Dass das dritte Album von Suzan Köcher's Suprafon erst fast 5 Jahre nach dem letzten, selbst betitelten Werk erscheint, hängt zum einen damit zusammen, dass die Pandemie genau in die Phase der Tour zum letzten Album über uns alle hereinbrach und zum anderen daran, dass Suzan Köcher und Julian Müller an einer Unzahl verschiedener Projekte beteiligt sind und schon alleine deswegen Prioritäten setzen müssen. Während Suzan und Julian also bereits während der Pandemie begannen, neue Songs für das nun vorliegende Werk „In These Dying Times“ zu schreiben, gab es verschiedene Projekte wie z.B. Corona Sessions und die letzte LP „Vorwärts Rückwärts“ von Julians „anderer Band“ Blackberries, ein Projekt über die Musikhistorie Solingens, eine Rockpalast-Aufzeichnung, eine bandinterne Umbesetzung sowie verschiedene Recording-Projekte, die erst noch in Zukunft greifen werden, aber bereits in den letzten Jahren realisiert wurden. Doch was lange währt wird endlich gut: „In These Dying Times“ ist das bislang zugänglichste – um nicht zu sagen poppigste – Werk der Solinger Psychedelia-Institution geworden – und es ist das erste Album Suzan Köchers, auf dem dezidiert auch politische Töne angeschlagen werden. Grund genug, sich wieder einmal mit Suzan und Julian kurzzuschließen.
Gab es denn einen Masterplan für das neue Album?„Man setzt sich natürlich irgendwo schon Ziele und Pläne in gewissem Rahmen“, führt Julian Müller aus, „aber einiges lässt man auch offen, um nicht künstlich zu etwas hinzukommen, sondern sehen zu können, welche Ideen und Songs da sind. Dann kann man auch schauen, welche wie zusammenpassen, denn wir haben mehr geschrieben, als wir letztlich aufgenommen haben. Dann hat man dann einen gewissen Backkatalog, wenn man sagt, dass man noch was für die Platte braucht oder man greift auf ein Riff oder auf eine Idee zurück und nimmt sich irgend etwas daraus.“
„Also Du hast mehr geschrieben“, meint Suzan, „ich bin eher so, dass ich nur Songs für ein bestimmtes Projekt schreibe und wenn mir Ideen nicht gefallen, dann verwerfe ich diese auch schnell wieder. Ich will eigentlich nur an Sachen arbeiten, die ich dann auch rausbringen möchte.“
Wie war denn zum Beispiel die Pandemie für Suzan und Julian?
„Die war wohl für niemanden einfach“, meint Suzan, „das war am Anfang für Julian aber sogar eine Art Entspannungszeit.“
„Es spielen da verschiedene Gefühle rein“, ergänzt Julian, „am Anfang war natürlich auch diese Unsicherheit dabei - wie das alles weitergeht mit der ganzen Welt und was das alles noch auslösen könnte. Für mich war es schon so, dass ich plötzlich Zeit hatte und Sachen wie ein Projekt zur Solinger Musikgeschichte machen konnte.“
„Für mich war das aber alles nicht so entspannt“, gesteht Suzan, „mir hat das Angst gemacht und Grund-Sozial-Ängste ausgelöst. Ich hatte dann irgendwann Probleme in den DM zu sehen, weil ich so lange keine Leute mehr gesehen hatte. Ich habe auch von Vielen gehört, dass die das gleiche erlebt haben. Zum Glück habe dann einen Therapie-Platz gefunden und konnte daran arbeiten – worüber ich dankbar bin. Das war aber wirklich ein Trigger für meine sozialen Ängste.“
Die Bilder, das Artwork und die Videos zur neuen Scheibe sind natürlich wieder gepflastert mit organischen, psychedelischen Effekten. Bei der Psychedelia geht es ja weniger um Logik oder Vernunft, sondern um unwirkliche Traumwelten und Metaphysik im Sinne der Surrealisten. Wie manifestiert sich das denn eigentlich im musikalischen Prozess?
„Auf der Bühne sicher durch unsere Instrumentalparts“, erklärt Julian, „deswegen haben wir auf der Scheibe jetzt auch erstmals längere Stücke.“
„Ja, wir waren bei unseren Fans immer für unsere ausufernden Instrumentalparts bekannt“, ergänzt Suzan, „und die Leute haben immer gefragt, wo sie diese langen Songs denn auf unseren Platten finden könnten. Deswegen haben wir uns überlegt, auf dieser Scheibe einen langen Song – 'Desert Air Motel' – zu machen, damit diese Leute denn auch glücklich sind.“
„Aber was die Psychedelia betrifft bin ich textlich eigentlich immer ein bisschen konkreter als Suzan – auch bei den Blackberries“, fügt Julian hinzu, „klar gibt es Metaphern oder so etwas – aber es geht nicht um abgedrehte psychedelische Texte.“
„Aber so bin ich auch nicht mehr“, wirft Suzan ein, „ich war früher vielleicht so, dass ich in meinen Texten schweben wollte – aber ich bin heute gefühlt auf dem Boden der Tatsachen angekommen.“ „Ja, lass uns das doch psychedelischen Realismus nennen“, schlägt Julian vor.
Ist der Titeltrack des Albums denn dann Suzan Köcher's Kommentar zum Zeitgeschehen – wie es der Titel nahelegt?
