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QUICKSILVER

V.A.

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Wo nur anfangen bei unserer winterlichen Reise durch die vielgestaltigen PopWelten? Vielleicht einfach bei den seltsamen PunkFriesen von IT DOCKUMER LOKAELTSJE, die auch auf "Trump Yn Makkum" (Makkum) NoiseRock mit Texten in urtümlichem Friesisch kombinieren. Das ist jedes Mal aufs Neue verwirrend und doch richtig gut! Inhaltlich geht es hier übrigens um die Erfahrungen, die die Makkumer Werftarbeiter schon in den 80ern mit einem gewissen Donald T., dessen windigen Tricks und seinem wenig seriösem Geschäftsgebaren sammeln mussten (We already knew in the 80ties what an asshole he was). 4
Klanglich wo ganz anders, in seiner Verbindung von Exotik und Pop aber dann doch irgendwo ähnlich sind die verdrehten Songs, die die bekanntermaßen mehrheitlich aus Notwist-, Diskotäschchen- und Alien Ensemble-Leuten bestehende HOCHZEITSKAPELLE mit etlichen ihrer JAPANESE FRIENDS auf "The Orchestra In The Sky" (Alien Transistor) spielt. BajuwarenRhythmus vs. GegenDenStrichBlasMusi und japanischer NiedlichkeitsGesang – mit dabei uva. Tenniscoats, Kama Aina, Eddie Marcon und Yuko Ikema.4
Slowakisches haucht uns EVA SAJANOVA ins Ohr, wenn sie mit DOMINIK SUCHY versucht, einer "Decision Paralysis" (Weltschmerzen) Herr zu werden. Die hier mit feinem Pinsel gemalten ElektronikLandschaften sind zierlich und bedrohlich zugleich. Sajanovas Gesang bewegt sich in einem ähnlichen Stimmungsfeld und macht diese hörenswerte Platte noch aufregender. Wobei "Gesang" hier Sprechen, Wimmern, Raunen und manchmal auch (leises) Schreien mit einschließt, dabei jedoch nie das Spektrum des Erträglichen verlässt. "Stačí len byť dosť?" besteht aus einem zwischen elektronischen Wirbeln stoisch wiederholten hypnotischen Mantra, dessen genauen Wortlaut widerzugeben mir aber meine mangelnden Slowakisch-Kenntnisse verbieten. 5
An die Hochzeiten des EtherealGruftNoisePop erinnert uns der aus Russland stammende (mittlerweile aber aus den bekannten Gründen über (West)Europa und Vorderasien verstreut lebende) Frauen-4er LUCIDVOX (die ungekrönten Königinnen dieser ParallelWelt waren und bleiben natürlich die göttlichen Miranda Sex Garden). "That’s What Remained" (Glitterbeat) reichert den noisepoppigen ShoegazeGothicWave mit etwas slawischer Exotik an (Lucidvox singen Russisch – was die Frage aufwirft, warum die Stücktitel dann auf Englisch angegeben werden). Das Tempo ist leicht erhöht, die GitarrenWände turmhoch. So hoch, dass eventuell vorhandene Spuren von Trompeten oder Streichern nur bei sehr genauem Zuhören zutage treten; der Gesang spielt dabei hin und wieder ganz gern auch mit folkloristischen Elementen. 4
Der Namen des Trios weist nicht unbedingt nach Brüssel und doch operiert das Trio LAS LLORONAS von der belgischen Metropole aus. Dabei stammt Marieke Werner aus Hamburg, Amber in ’t Veld wuchs in Spanien und den Niederlanden auf und Sura Solomon wurde zwar tatsächlich in Brüssel geboren, ihre Wurzeln liegen aber in Osteuropa, Nordafrika und den USA – eine Band so bunt wie ihre Stadt. Ihre Musik haben die drei auf den Straßen Brüssels perfektioniert, eine hinreißende Mischung aus Flamenco-haftem und KlezmerElementen, Pop und Folk. Mit seinem feinen Satzgesang (mal Spanisch, mal Englisch und einmal sogar auf Deutsch) und der sensiblen Instrumentierung (Werners Klarinette verleiht manchem Stück eine ganz besondere Eigenheit, ansonsten regieren milde GitarrenFiguren, Akkordoen und Ukulele) ist "Out Of The Blue"(Muziekpublique) ein Tip für Leute, die in Musik auch mal Ruhe und Entspannung suchen. 4
