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STEVE WYNN

Kurator im Museum des Lebens

STEVE WYNN

Lange ist es her, dass Steve Wynn ein Album veröffentlichte, das sich als Solo-Werk bezeichnen hätte lassen. Das hat Gründe: Mit seinen zahlreichen kollaborativen Projekten war Steve in den letzten 16 Jahren seit der Veröffentlichung des Albums „Crossing Dragon Bridge“ so ausgelastet und erfolgreich, dass es keinen Grund gab, ein weiteres Solo-Werk anzugehen, obwohl er immer wieder davon sprach. Insbesondere Wynns Herzensangelegenheit - das Baseball Project, dass er zusammen mit seinen Freunden Peter Buck und Scott McCaughey und seiner Frau Linda Pitmon aus purem Spaß an der Freude betreibt – und die 2017 überraschend reformierten und enorm erfolgreiche Ur-Band The Dream Syndicate, mit der er eine ganz neue Generation von Fans erreichen konnte, forderten seine Aufmerksamkeit. Dass der Mann der schätzt im Laufe seiner über 40 jährigen Karriere ca. 1000 Songs geschrieben zu haben, nun aber doch wieder ein Album unter eigenem Namen vorlegt, hat damit zu tun, dass Wynn die Auszeiten der Pandemie dazu nutzte, den ersten Teil seiner Autobiographie zu schreiben, die dieser Tage unter dem Titel „I Wouldn't Say It If It Wasn't True“ erscheint – und dafür eine Art musikalischen Mehrwert benötigte, um Buch und Musik auf den kommenden Touren in einen kontextuellen Zusammenhang bringen zu können.

Beginnen wir unser Gespräch mit Steve mal mit einer grundlegenden Frage: Was bedeutet Musik heutzutage für den Songwriter Steve Wynn?

„Darüber habe ich auch nachgedacht, als ich das Buch geschrieben habe“, berichtet Steve, „ich haben zum Beispiel darüber geschrieben, wie ich Musik als Kind wahrgenommen habe und als Musiker, der gerade anfängt. In diesen Tagen war Musik alles für mich – 24 Stunden am Tag. Zu dieser Zeit hatte ich ja viel Zeit, davon besessen sein zu können. Wenn man mal darüber nachdenkt, dann machen die meisten Leute ja ihre beste Musik, wenn das das Wichtigste in ihrem Leben ist. Das gilt nicht nur für Musiker, sondern für jede Art von Kunst. Für gewöhnlich ist das aber so, dass die Musik – oder die Kunst – dann im Laufe des Lebens weniger wichtig wird. Deine Familie wird wichtiger, Dein Job wird wichtiger, Deine Kinder werden wichtiger. Man muss Rechnungen bezahlen, man muss sich um seine Gesundheit kümmern und vielleicht hast Du sogar Hobbies, die Dir wichtiger sind. Dann hast Du also diese Musiker die sagen 'ich mag Musik immer noch, muss aber zusehen, wie ich die in meinem Leben unterbringe'. Ich denke viel über diese Sache nach, denn mir ist schon klar, dass ich nie mehr so von der Musik besessen sein kann, wie zu der Zeit als ich 17 war. Aber Musik bedeutet mir immer noch sehr viel, weil das die Sache ist, über die ich mich auch als Fan freuen kann und die alles andere in meinem Leben ins Verhältnis setzt. Und zweitens ist Musik das, was ich als Musiker handwerklich beherrsche und es ist zugleich mein Hobby. Heutzutage erfreue ich mich an meinen Fähigkeiten als Musiker und bemühe mich, es dann auch ordentlich zu machen. Dabei nehme ich die Herausforderung an, immer einen besseren Song oder einen besseren Text schreiben zu wollen, als den letzten, den ich geschrieben habe. Oder ich versuche, etwas auf eine andere Art aufzunehmen als zuvor. Ich bin ein bisschen so, wie der Typ, der in seiner Freizeit in seine Garage geht, um sich an seinem Auto zu erfreuen – nur dass ich mich dann unter das Auto lege und schaue, ob ich den Motor besser reparieren kann, als zuvor."

Kommen wir mal zu der neuen Scheibe: In welchem Zusammenhang stehen die Songs auf der Scheibe denn mit dem ersten Teil der Autobiographie Steve's - „I Wouldn't Say It If It Wasn't True“ - die zeitgleich mit dem Album erscheint?

„Nun in der Pandemie hatte ich Zeit und Muße ein Buch über mein Leben zu schreiben“, führt Steve aus, „als sich herauskristallisierte, dass das dann der erste Teil meiner Biographie – bis zur Auflösung von The Dream Syndicate – sein würde, suchte ich nach einer Möglichkeit auch eine Songsammlung herauszubringen – einfach weil ich auf der nächsten Tour dann auch etwas Neues anzubieten hätte."

Aber einen roten Faden gab es dabei nicht, oder? „Oh nein es gab überhaupt kein Thema“, meint Steve, „ich wollte ja eigentlich gar keine Scheibe herausbringen, sondern mal meine Bestände aufräumen."

