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MARLON WILLIAMS

Immer der Nase nach

MARLON WILLIAMS

Nach zwei Platten, auf denen Marlon Williams musikalisch (´Marlon Williams`) und textlich (´Make Way For Love´) in Nostalgie schwelgte, sucht sich der neuseeländische Troubadour mit der markant-samtigen Croonerstimme für sein neues Werk neue Herausforderungen. Auf ´My Boy´ überrascht er mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Tiny-Ruins-Lager mit verspielteren Songs und dezentem 80s-Vibe.

Auf den ersten Blick präsentiert sich Marlon Williams auf ´My Boy´ von einer ganz neuen Seite. Vorbei sind die Zeiten, in denen er Outlaw-Country-Helden wie Hank Williams oder Willie Nelson nacheiferte, jetzt heißen die Namen, die für leuchtende Inspiration sorgten, eher Duran Duran, John Grant, Perfume Genius oder Bee Gees. Doch so neu und ungewohnt vieles auf dem Album zunächst klingt – bei näherer Betrachtung steckt doch eine Menge des „alten“ Marlon in diesen Liedern.

„Ja und nein”, antwortet Williams folgerichtig, als wir ihn beim WESTZEIT-Interview fragen, ob er selbst sein Album als Neuanfang sieht. „Mein letztes Album war offenkundig sehr zielgerichtet, ein klassisches Trennungsalbum. Dieses Mal stand mir der Sinn nach etwas, das viel unspezifischer ist. Es geht mehr um das Suchen und die Songs sind verspielter, auch wenn ich bemüht war, selbst das Trennungsalbum spielerisch zu gestalten. Humor und tiefe Trauer – das sind die Welten, in denen ich mit meiner Arbeit schon immer unterwegs war und es auch weiter bin. Deshalb gibt es sicherlich Gemeinsamkeiten zu den früheren Platten, wenngleich der Humor dieses Mal eine größere Rolle spielt."

Tatsächlich ist Williams ein Künstler, der sich von der Muse leiten lässt. Selbst bei ´Make Way For Love´ wurde ihm erst bewusst, dass sich die meisten Songs um sein Beziehungsaus mit Aldous Harding drehen, als es zu spät war, das Ruder noch herumzureißen. Dieses Mal stellt Williiams Themen wie die Rolle der Männlichkeit oder Eskapismus in den Mittelpunkt, aber auch das geschah ohne echte Intention.

„Das sind lediglich die Schlüsse, die ich nach Fertigstellung der Platte gezogen habe”, erklärt er. „Ich hatte keinen Titel für das Album und ´My Boy´ erschien mir einfach am treffendsten zu sein. Ich habe mich bei der Arbeit an einigen bestimmten Parametern orientiert, und es gab einige Einflüsse, die mich auf den Weg gebracht haben, auch wenn man das am Ende nicht mehr unbedingt hören kann. Immer der Nase nach – so arbeite ich die meiste Zeit am liebsten. Hochtrabende Konzepte sind nichts für mich."

Als temperamentvoll, komplex und kinetisch sind die neuen Lieder deshalb schon beschrieben worden, die Williams mit in einem auch pandemiebedingt ungewohnt ausgedehnten Entstehungsprozess – „Es gab jede Menge Raum für Selbstzweifel“, sagt er leicht zerknirscht –, aber ohne seine langjährige Begleitband The Yarra Benders einspielte. Produziert wurde ´My Boy´ von Tiny Ruins-Gitarrist Tom Healy, der nicht nur selbst in die Saiten griff, sondern auch gleich noch seine Bandkollegin, die wunderbare Cass Basil, für den Bass verpflichtete – übrigens die erste Frau, die eine zentrale Rolle auf einem Williams-Album übernahm –, während sich der in L.A. lebende Paul Taylor, der schon mit Peter Gabriel und Feist zusammengearbeitet hat, und Elroy Finn (Neils Sohn und Crowded-House-Bandkollege) den Platz am Schlagzeug teilten. Williams drehte an den Stellschrauben, wo er nur konnte.

“Ich habe ja als Country-Songwriter angefangen, denn das war das, was mich als Teenager am meisten interessiert hat, nachdem ich Hank Williams, Willie Nelson und all diese Künstler entdeckt hatte“, erklärt er. Inzwischen ist diese strikte Selbstbeschränkung aber gerade als Texter nichts mehr für ihn. „Ich finde, mit den richtigen Farben und mit der richtigen Musik kann jeder Text funktionieren“, ist er überzeugt. „Den richtigen Punkt zu treffen zwischen Fremdartigkeit und Vertrautheit – das ist das, worum es mir heute geht."

Aktuelles Album: My Boy (Dead Oceans / Cargo)


Weitere Infos: www.marlonwilliams.co.nz Foto: Steve Gullick

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