Womit wir irgendwie endgültig bei dem angekommen wären, was im Plattenladen wohl im Regal "Weltmusik" einsortiert wird. Dabei steckt in "Dama Bëgga Ñibi -I Want To Go Home" (Urban Trout) von ARON & THE JERI JERI BAND neben jeder Menge Afrika tatsächlich auch noch einiges an Jazz-vibes, Pop-Einflüssen und die eine oder andere elektronische Verzierung. So wird aus einem "Weltmusik"-Album viel mehr, nämlich spannende Unterhaltung. 4
Es geht aber (leider) auch anders. Wenn meine Liebste am Sonntagmorgen beim DenVögelnImGartenVomBequemenSesselImWarmenWohnzimmerAusBeimSonnenblumenkerneFressenZusehen irgendwann leicht genervt fragt "Was ist denn das für eine fürchterliche Musik?", dann geht es in diesem Fall nicht um irgendwelchen SinusTonKrach, mit dem ich meine arme Familie gelegentlich traktiere, sondern um "In Phase" (Westpark), das aktuelle Werk des Bellowhead-Gitarristen BENJI KIRKPATRICK. Ich kann kaum widersprechen, wenn meine Frau hier nur höchst beliebigen FolkRock US-amerikanischer Prägung hört (auch wenn Kirkpatrick natürlich Brite ist). 2
Deutlich besser ist da "Apnoe" (Waterfall) von JANDA aus Leipzig. Die hat ihre musikalischen Wurzeln im Folk(Pop), weiß aber auch Jazziges oder Elektronisches in ihre schönen Lieder einzubauen. Dabei muss man aufpassen, dass man sich nicht nur auf die zauberhafte, leicht dunkel-raue Stimme konzentriert, denn die "darunter" liegende Musik ist filigran, durchdacht und von diversen Mitmusikern u.a. an keys, e-bass, drums, bei "Ama" auch mit Posaune, Bassklarinette und Vibraphone, gekonnt eingespielt und verdient in ihrer dichten Transparenz unsere Aufmerksamkeit ganz bestimmt. 5
Auch wenn zumindest bei "Never Let Me Go", dem opener von "III" (Suburban Symphonies), zu einer hektischen drummachine, einem sehr präsenten SubBass und elektronischen ZwitscherKlängen vor riesigen SynthWänden wieder eine Frauenstimme jubiliert (diesmal in eher hohen Lagen) – mit dieser Platte des PostPunkPsych-Projekts DELTA 9 THC (man darf Teile des Bandnamens auch mit kryptischen Sonderzeichen bzw. Symbolen schreiben, aber das genauer aufzudröseln, ist mir zu kompliziert) nähern wir uns mit großen Schritten dem Bereich, wo sich KrautRock, Ambient, Trance und zarte Experimentalität überschneiden. Nachdem die Sequenzer warm gelaufen sind, wird mit "Eolomea" die Anmutung exotischer, indischer. Und so hüpft Delta 9 THC (ich muss bei dem Bandnamen natürlich immer an die von mir sehr verehrten Minus Delta T denken, die aber doch deutlich schräger unterwegs waren) munter von GenreAst zu GenreAst – bis der Rausschmeißer "Swamp The Room" im freundlichem Grooven und Pluckern und Sirren fast ertrinkt. 4
Da schließen sich KREIDLER zumindest zu weiten Teilen gut an. Die haben sich für "Twists (A Visitor Arrives)" (Bureau B) die Unterstützung von Natalie Beridze, Maxim Bosch, Khan Of Finland und Timuçin Dündar gesichert. Letzterer spielt bei "Tanger Telex" ein Altsax, das so auch von Tuxedomoons Steven Brown stammen könnte. Auch "Loisaida Sisters" atmet zum einen etwas Winston Tong-haftes, zum anderen singt Khan Of Finland hier stellenweise so, als wäre The Human League auferstanden. Denen war es in den 80ern ja gelungen, elektronisch-kalte Distanziertheit in heiße DiskoKnaller zu verpacken und genau das schafft auch Kreidler. Zwischendurch darf man beim atmosphärischen, beinahe beat-freien "Hands" zu Natalie Beridzes SprechGesang überlegen, was man so alles mit Händen konnotieren könnte. Durchsetzt ist das Ganze aber immer von einem Kraut-geschulten Drang nach rhythmischer Wiederholung, nach Syntax, nach permanenter Restrukturierung durch Schleifenbildung. 5
