Schon auf ihrem Debüt ´Don´t Let The Kids Win´ faszinierte Julia Jacklin im Jahre 2016 mit ihrer gnadenlos schönen Stimme und ihren mit feiner Selbstironie gespickten Storytelling-Songs, bevor sie mit dem auch an dieser Stelle zur Platte des Monats gekürten Nachfolger ´Crushing´ vor drei Jahren ein kathartisches Glanzlicht zwischen Trennungsschmerz und Selbstermächtigung setzte. Für ihr nicht minder brillantes drittes Album, ´Pre Pleasure´, ließ sich die inzwischen 32-jährige Australierin nun von der Musik inspirieren, die sie als Kind am meisten geliebt hatte: Eine Hommage an ihr jüngeres Ich und ihren bisherigen musikalischen Weg.
Mit ihrem letzten Album war Julia Jacklin zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Statt ihre Gefühle unter Metaphern zu begraben, schüttete sie auf ´Crushing´ mit oft brutaler Ehrlichkeit ihr Herz aus und verarbeitete die aufwühlende Achterbahnfahrt ihres Lebens als Musikerin „on the road“ und die bisweilen niederschmetternden Konsequenzen für ihr seelisches und körperliches Wohlbefinden in hochemotionalen Liedern, die unter die Haut gingen. Das Album katapultierte sie zu Phoebe Bridgers, Julien Baker oder Lucy Dacus in die erste Liga des Indie-Folk, und plötzlich klopfte sogar Lana Del Rey an, um ihr mit einem Duett des ´Crushing´-Highlights ´Don´t Know How To Keep Loving You´ eine ganz große Bühne zu bieten.Trotz ihrer aufblühenden Karriere und einer beständig wachsenden Fangemeinde ist Jacklin in ihrer liebenswert lakonischen Art aber bemerkenswert bodenständig geblieben. Der Grund dafür, da ist sie sicher, ist denkbar simpel.
„Die Abstände zwischen meinen Platten sind so groß, dass ich fast vergessen habe, dass ich ein Publikum habe – ganz besonders während der Pandemie“, erklärt sie im WESTZEIT-Interview, während sie parallel geduldig stapelweise LP-Vorbestellungen signiert. „Ich habe zwei Jahre zu Hause verbracht und kaum Musik gemacht. Ich denke, das war wirklich ein Segen, denn ich habe alles ausgeblendet, was vorher war. Dieses neue Album aufzunehmen, fühlte sich für mich deshalb an, als würde ich meine erste Platte einspielen. Das war sehr befreiend."
Die erzwungene Isolation der Pandemie, die die ursprünglich aus den Blue Mountains stammende Musikerin in ihrer Wahlheimat Melbourne verbrachte, hatte aber auch noch andere unerwartet positive Effekte für Jacklin.
„Die Pandemie hat mir die Chance geben, mich daran zu erinnern, dass ich selbst auch ein großer Musikfan bin“, verrät sie. „Das kannst du schnell vergessen, wenn du selbst die ganze Zeit Musik machst. Du verlierst den Kontakt zu dem Teil von dir, der einfach gerne anderen Leuten beim Musikmachen zusieht und zuhört."
Auf den ersten Blick mag diese Erkenntnis unbedeutend erscheinen, dennoch hat sie entscheidenden Einfluss auf das neue Album genommen.
„´Pre Pleasure´ ist deutlich davon geprägt, wieder ein Fan zu sein“, bestätigt sie. „Ich habe wieder viel die Musik gehört, die ich liebte, bevor ich Musikerin wurde – Silverchair, Céline Dion und all die Sachen, von denen ich gar nicht genug bekommen konnte, als ich ungefähr zehn war. Das gab mir irgendwie den Mut, mich wieder in die Arbeit zu stürzen und dieses dritte Album zu machen. Als ich zuvor so viel auf Tour war, fühlte ich mich wie eine Maschine, die jede Nacht einen Job macht. Irgendwann wollte ich keine Musik mehr hören, weil meine Ohren ständig taub waren. Wenn du so viel arbeitest, besteht die Gefahr, dass du die Verbindung verlierst zu dem, was du tust. Wieder mehr Fan zu sein, hat mir deshalb definitiv geholfen, dieses neue Album zu machen."
Auf ´Pre Pleasure´ singt Jacklin ohne Scheu vor Ehrlichkeit und Intimität über Vergangenheit und Zukunft, Familie und Freundschaften, Liebe und Verlust und fängt dabei all die Freude und Verwirrung ein, die oft mit der Selbstfindung einhergehen, dabei besitzen selbst die gedämpftesten Momente eine gewisse Leichtigkeit und glänzen mit dem Blick für das Besondere.
„Wenn ich schreibe, suche ich immer nach einem etwas anderen Blickwinkel“, erklärt Jacklin. „Die großen universellen Themen – Liebe und Verlust, Schmerz und Freude – das sind Dinge, über die bis in alle Ewigkeit geschrieben werden wird, weil es ja auch wirklich nicht viel anderes gibt, über das man Lieder machen könnte. Ich finde es immer sehr interessant, Leute zu hören, die über ihre Erfahrungen schreiben, dies aber aus einer ungewöhnlichen Perspektive tun. Genau das ist es, was ich auch stets versuche."
