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WUNDERHORSE

Instinktgeleitet

WUNDERHORSE

Ungeschönte Schnappschüsse: Auf ihrem explosiven zweiten Album, ´Midas´, begeistern die britischen Senkrechtstarter Wunderhorse mit einem Sound, der vom ersten Ton an mit rauen Ecken und Kanten, gewollter Unvollkommenheit und einer schier unbändigen Grunge-Energie fesselt. Live im Studio eingespielt, sind diese zehn ungestümen Songs im heutigen Pop-Einerlei ein kaum mehr für möglich gehaltener Blitzschlag an Kreativität und Individualität. Im November kommt das Quartett als Support von Fontaines DC auch nach Deutschland.

Entstanden sind Wunderhorse vor rund drei Jahren aus der Asche der Dead Pretties, der furiosen Post-Punk-Band, mit der Frontmann Jacob Slater schon als Teenager viel Staub in Londons DIY-Szene aufwirbelte, bevor der Stern des jungen Trios fast genauso schnell verglühte, wie er aufgegangen war. Auf dem vor zwei Jahren veröffentlichten Wunderhorse-Debüt ´Cub´ verarbeitete Slater seine Vergangenheit ebenso wie sein neues Leben als Surfer an der Küste vor Cornwall und tauschte dafür den vom Punk geküssten Geist seiner alten Band gegen von Eliott Smith, Neil Young oder Thom York inspirierte Songs ein.

Im Anschluss waren Slater, Gitarrist Harry Tristan Fowler, Bassist Pete Woodin und Schlagzeuger Jamie Staples als Support von Fontaines DC, Sam Fender oder Pixies unterwegs, und Slater freut sich im WESTZEIT-Interview sehr, dass die ersten beiden Tourneen nicht etwa durch clevere Business-Kontakte, sondern tatsächlich auf persönliche Einladung der Musiker der Headliner-Bands zustande gekommen sind:

"Das fühlte sich sehr organisch an, und ich dachte: Wenn andere Musiker erkennen, was du tust, dann ist da wahrscheinlich etwas dran, anstatt dass jemand in der Industrie einfach etwas an die Wand wirft und hofft, dass es hängen bleibt, denn dort geht es nicht wirklich um gute Musik. Aber wenn die Musiker selbst diejenigen sind, die sich für etwas einsetzen, dann ist das so positiv, wie es nur sein kann."

Auf diesen Gastspielreisen wuchsen Wunderhorse zu der unzertrennlichen Einheit zusammen, die nun auf ´Midas´ unter der Produktionsregie von Grammy-Gewinner Craig Silvey (The Rolling Stones, Florence + The Machine, The National) absichtlich ungeschliffen und kunstvoll kaputt klingt und scheinbar keine Mühe hat, ihre Ideen mit geradezu telepathischem Gespür völlig ungefiltert in kleinen und großen (Indie-)Rock-Hymnen für die Ewigkeit festzuhalten. Dass sich Wunderhorse dafür vollkommen anderer Vorbilder bedienen als noch auf ´Cub´, spiegelt die künstlerische und menschliche Weiterentwicklung der Band wider.

"Es geht um die Mission!", erklärt Slater. "Die Mission bei diesem Album war, Musik auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu machen, und immer, wenn wir vom Weg abgekommen sind, ist unser Produzent Craig eingeschritten und hat gesagt: 'Nee, das ist nicht das, was wir hier machen! Um die Platte zusammenzuhalten, müssen alle Songs mit der gleichen Intention aufgenommen werden.'"

Kennengelernt hatten Wunderhorse ihren Produzenten auf Empfehlung von Dani Bennett-Spragg, die ´Cub´ abgemischt hatte, und es dauerte nicht lange, bis den vier Musikern klar war, dass Silvey der richtige Mann für den Job ist.

"Er hat sich dann mit uns hingesetzt und gesagt: 'Eure erste Platte war in Ordnung, aber ziemlich auf Nummer sicher!', und wir dachten sofort: Der Typ ist nach unserem Geschmack! Es kommt so selten vor, dass du im Musikbusiness hörst, was jemand wirklich denkt!", erinnert sich Slater. Silvey war es auch, der dem Quartett vorschlug, in den legendären Pachyderm Studios in der Einöde Minnesotas aufzunehmen, wo einst Nirvana, PJ Harvey oder Superchunk Meisterwerke schufen. "Craig hatte auch andere Studios im Auge, unter anderem Electrical Audio, das Studio von Steve Albini in Chicago, aber letztlich hat der Aufnahmeraum im Pachyderm den Ausschlag gegeben, denn der klingt unglaublich!", erinnert sich Fowler. "Wenn du eine gute Band in einen guten Raum steckst, dann ist alles OK! Bei allen Takes, die wir aufgenommen haben, waren wir zusammen im Raum, wir waren nicht alle in verschiedene Räume oder abgeteilte Ecken verbannt, wo wir uns noch nicht einmal sehen können."

"So sollte niemand Musik aufnehmen", ist auch Slater überzeugt. Lachend fügt er hinzu: "Wenn du Gitarrenmusik machst, musst du dich gegenseitig riechen können. Ein großer Teil dessen, was Gitarrenmusik so besonders macht, wenn man als Teenager in seiner ersten Band irgendwo in einer Garage spielt, ist dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es ist so leicht, das zu verlieren, wenn man sagt: 'OK, das Schlagzeug wird in diesem Gebäude sein, die Gitarren werden in diesem Gebäude sein, ihr müsst nicht mal zur gleichen Session kommen, denn wir nehmen das Schlagzeug am Dienstag auf und die Gitarren am Mittwoch.' Das zerbricht alles! Wir hingegen wollten das Gefühl wiederentdecken, das man hat, wenn man 15 ist und mit seinen Kumpels drei Akkorde raushaut!"

Neben ´Exile On Main Street´ von den Rolling Stones oder eben auch ´In Utero´ von Nirvana diente Wunderhorse bei den Sessions nicht zuletzt auch ´Let It Be´ von den Replacements als wichtige Inspirationsquelle, wenn es darum ging, echt und authentisch zu klingen.

"Die Band ist ein leuchtendes Beispiel für alles, was wir tun. Wann immer es Momente gibt, in denen wir unschlüssig sind, ob wir das tun sollten, was alle uns empfehlen, erinnern wir uns daran, dass die Replacements immer nur auf ihren Bauch gehört haben und dass man sich stets auf seine Instinkte verlassen sollte!"

Wie es klingt, wenn man dieses Credo unbeirrt in die Tat umsetzt, kann man nun auf ´Midas´ hören, einem der spannendsten, nein, besten Alben des Jahres.

Aktuelles Album: Midas (Communion Records / Rough Trade)


Weitere Infos: www.wunderhorseband.com Foto: Polocho

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