Ganz ähnlich, allerdings mit einem etwas höheren Anteil Jazz in der KlangSuppe gehen C.A.R. vor. Auch die Kölner (bzw. z.T. Berliner) Kraut(Jazz)Rocker ließen sich von illustren Gästen inspirieren, sogar so stark, dass ihr Album "Gästeliste" (Bimba) heißt. Auf selbiger stehen AvantClubSynthesizer-Gott Max Loderbauer, der vielleicht von "Neuzeitliche Bodenbeläge" bekannte Perkussionist Niklas Wandt und Sängerin Pegelia Gold, die gleich zu Beginn zu Vibraphon (oder Glockenspiel?) und warmen SynthieSounds in entrückten Vokalisen "A Signal From A Mouth" in den Raum haucht. Das folgende "Major Step In Your Career (feat. Niklas Wandt)" orientiert sich deutlich an der RhythmusFixierung von Can oder Neu und transportiert deren 50 Jahre alte Ideen sehr gekonnt ins Hier und Jetzt. Dann wird’s mit zwei Loderbauer-Stücken Club-tauglicher. Zumindest, wenn man unter "Club" auch sowas wie das "Zodiak Free Arts Lab" versteht, in dem Conrad Schnitzler und Hans-Joachim Roedelius 1967 für viel zu kurze Zeit ihre " Electronic Meditation"s abhielten. Keines der fünf in Tempelhofs mythenumwobenen Candy Bomber Studios aufgenommen Stücke ist kürzer als 6 Minuten, aber niemals, wirklich niemals kommt in den insgesamt knapp 40 Minuten Laufzeit auch nur ein Hauch von Langeweile auf. 5
In die gleiche Kerbe hauen DRIFTMACHINE, die im Rahmen der 5. Folge der Abstrakce-Split-LP-Reihe auf das schottische KOMODO KOLEKTIF treffen. Die Driftmachine-Seite von "The Encyclopedia of Civilizations Vol. 5: Babylon" (Abstrakce) ist rhythmusorientiert, bindet gern exotische Instrumente und Sounds in das KlangBild ein und eine kleine Dosis LSD würde hier vermutlich niemand ablehnen. Nicht nur wegen der auf die mesopotamischen Ur-Städte Uruk, Akkad und Ashur verweisenden Stückbezeichnungen darf man (auch hier) gelegentlich an Muslimgauze denken. Das KOMODO KOLEKTIF schiebt zunächst in einem relativ kurzen Stück eine DroneSequenz durch die Phaser, gibt dann bei "Mandragora" aber dem PerkussionAffen reichlich Zucker. Und zwar so viel, dass in der zweiten Hälfte des 17Minüters die Klangverschiebungen zu Verzerrungen werden, die Rhythmen zu Pulsen und das Universum zu einem bunten KlangStrudel. 5
Subtrahiert man hiervon den halluzinogenen Wahnsinn, verzichtet weitestgehend auf Rhythmus und lässt etwas mehr klangliche Beliebigkeit zu, erreicht man schnell die "Arid Fields" (Autoscopy) des in den französischen Alpen residierenden ModularSynthArtisten ODYSSÉE. Zunächst fand ich das Material eigentlich recht interessant, aber beim wiederholten Hören fiel mir doch auf, dass hier der Schein das Sein überstrahlt. 3
Welch kluge und aufregende Forschungsergebnisse sich aus der geschickten Anordnung von ModularSynthModulen destillieren lassen, zeigt uns seit Jahr und Tag FRANK BRETSCHNEIDER. "Curve" (Keplar) erschien zuerst 2001 auf Mille Plateaux und war mit ElektroDub-infizierten Nummern wie "Star" für Bretschneider-Verhältnisse stellenweise sogar "tanzbar". Eine Neuausgabe dieser acht MinimalGlitchExperimentalAmbientArmchairTechno-Nummern ist angesichts ihrer noch immer ungebrochenen Aktualität, autoreferentiellen Radikalität und auch stillen Schönheit sehr angebracht. Dank an Keplar für die re-issue! 5
