Jazz ist anders: Mit ihrem feinen dritten Album, ´Birdland´, schlägt die vor den Toren von Berlin heimische Multi-Instrumentalistin, Sängerin und Produzentin Mieke Miami stilvoll und mit spielerischer Note eine Brücke von psychedelisch umspültem Jazz zu experimenteller Elektronik, lässt dabei aber auch immer wieder satte Retro-Soul-Vibes und ein Faible für zeitgeistige Eingängigkeit aufblitzen und kann so alle diejenigen begeistern, die jenseits klarer Genre-Schubladen auf Entdeckungsreise gehen wollen.
Mieke Miami, die eigentlich Sabine Mieke Wenzl heißt, in Hamburg aufgewachsen ist und heute mit ihrer Familie im brandenburgischen Luckenwalde heimisch ist, hat einst Saxofon in Berlin studiert, bevor sie sich vor rund zehn Jahren dem Songwriting zuwandte. Für ihr 2015 erschienenes Debütalbum ´In The Old Forest´ waren Einflüsse aus Folk und Pop zunächst wichtiger als ihr Jazz-Background. Der trat 2021 auf ihrer düster gestimmten zweiten LP, ´Montecarlo Magic´, wieder in den Vordergrund, ein Album, das den klanglichen Weg vorzeichnete, den sie nun auch auf dem just veröffentlichten Nachfolger ´Birdland´ beschreitet. "Mehr Jazz, experimenteller, erwachsener, ist ja klar, bin ja auch älter", sagt Mieke im WESTZEIT-Interview über die wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden Platten.Der Albumtitel des neuen Werks ist nicht nur ein Verweis auf Jazz-Gigant Charlie "Bird" Parker, sondern auch auf nach ihm benannten Hamburger Jazzclub, in den Mieke schon im Teenageralter schlich, um die dort regelmäßig stattfindenden Jam-Sessions zu besuchen. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass Mieke schon in jungen Jahren ihre Leidenschaft für den Jazz entdeckt hat?
"Der Jazz trat in mein Leben, als ich ungefähr 14 war und gerade angefangen hatte, Saxofon zu spielen", erzählt Mieke. "Eigentlich wollte ich Schlagzeug lernen, aber das durfte ich nicht, und dann habe ich mir das zweitlauteste Instrument ausgesucht, was mir einfiel. Ich hatte mit den sehr hohen Tönen Schwierigkeiten, und mein Lehrer meinte, ich solle mal Pharoah Sanders hören, der könne wirklich ALLES auf dem Saxofon spielen. Also bin ich zum Jungfernstieg in Hamburg ins WOM gefahren, das war ein großer Plattenladen, und habe mein Taschengeld investiert. Pharoah Sanders ist ein Wegbegleiter John Coltranes und hat teilweise ganz schön krasse, kompromisslose Sachen gemacht. Aber die CD, die ich erwischt hatte, war recht harmonisch. Er spielte natürlich trotzdem total expressiv, und das hat mich irgendwie gepackt. Über die liner notes kam ich dann auf John Coltrane und von dem zu Miles Davis usw. So habe ich mich von liner notes zu liner notes gehangelt und immer mehr Musik kennengelernt."
Dass sich Mieke selbst als Jazzmusikerin bezeichnet, sollte all diejenigen, die mit dem Genre eigentlich nichts zu tun haben (wollen), nicht davon abhalten, sich von ihrem neuen Album faszinieren zu lassen, denn für strengen Traditionalismus ist auf ´Birdland´ wenig Platz. Oft lässt sich gar nicht genau sagen, was man hier eigentlich hört, wenn groovende Beats, perlende Basslines, geschmeidige Keyboardklänge, bisweilen geradezu hypnotisch anmutende Bläser – Bassklarinette, Flöte, Saxofon – und Miekes Gesang mit elegantem Understatement einen seelenvollen Sound heraufbeschwören, der Singer/Songwriter-Tugenden nicht verleugnet und immer wieder als angenehm andere Art von Pop mit Köpfchen durchgeht und dabei erfreulich zeitlos wirkt. Passend dazu sagt Mieke:
"Was Jazz genau ist, ist schwer definierbar. Musikdefinitionen und Genres finde ich sowieso extrem doof. Ein entscheidendes Element ist aber Improvisation und musikalische Kommunikation zwischen den Musikern. Wenn man mit Jazzmusikern spielt, reproduziert man nicht bloß, sondern die Musik lebt. Deshalb spiele ich auch nicht mit zusätzlichen Backing Tracks. Das würde zwar manchmal gut klingen, so wie auf der Platte halt, aber man steckt dann in einem Korsett, muss mit Klick spielen und sich an die festgelegte Form halten. Das fühlt sich für mich sehr langweilig und sehr falsch an."