Steve Wynn gehört zu jenen Songwritern, denen es nicht so sehr darum geht, mit ihrer Musik sich selbst zu therapieren, sondern darum. Einfach gute Geschichten zu erzählen. Er sagte sogar ein Mal, dass er sich bemühe, über Dinge zu schreiben, mit denen er sich nicht so gut auskenne. Ein weiterer Aspekt seines Tuns ist der, dass er kontinuierlich Songs schreibt – und nicht zur aus bestimmten Anlässen zur Feder greift. Heißt das dann, dass sich die Songs auf der neuen LP dann eher zufällig angesammelt haben?

„Ja, diese Songs entstanden ohne konkrete Anlässe. Um ehrlich zu sein hatte ich ja gar nicht geplant, eine neue Solo-Scheibe herauszubringen, weil ich das Baseball-Project und The Dream Syndicate hatte, die mich gut beschäftigt hatten. Ich brauchte ja eigentlich gar nichts anderes. Erst als sich das Projekt mit dem Buch dann abzeichnete, griff ich auf diese Songs zurück. Die Hälfte davon sind auch Kollaborationen mit anderen Leuten. 'Roosevelt Avenue' entstand zum Beispiel über eine Jam-Session mit dem norwegischen Songwriter Emil Nikolaisen. 'Making Good On My Promises' ist ein Stück, dass mein Freund Paco Loco von der spanischen Band Australian Blonde gemacht hat – zu dem ich nur den Text geschrieben habe und gesungen habe. 'Cherry Avenue' und 'Then Again' haben wir mit einer Band namens Psychic Temple in Long Beach aufgenommen und 'Madly' ist ein Outtake von 'Crossing Dragon Bridge', das ich zusammen mit Chris Eckmann aufgenommen habe – welches ich jetzt auf die Scheibe genommen habe, weil es meiner Mutter immer so gut gefallen hat. Erst als ich die Sammlung dann zusammenstellte, wurde mir klar, dass ich da über mich geschrieben hatte."

Sind die Songs dann chronologisch angeordnet? Folgen sie der Zeitlinie der Autobiographie?

„Nicht ganz“, erklärt Steve, „nur der erste und der letzte Song sind chronologisch. In 'Santa Monica' begann ja meine Laufbahn und 'Roosevelt Avenue' ist die Straße in Jackson Heights, Queens, an der ich heute meinen Lebensmittelpunkt habe. Und dann ist das auch so, dass die Autobiographie ja erst mal nur bis zur Auflösung von The Dream Syndicate nach dem Album „Ghost Stories“ von 1988 reicht. Es wird dann später einen zweiten Teil geben, der die Geschichte ab diesem Zeitpunkt erzählt. 'Santa Monica' ist dabei der einzige Song, den ich für dieses Projekt im März neu geschrieben habe. In dem Song blicke ich auf meine Anfänge als Musiker zurück – und das ist auch der Grund, warum Freunde aus jenen Tagen - John Cowsill und Vicky Peterson von den Bangles - darauf mitsingen."

In Autobiographien geht es ja auch darum, Erinnerungen festzuhalten. Ist nicht eigentliche die Musik auch ein geeignetes Medium, um Erinnerungen festzuhalten?

„Ja, das hast Du wohl recht“, bestätigt Steve, „ich mach sowieso oft Songs, die einen Hauch von Nostalgie in die Jetztzeit überführen. Das ist ein Mittel, das ich gerne anwende. Ich schreibe gerne Songs, in denen ich mich in den ersten beiden Strophen an Dinge aus der Vergangenheit erinnere und dann zu der Punchline komme, was diese Dinge mit mir gemacht haben und was sie heute bedeuten; was ich bereue oder eher nicht. Und natürlich geht es auch in dem Buch um solche Dinge."

Ein schönes Beispiel für diese Sorte von Songs ist „You're Halfway There“, wo es ja darum geht, dass der Weg das Ziel ist und dass man doch eigentlich mit dem zufrieden sein sollte, was man bislang erreicht hat.

„Ja genau – wenn wie älter werden, dann werden wir ja zu den Kuratoren im Museum unseres Lebens. Wir sind also die Verwalter unserer Geschichte und es geht dann darum, herauszufinden, was wir durch diese Geschichten gelernt haben, was andere dadurch gelernt haben und was es alles bedeutet. Ich habe dabei das Glück, dass ich das dann auf meinen Scheiben festhalten kann. Wir leben ja in Zeiten, in denen alles öffentlich ist und da kommt es auf Authentizität an. Die Leute möchten ja hören, wie es Dir geht. Jeder ist heute ein offenes Buch. In meinem älteren Song „If My Life Was An Open Book“ hatte ich ja noch gesagt, dass dem nicht so sei – aber mit dieser Scheibe muss ich einräumen, dass es heute eben doch so ist."

Mit dem Buch und der LP wollte Steve Wynn nach eigener Aussage also reinen Tisch machen, um so befreit und ohne Ballast für neue Projekte – vorzugsweise in Form von weiteren Solo-Alben – in die Zukunft schauen zu können. Auf den anstehenden Touren in den USA, dem UK und Europa wird er Buch und Album dann auch live präsentieren.

Aktuelles Album: Make It Right (Fire Records / Cargo)


Weitere Infos: https://www.stevewynn.net/make_it_right.php

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