Eher mittelprächtig gealtert sind hingegen die "LoonyChip Classics" (Crammed) von BOBVAN, aka. Bob Vanderbob (der spielte übrigens mal bei Des Airs). Als das Album 1991 erstmals erschien, war ich (ohnehin gerade schwer "Crammed"-süchtig) ziemlich begeistert von dem comic-haften (tatsächlich bezieht sich – wie ich jetzt aus dem Info lernen durfte - der Titel wohl irgendwie auch auf eine belgische Comic-Reihe namens "Convoi", aber davon verstehe ich nun rein gar nix!) ElektroAvantPop-Pastiche voller quietschebunter Effekte. Heute wirkt es ein wenig , nun ja: unentschlossen? Überladen? Aber weil der US-web- und -radio-underground Bobvan wohl gerade für sich (wieder)entdeckt hat, wird die re-issue schon ihre Berechtigung haben. 3
Von unbestreitbarer Relevanz ist hingegen die als CD/LP-Box erfolgende Wiederveröffentlichung der insgesamt zehn zwischen 1975 und 1978 von Brian Eno für sein leider zu kurzlebiges Auteur-Label Obscure kuratierten Alben. "The Complete Obscure Records Collection" (Dialogo) kommt mit 130seitigem Begleitheft und wahlweise auf Vinyl oder CD. Bei letzterer Version steckt dann jede der 10 CDs in einer verkleinerten Replik des Origional-Cover-artworks. Eno war offen für vieles von Minimal Music und Avantgarde bis Ambient und sogar NeoPop: Gavin Bryars "The Sinking of the Titanic" - Christopher Hobbs, John Adams, Gavin Bryars "Ensemble Pieces" - Brian Eno "Discreet Music" - David Toop, Max Eastley "New and Rediscovered Musical Instruments" - Jan Steele, John Cage "Voices and Instruments" - Michael Nyman "Decay Music" - The Penguin Café Orchestra "Music From the Penguin Café" - John White, Gavin Bryars "Machine Music" - Tom Phillips, Gavin Bryars, Fred Orton "Irma" - Harold Budd "The Pavilion of Dreams": jede Platte ein (kleiner) Meilenstein. Auch wenn man das meiste davon vielleicht sogar schon als Original-LP im Schrank stehen hat: es ist ja bald Weihnachten...! 6
An eine etwas strengere Tradition bindet der Italiener Emanuele Porcinai aka. WSR auf seiner knapp halbstündigen 12" "Dicasmia" (Stray Signals) an. Ich muss bei Nummern wie "Thrust" wegen den schabenden MelodieErsatzteilen und RechnerBeatExzessen an den rhythmischen Lärm von Esplendor Geometrico & Co. denken (heute nennen das manche "Club-Industrial", was ich übrigens für eine völlige Fehleinschätzung halte), spätestens mit den dunkel-gestrichenen Cello-Erholungsphasen bei "Within These Walls" und "Diel" wird’s dann zwar weniger harsch, bleibt aber tastend-experimentell. 4
GENERAL MAGIC suchen den erlösenden Lärm hingegen im SampleOverKill. "Nein Aber Ja" (GOTO) trägt Irritation, Ambivalenz und skurrilen Humor schon im Titel, Klang gewordenen vermischen sich hier stampfende Beats (Input: Reason) mit seltsamem Knirschen und Rascheln, verschliffenen Samples, groben KlangStörungen und verwirrenden SprachSchleifen, gern wild zerhackt (Monoblock). Dann wieder kunstvoll aufbereitete digitale DrumHektik (Unsinn: Zukunft), die auch gern mal durch den genauso digitalen Schredder gedreht wird (Nervœsnigg). 4
PHILIPPE PETIT ist (wie die beiden Herren von General Magic) schon sehr lange im ElektronikGeschäft tätig. "A Reassuring Elsewhere Chapter II" (Oscillations) ist das zweite Album in einer als Trilogie angelegten "retro-furistischen" Reihe und orientiert sich sowohl klanglich wie auch strukturell stark an klassischer ElektroAvantgarde (Stockhausen und das ganze WDR-Studio für Elektronische Musik lassen hier und da grüßen). Der verwendete GerätePark ist bei einer so theoretisch fundierten Versuchsanordnung natürlich von enormer Bedeutung – hier erklingen u.a. ein Synthi A von EMS, ein Buchla 200, der Buchla Easel K und ein Serge 73/75 ModularSystem. 4