„Oh ja“, meint Suzan, „das ist ein politischer Song über das, was wir aktuell denken und fühlen und was viele Leute auch denken und fühlen. Es geht darum, nicht schwermütig zu werden, während um einen herum auf mehreren Ebenen alles kaputt geht.“
„Das ist dann ein Text, der eher typisch für mich ist“, überlegt Julian, „wir fanden das auch deshalb als Titelsong treffend, weil es um die Zeiten geht, in denen wir leben. Nicht die ganze Platte ist ja politisch aber dieser Song ist es schon. In Zeiten wie diesen sucht sich jeder seinen eigenen Weg. Wir können ja alle nicht sagen, wo es hingeht – aber so richtig gut sieht es ja nicht aus.“
(Noch ein Hinweis: Das Solinger-Messerattentat während eines Auftrittes von Suzan Köcher's Suprafon hatte zur Zeit des Gespräches mit Suzan und Julian noch nicht stattgefunden – und kann demzufolge hier auch nicht thematisiert werden).
Was bedeutet denn die Musik als solche für Julian und Suzan in diesem Kontext?
„Also für mich war Musik schon immer meine Art und Weise zu kommunizieren“, gesteht Suzan, „ich tue mich immer schwer damit in Gesprächen zu sagen, was ich denke. Das wird zwar immer leichter für mich – worauf ich aus stolz bin – aber als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich das aus dem Grund gemacht, weil ich nicht gesagt habe, was ich echt fühle und das war mein Weg zu sagen, was ich denke. Das fiel mir wesentlich leichter, als eine Kommunikation zu führen. Das ist immer noch so, denn es geht ja nicht nur um die Worte, sondern auch die Gefühle, die Emotionen und den Vibe, den man so rüberbringt.“
„Ich bin da ein bisschen anders“, gesteht Julian, „ich habe immer schon geradeheraus gesagt, was ich denke – vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Bei mir ging es eher darum die Musik und die Melodien, die ich ständig im Kopf hatte, zu realisieren. Bei mir kreisten und kreisen immer noch ganz viele Gedanken im Kopfe herum, die sich um Musik drehen – ob ich Musik mache oder höre oder drüber lese. Musik ist die Welt in der ich lebe und in der ich mich ausdrücke.“
Was ist denn eigentlich das, was Suzan und Julian an der Psychedelia musikalisch so fasziniert? Oft geht es da ja oft nur um ein einziges Riff oder eine Hookline, über die man sich dann in eine Art Trance hineinsteigert.
„Ja, aber eine spirituelle Trance“, ergänzt Suzan. „Das ist bei unserem Song 'The Trip' ja auch so, dass es da drei Akkorde gibt, die sich immer wiederholen. Eigentlich könnte man die Gitarre auch loopen und dann für immer weiterlaufen lassen.“
„Es geht bei so etwas darum, sich gehen zu lassen“, wirft Suzan ein.
Auf der anderen Seite gibt es dann aber ja auch Tracks wie „Living In A Bad Place“, die zwar auch mit Wiederholungen arbeiten, dann aber auch sehr stark durchstrukturiert sind und auch mit Refrains aufwarten. Hängt das dann vielleicht mit den Inhalten zusammen? Um welche „schlechten Orte“ geht es z.B. in dem Song?
„Das ist ja für jeden anders“, meint Suzan, „für mich geht es um einen emotionalen 'Bad Place'. Das kann ein Ort sein, zu dem man nicht hin möchte – das kann aber ein ein emotional schlechter Ort sein, wo man nicht hin möchte. Es ist dann die Frage, ob man den mal besuchen sollte.“
„Für mich ist das auch ein Song, der einen verfolgt“, ergänzt, „wie wenn man eine dunkle Straße entlang geht und sich nicht wohl fühlt.“
„Für mich geht es da um eindeutig um Depressionen“, fügt Suzan hinzu. Wobei wir dann wieder beim Titel des Albums wären. „Ja, der 'Bad Place' ist auch diese Welt, in der wir leben“, gibt Suzan zu bedenken.
Gibt es ansonsten noch Projekte und/oder Pläne für die Zukunft?
„Ich arbeite noch an einer deutschen Scheibe“, verrät Julian, „wir hatten auf der letzten Blackberries Scheibe ja schon deutsche Titel. Ich habe dann angefangen, auch ein paar deutsche Songs zu schreiben. Ich will das noch machen – bin mir aber noch nicht ganz sicher, wann und wie genau. Demos gibt es schon und will mich demnächst mal drangeben. Es ist natürlich schwierig, den Fokus zu finden, wenn man so viele Projekte hat. Bei unserer Zusammenarbeit mit dem kanadischen Songwriter Jerry Leger war das Schöne, dass das zwar eine sehr intensive Arbeit war – aber er alles geregelt hat. Bei eigenen Projekten muss man halt immer überlegen, ob man die Zeit und Energie hat – und wann man die hat. Ich will das aber unbedingt machen mit den deutschen Songs. Und dann haben wir auch noch eine Platte mit Hermann Daun aufgenommen - einem Solinger Soul-Sänger, der 1968 seine erste Scheibe eingespielt hat. Die Stücke habe ich alle innerhalb einer Woche geschrieben. Das ist alles noch nicht veröffentlicht, weil uns noch die Zeit gefehlt hat. Aber auch da gilt: Zeit und Ressourcen sind immer knapp.“
Ohne Frage wird es Suzan und Julian so schnell also nicht langweilig werden – zumal ja für die neue Suprafon-Scheibe auch gerade wieder eine längere Tour läuft.
Aktuelles Album: In These Dying Times (Unique Records / Schubert Music/ Rough Trade)
Titelbild: Nadia Wardi
Weitere Infos: suzankoecher.com Foto: Ullrich Maurer