In der Tat sorgt genau der handgemachte, lebendige Touch auch auf ´Birdland´ für das gewisse Etwas, ganz abgesehen davon, dass die Aufnahmen oft mit genau dem Überschwang glänzen, der es zu einem echten Erlebnis mach, Mieke live auf der Bühne zu erleben. Obwohl sie Musik studiert hat, ist ihr doch bewusst, dass zu viel Wissen über ein Instrument oder Musiktheorie dem ungefilterten Ausdruck schaden und der natürlichen Naivität im Weg stehen kann, die oft zu den spannendsten Ergebnissen führt.
"Das ist eine Frage, die mich tatsächlich auch immer wieder beschäftigt und auf die es keine eindeutige Antwort gibt", sagt sie. "Musik ist eine Sprache, und wie man die lernt, ob mit Hilfe einer Grammatik oder einfach über das Sprechen, ist eigentlich egal. Was letztendlich zählt, ist, dass man sich in den Dienst der Musik stellt."
Als Musikerin, da ist sie sich sicher, kanalisiert sie Energien, die aus dem Universum kommen.
"Die Verantwortung besteht darin, den Kanal schön sauber und frei zu halten", erklärt sie. "John Coltrane beispielweise hat sein Leben lang jeden Tag stundenlang geübt, manchmal angeblich 14 Stunden, und so sein eigenes harmonisches System entwickelt. Seine Musik hat eine unglaubliche Tiefe und Spiritualität, selbst wenn er nur eine einzige Note spielt. John Lennon und Paul McCartney hingegen haben ohne Wissen über Musiktheorie einfach immer ihren Ohren vertraut. Sie haben aber auch, seit sie 14 Jahre alt waren, ungefähr jeden Tag einen Song geschrieben und im Star Club monatelang jeden Tag drei Shows gespielt – so haben die ihren Kanal geputzt."
Auch bei ihrem eigenen Tun ist Mieke eine möglichst freie Herangehensweise wichtig.
Was mein eigenes Komponieren und Spielen angeht, greife ich superselten bewusst auf Theorie zurück, sondern folge meiner Intuition", verrät sie. "Aber die besteht natürlich aus dem, was ich im Studium gelernt habe, und aus all meinen Spiel- und Hörerfahrungen. Manchmal greife ich zum Bass, auf dem ich ohne längeres Nachdenken nicht weiß, wie die Töne zu den Griffen heißen, und verlasse mich vollkommen auf mein Gehör und das, was dann eben so geht. Weil ich nicht in der Lage bin, etwas Kompliziertes zu spielen, entstehen dadurch manchmal schöne, griffige Riffs. Die muss dann aber im Studio immer noch jemand neu einspielen, der das wirklich kann und sich deshalb drumherum noch lauter neue coole Sachen ausdenkt, die die Basslinie dann erst richtig gut machen."
Bleibt zum Schluss noch die Frage, welche Hoffnungen und Erwartungen Mieke mit ihrem neuen Album verknüpft.
"Ich möchte wirklich endlich mehr live spielen!", antwortet sie. Wir hatten den Sommer über drei Konzerte, und am 11. Oktober spielen wir das Record-Release-Konzert im sehr tollen Alten Stadtbad in Luckenwalde. Aber ich möchte viel, viel mehr mit dieser fantastischen Band spielen und sehen, wie sich die Musik dadurch entwickelt und verändert. Ich hoffe sehr, dass da noch was kommt. Ich würde mich auch richtig freuen, wenn ich mal Musik für einen Film oder eine Serie machen könnte, das ist schon seit Jahren mein Traum. Ich könnte das total gut!"
Aktuelles Album: Birdland (Sonar Kollektiv)
Weitere Infos: miekemiami.bandcamp.com/ Foto: Dovile Sermokas