Als Teil der "Mind Travels Series" von Ici d’ailleurs präsentieren die alten Recken L. PETITGAND + SCANNER + GEINS’T NAÏT ihre CD "Et il y avait" (Ici d’ailleurs). Das KlangDesign wirkt beim ersten Stück noch verschwommen, wie von Unterwasser-Lautsprechern wiedergegeben, wird dann aber luzider und steckt doch oft tief im HallRaum fest. Aus schnarrenden Schaltkreisen und singenden Widerständen fressen sich außerweltliche HörImpulse in unsere Großhirnrinde, um dort die wildesten SynapsenFeuer zu entfachen. Das Info beteuert: "highly recommended for fans of Coil, Caroline K or Nurse with Wound" und das kann ich als Fan von Coil, Nurse with Wound und Nocturnal Emissions durchaus unterschreiben. 5
An dieser Stelle passt vielleicht der Hinweise auf die zweite Folge der von Sub Rosa zusammengestellten Dokumentation okkulter Tonaufnahmen. Nachdem sich der erste Teil Spukhäusern und Spiritualistischem widmete, geht es auf "Spectra Ex Machina / A Sound Anthology of Occult Phenomena 1920-2017, Vol.2"(Sub Rosa) vor allem um "musician mediums" – wir hören also (entweder mit schaurigem Entzücken oder aus parawissenschaftlicher Erkenntnisdrang, vielleicht aber auch nur voller unvoreingenommener Neugier) Séancen mit Elvis oder Chopin, den heraufbeschworenen Gesang des "Spirit of Reuben", eine kurze Opern-Übertragung aus dem Jenseits "E lucevan le stele from Tosca by Puccini, transmitted by Caruso" oder einen Ausschnitt aus einer von Anton LaVey höchstselbst abgehaltenen "Satanic Mass". Und Aleister Crowley beschwört in einer Originalaufnahme von 1942 "The Call of The First Aethyr". Oft voller dramatisch intoniertem PianoImpressionismus, manchmal aber auch vor einer Folie aus SemiDisco-Sounds (Uri Geller "I Cannot Answer You"), sinfonischen Fetzen oder inbrünstigen WortBeiträgen treibt man hier durch eine Neben-/Über-/UnterWelt, in der Schabernack und Übersinnliches ganz dicht beieinander liegen. 4
Manchmal scheint auch beim "Blind Ecosystem" (UnRec) vom CHOEUR TAC-TIL Übersinnliches im Spiel. Zumindest lässt sich bei den neun "Objects" (plus einem kurzen "Interlude") nicht immer sicher bestimmen, ob die jeweils zu hörenden Geräusche denn nun einer menschlichen Kehle oder einer leidenden Maschine entstammen (aus dem Jenseits sendet hier dann aber wohl doch niemand). Wie auch immer – in diesem französischen ChorProjekt (dazu gesellt sich auch noch der Elektroniker Lionel Marchetti) treffen sehende Menschen auf blinde und machen gemeinsam, wenngleich mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten Musik. Besser gesagt KlangKunst: Summen und Röcheln, Zischen und Brummen – die Möglichkeiten reichen von der klar-schwebenden Intonation seltsamer WortFetzen und FeldMitschnitten von Partys (angereichert um ein wenig Donaueschingen-Geist) bis zu frankophonen KaraokeVersionen von Queens "Bicycle Race" oder Gassenhauern à la "My bonnie is over the ocean". Niemals aber kippt hier irgendwas ins Klamaukhafte – es bleibt konzentrierter KlangAvantgardismus. 4