Aufgenommen hat Jacklin ´Pre Pleasure´ bereits vor einem Jahr in Montreal, mit dem Kanadier Marcus Paquin auf dem Produzentenstuhl und ihrer ebenfalls aus Kanada stammenden Touringband – darunter die auch bei The Weather Station aktiven Ben Whitley am Bass und Will Kidman an der Gitarre sowie Laurie Torres am Schlagzeug. Auf dem Album tauscht sie den warmen, gitarrengetriebenen Sound ihrer ersten beiden Platten gegen den dezenten Einsatz von Drumcomputer, Klavier und orchesterverzierten Glanz ein und setzt dabei ihre einzigartige Stimme eindrucksvoller in Szene als je zuvor. Doch so brillant Jacklin auf ´Pre Pleasure´ auch neue Wege geht – ein ausgeklügelter Masterplan steckt nicht dahinter.
„Ehrlich gesagt – bislang resultierte jede meiner Platten aus glücklichen Fügungen“, sagt sie bescheiden. „Ich habe weder das Hirnschmalz noch die Geduld, um auf große Ideen zu kommen und dann Jahre damit zu verbringen, zu ergründen, wie ich sie vermitteln kann. Wenn ich älter bin, ändert sich das vielleicht, denn womöglich lässt dann der Stress nach, mich als junger Mensch immer wieder selbst beweisen zu müssen. Dann könnte ich mir mehr Zeit nehmen, um herauszufinden, wie man große Ideen Realität werden lässt, aber letztlich geht es für mich beim Plattenmachen vor allem darum, den Moment festzuhalten, die Gedanken und Ideen, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt habe, und sie einfach zu veröffentlichen, bevor ich Zeit habe, darüber nachzudenken."
Das gilt ganz besonders auch für die klangliche Seite. Denn auch wenn sie wusste, dass ihr neue Impulse guttun würden, hatte sie zunächst keine konkreten Vorstellungen davon, welche das sein sollten.
„Ich habe es nie darauf angelegt zu sagen: ´OK, dies ist meine dritte Platte, jetzt wird es Zeit, zum Keyboard zu wechseln´, denn ich kann nicht Klavier spielen“, erklärt sie. „Ich spiele es zwar auf der Platte, aber ich verstehe nicht wirklich, wie das Instrument funktioniert. Entscheidender für mich war, dass ich beim Schreiben ein Instrument brauchte, das mich aus alten Gewohnheiten herausreißen würde. Ursprünglich war der Plan, die Keyboard-Songs anschließend alle auf die Gitarre zu übertragen, aber im Studio stellte sich heraus, dass das nicht richtig funktionierte, also sagte ich mir: ´OK, dann mache ich jetzt wohl ein bisschen Klaviermusik´."
Die Idee, mit dem Keyboard beim Schreiben neue Inspiration zu finden, trug tatsächlich Früchte. Songs wie ´Love, Try Not To Let Go´ oder ´Ignore Tenderness´ entstanden spontan während der Aufnahmen in Montreal, während Jacklin an einer Nummer wie ´Neon´ praktisch Jahre feilte, bis sie eine Version gefunden hatte, mit der sie glücklich war. Anders als andere Musikerinnen und Musiker, die den Weg als Ziel sehen und einen ausufernden Arbeitsprozess durchaus zu schätzen wissen, wäre es Jacklin allerdings lieber, sie könnte mit den Fingern schnipsen, damit ihr die perfekten Lieder in den Schoß fallen.
„Ich glaube nicht, dass ein langer Entstehungsprozess einen Song besser macht“, sagt sie bestimmt. „Meistens dauert es nur so lange, weil man blockiert ist und die Blockade nicht durchbrechen kann. Oft passiert es dann, dass man zu lange an einem Lied arbeitet und es dadurch zerstört wird. Ich möchte einfach großartige Songs schreiben, und nie sollte ich dafür länger als fünf Minuten brauchen. Das ist mein Traum!"
Auch deshalb arbeitet Jacklin gerne weit weg von zu Hause. Das gibt ihr nicht nur die Chance, sich mehr auf das Schreiben und die Aufnahmen zu konzentrieren, die Entfernung hilft ihr auch, die Selbstzweifel im Zaum zu halten, die sich einschleichen, wenn sie täglich von den Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld umgeben ist, die nicht selten ihre Songs bevölkern.
„Ich habe definitiv das Gefühl, dass ich von zu Hause weg sein muss, um eine Platte zu machen“, sagt sie. „An einen neuen Ort zu kommen, ist wichtig für mich, um mich kreativ zu fühlen und mein Gehirn in Bewegung zu bringen. Wenn ich am Ende eines jeden Tages nach Hause gehe, verfalle ich zu schnell in meine Routinen. Mir gefällt es, die Dinge aus einer neuen Perspektive anzugehen, und ich mache gerne Platten in einem Rutsch – drei Wochen, neuer Ort, neuer Produzent, einfach etwas raushauen."
Sie muss lachen. „Mit den Konsequenzen meines Tuns kann ich mich dann immer noch später beschäftigen!“
Aktuelles Album: Pre Pleasure (Transgressive / PIAS / Rough Trade)
Weitere Infos: www.juliajacklin.com Foto: Izzie Austin