einer psychedelischen Gemengelage manifestiert.
Jesper's jetzige Band heißt ja auch The Cassetteheads.„Ja – wir haben uns ein Jahr vor den Aufnahmen des Cover-Albums über die wöchentlichen YouTube Cassetteheads Sessions zusammengefunden, bei der wir Künstler vorgestellt und jede Woche ein eigenes Set aus einem eigenen und einem Coversong einstudiert haben – und danach gab es eine Jam-Session. Das ist ein Kulturförderprogramm, das dann so schnell und einfach geklappt hat, dass ich mit den beiden anderen - Hal Strewe und Tim Granbacka – dann auch weitermachen wollte und sie gefragt habe, ob sie nicht meine Band sein wollten."
Das heißt also, der Sound des Albums entstand durch die Jam-Sessions mit den Cassetteheads und der Technik analog aufzunehmen und die Spuren dann nachher zu digitalisieren?
„Ja – aber ich habe dann erst mal mit einem Vierspur-Gerät gearbeitet und mit dann eine 8-track Cascam gekauft, um mehr Möglichkeiten zu haben“, stellt Jesper richtig.
Eine Sache fällt besonders auf: „Yesterdaze“ ist dezidiert keine klassische Gitarrenscheibe. Die Impulse kommen von verschiedenen Keyboard-Sounds, dem charakteristischen Sound der Rhythmusgruppe und die Gitarrenparts haben eher einen psychedelisch/ornamentalen Charakter. Fühlte sich Jesper denn als Gitarrist nicht sogar unterfordert?
„Das ist lustig, weil ich es beim Live-Einspielen toll finde, nicht von der Gitarre abgelenkt zu werden und gleichzeitig bin ich immer auch neugierig, was die Jungs aus dem Song machen mit den Anweisungen und Vetos, die ich einlege“, erklärt Jesper den Prozess, „es ist so: Ich schreibe einen Song, schmeiße ihn in die Runde und sage dann eher: 'Nee – nicht in die Richtung' oder sowas. Ich liebe es, den Musikern Freiheit einzuräumen. Es gibt ja auch einen Grund, warum man bestimmten Musikern vertraut und ich bin ungern jemand, der mit einem gesetzten Plan reinkommt und liebe es stattdessen während der Aufnahmen alles entwickelt."
Was ist denn nun der Hintergrund des Albumtitels „Yesterdaze“? Geht es tatsächlich um verwaschene Erinnerungen?
„Zum Teil ja“, bestätigt Jesper, „am Anfang wollte ich das Album eigentlich 'Yesterdays' ohne Wortwitz nennen – aber mein Engineer hat es falsch aufgeschrieben und da dachte ich mir, dass es dann doch so viel besser passt. Es waren schon viele verwirrende, verwaschene Tage in den letzten 5 Jahren in Berlin. Teilweise ging es um Hedonismus, teilweise ging es um die Isolation in der Pandemie – um Zeiten, jedenfalls, die nicht ganz klar waren. Ich finde auch, dass Erinnerungen, die in Musik übersetzt werden, wie ein Geruch wirken, der Dich verteidigungslos gegenüber Deiner Erinnerungen fühlen lässt und den man als Hörer selbst auch kennt. Obwohl ich also über einen sehr genauen Zeitpunkt in meinem Leben reden kann, bezieht sich für jemanden anderen dieses Gefühl sich nicht gegen Erinnerungen verteidigen zu können, auf etwas ganz anderes, das aber genauso kraftvoll ist, wie für mich. Vor allem, wenn man viel Platz für Interpretationen lässt und der Phantasie des Hörers vertraut.“
Welche Bedeutung hat denn die Musik für Jesper Munk heutzutage im Allgemeinen?
„Ich glaube, Musik kann im schlimmsten Fall eine soziale Commodity oder ein austauschbares Produkt sein - oder aber wie ich sie erlebe und sehen möchte eine der letzten Zugänge zur Spiritualität darstellen, die aber gleichzeitig sehr im Vordergrund unserer Gesellschaft steht. Es ist eine der letzten Sachen, die irgendwie jeder nutzt und mit der man sich auf eine Art verbinden kann, die aber trotzdem noch spirituell ist. Ich sehe Musik als spirituellen Austausch über die Sprache."
Musik als Religion also?
„In gewisser Weise ja“, pflichtet Jesper bei, „in unserer Familie war schon als Kind die Musik eine ernstzunehmende Sache. Ich bin atheistisch oder auf jeden Fall agnostisch aufgewachsen und die einzigen Dinge, die die Position einer Religion in unserer Familie eingenommen haben, waren günstiges Essen mit Liebe gemacht und die Musik. Dieses Flair gab es also auch schon in der Kindheit.“
Zur Zeit ist Jesper Munk nach dem erzwungenen Stillstand der „Yesterdaze“ wieder allseits präsent: Mit Public Display Of Affection spielte er noch einige Titel ein, bevor er dann – zusammen mit seinem Freund Lewis Lloyd – die Band verließ, um sich stärker auf das gemeinsame Projekt Plattenbau konzentrieren zu können. Die neue LP „Yesterdaze“ ist dann auch gleich wieder ein willkommener Anlass für eine große Tour, mit der Jesper bis Ende des Jahres in der ganzen Republik unterwegs sein wird.
Aktuelles Album: Yesterdaze (Glitterhouse) VÖ: 04.10.
Weitere Infos: www.jespermunkmusic.de/ Foto: Ullrich Maurer