So, jetzt noch etwas Rock. INUTILI wissen sehr genau, wieso sie gleich dem zweiten Stück auf ihrer neuen Platte "A Love Supreme" (Aagoo) den schönen Namen "Queen Chrimson" gaben, denn sie streuen hier zwar eine gehörige Prise PostPunk-Schärfe in ihren ArtProgRock, aber es bleibt natürlich trotzdem genau das. Wobei sie zukünftig ein wenig aufpassen sollten, dass es nicht mal zu viel wird mit dem elegischen Dehnen der Stücke und dem Gegniedel. Aber: schlecht ist diese Musik auf keinen Fall! 4
GroßMeister des ArtRock waren in den 70ern die Belgier von UNIVERS ZERO, die nun nach längerer Pause auch mal wieder was von sich hören lassen. "Lueur" (Sub Rosa) – französisch für "Glühen" – ist nicht nur ein passendes Wort für die brodelnde Musik, sondern auch optisch/grafisch eine faszinierende Buchstabenanordnung (ein Umstand, den der ungenannte Gestalter des Plattencovers aber leider nicht aufgegriffen hat). Wer die letzten Arbeiten der geistesverwandten Nachbarn von Aksak Maboul kennt, hat schon ein ganz gutes Bild von dieser Platte. Grandiose SoundGemälde, nicht immer frei von Bombast, aber auch voller kleiner Feinheiten, kluger Ideen und interessanten Umsetzungen bekannter Prinzipien. Eine Klarinette sendet zarte Pulse, Keyboards werfen riesige KlangBerge auf – manchmal hören wir auch etwas Gesang. Für Fans von Aksak Maboul oder Art Zoyd ein großer Tip und für Fans von Univers Zero sowieso. 4
Aus Frankreich stammen PARQUET, deren treibender InstrumentalRock auf "Sparkles & Mud" (Carton) dramaturgisch geschickt aufgebaut ist und Schicht für Schicht kunstvoll auf die KlangLeinwand aufgetragen wurde. Elektroinfiziert und hart, rhythmusbetont, aber soundtechnisch sehr clever gemacht. Noise-, Math-, oder KrautRock? Minimal-, Akustik- oder AntiTechno? Egal - ist prima, diese CD. 4
Und wer bis hierher durchgehalten hat, wird mit einer kleinen SensationsMeldung belohnt: Heike Rädeker ist zurück. Die sich ganz famos auskennenden alten Säcke meiner Generation schwärmen noch heute von einer Band mit dem seltsamen Namen 18th Dye. Die hatten seinerzeit (also in den 90ern) zwar die Faxnummer von Steve Albini (Hey Google! Was ist ein Fax?) und ließen mit "Tribute To A Bus" eine ihrer großartigen Platten von ihm aufnehmen und mixen, erreichten aber auch damit leider keine größere Öffentlichkeit (Deutschland war einfach nicht reif für diesen unvergleichlich zarten BarachialNoiseRock). Und besagte Heike Rädeker war bei eben jenen 18th Dye Bassistin und Sängerin. Jetzt hat sie sich mit ihren AltersgenossInnen von VOODOO BEACH zusammengetan und singt auf "Wonderful Life" (Crazysane) auch wieder. Nun allerdings auf Deutsch, und das ist sehr beeindruckend (beim Titelsong übrigens mit John "Fenster" Moods als Duettpartner und bei "Meine Seele" mit Hendrik "Messer" Otremba). Musikalisch hart (aber auch zerbrechlich) - die Band nennt ihren Sound Psychedelic Post Punk, aber das wird meinem Eindruck nicht mal näherungsweise gerecht. Mit 18th Dye war sie schon sehr weit, aber 25 Jahre später ist sie noch weiter. Reiner rauer Ausdruck, bei "Immer noch" dann wieder fast zart, dennoch latent aggressiv - vergleichbar ist da allenfalls Safi. Eine wunderbare Platte! 5
Und weil wir uns hier und heute wirklich etwas arg verlaufen und die Konzentrationsfähigkeit unserer geneigten Leserschaft arg in Anspruch genommen haben, sagen wir mit den Hallensern von SORRY3000 noch schnell "Entschuldigung" (Audiolith). In der Hoffnung, dass diese Single der Vorbote für eine neues Album ist. Bis dahin hören wir gern nochmal ihr "Warum Overthinking dich zerstört" von 2020.
Tschüss - bis nächstes Jahr!

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