Seit Julien Baker und Phoebe Bridgers weitergezogen sind, haben die Studierendenwohnheime und Ein-Zimmer-Apartments in Sadtown, USA, neue Mieterinnen und Mieter gefunden. Katy Kirby zum Beispiel, die sich nun anschickt, mit ihrer betont unaufgeregten Debüt-LP ´Cool Dry Place´ und gerne etwas ironisch anmutenden Songs, die kunterbunt und organisch zugleich sind, das Indie-Universum im Sturm zu erobern.
Geboren und aufgewachsen in einer texanischen Kleinstadt und früh durch den Kirchenchor musikalisch (vor-)sozialisiert, betrachtet Katy Kirby ihre Jugend auf ´Cool Dry Place´ im Rückspiegel. Fürs Studium zog sie nach Nashville, Tennessee, und wechselte gleich fünf Mal ihr Hauptfach, bevor sie ihren Anglistik-Abschluss und ein neues Weltbild in der Tasche hatte, und auch als Musikerin brauchte sie eine ganze Weile, bis sie sich und ihren Weg gefunden hatte. Mehrfach scheiterte sie in den letzten Jahren bei dem Versuch, ihr Debütalbum aufzunehmen, bis sie in ihrem Freundeskreis mit Alberto Sewald und Logan Chung endlich die richtigen Mitstreiter fand. Trotzdem betrachtet sie die verlorene Zeit rückblickend als wertvolle Erfahrung.„Ich denke, die wichtigste Lektion war, dass ich inzwischen gelernt habe, dass du dich nicht zu sehr auf andere verlassen solltest“, sagt sie im Westzeit-Interview. „Es ist oft gut, auf deinem Standpunkt zu beharren und für die Dinge zu kämpfen, die dir selbst wichtig sind. Wie man mit anderen kollaborieren kann, ohne dabei zu viele Kompromisse einzugehen – das ist das Gebiet, auf dem ich hoffentlich die größten Fortschritte gemacht habe.“
Klanglich bewegt sich Kirby auf ´Cool Dry Place´ zwischen althergebrachten Folk-Tugenden und zeitlos schönem Indie-Pop im Dunstkreis von Julia Jacklin oder Anna Burch, scheut gleichzeitig aber auch vor modernen Gimmicks für das gewisse Etwas nicht zurück. Ohne Mühe findet sie so schon auf ihrem Erstling den Weg von Ecken und Kanten zu der Art einschmeichelnder Eingängigkeit, die viele andere Acts des Genres erst deutlich später meistern, hält sich gleichzeitig aber auch für die Zukunft alle Optionen offen. Das mag nach dem perfekten Masterplan klingen, war tatsächlich aber eher Zufall, wie sie freimütig zugibt:
„Das ist nicht mit Absicht passiert, aber ich freue mich wirklich, dass man das hören kann. Ich bin wahnsinnig stolz auf das Album und denke, dass es wirklich gut gelungen ist – trotzdem kann ich kaum erwarten, schon bald meine zweite Platte in Angriff zu nehmen, und natürlich werde ich versuchen, die erste zu übertreffen. Ich muss allerdings auch gestehen: Wenn ich nicht auf Logan und Alberto getroffen wäre, hätte das Album vermutlich spürbar rauer geklungen. Sie wissen einfach sehr genau, was sie tun. Ohne sie wären die Lieder kaum so facettenreich geworden."
Auch inhaltlich bahnt sich Kirby bemerkenswert leichtfüßig ihren Weg und fasziniert mit farbenfrohen Texten, die vollgestopft sind mit herrlich abstrusen Bildern und denkwürdigen Zeilen wie „The only time you´re high is / when you´re holding your breath“. Auch wenn ihre Lieder bereits als „Geständnisse eines Bible-Belt-Millennials“ bezeichnet worden sind, sind die Grenzen zwischen Kirbys umgedeuteter eigener Vergangenheit und ihrem Faible für Kurzgeschichten zumeist fließend. Weil die Wahrheit nie einer guten Geschichte im Weg stehen sollte, scheinen ihre Lieder oft einen autobiografischen Kern zu haben, blühen aber erst in einem fiktiven Paralleluniversum so richtig auf.
„Das hätte ich selbst nicht besser sagen können, das ist genau das, was passiert!“, bestätigt sie. „Oft schreibe ich über Dinge, die mir vielleicht so oder ähnlich passiert sind, aber ich scheue mich nicht davor, mir im Umgang mit den Fakten sämtliche künstlerischen Freiheiten zu gönnen."
Weil die COVID-19-Pandemie natürlich auch Kirby einen Strich durch sämtliche Tourneepläne für die kommenden Monate gemacht hat und sie ob der vielen Unwägbarkeiten abseits von ihren Gedanken an ein zweites Album derzeit keine konkreten Pläne schmieden will, setzt bei ihr gerade ein wenig das Sommerferienfeeling ein.
„Für sehr lange Zeit war das einzige Projekt in meiner Zukunft die Veröffentlichung dieser Platte und die Erledigung all der Dinge, die dafür nötig waren, sie raus in die Welt zu senden“, gesteht sie. „Jetzt ist sie draußen, und vielleicht kennst du das ja auch, dieses Gefühl am Ende eines Semesters, wenn alle Prüfungen absolviert sind und du rein gar keine Verpflichtungen mehr hast. So geht es mir derzeit!"
Sie lacht.
„Der nächste Schritt ist jetzt, herauszufinden, was ich in Zukunft mit mir anfangen kann!“
Aktuelles Album: Cool Dry Place (Keeled Scales / Cargo)
Weitere Infos: kirbykaty.com Foto: Jackie Lee Young