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WILCO

Genialität als Selbstverständlichkeit



Hamburg, Ende Februar: Während sich alle Welt einig zu sein scheint, dass der Retter des Rock N Roll und (mal wieder) einzig legitime Nachfolger Bob Dylans Ryan Adams heißt, spielte Jeff Tweedy in der Hansestadt einen Showcase vor geladenen Gästen und sah dabei aus wie Dylan (Frisur und die stets buckelige Körperhaltung), sang wie Dylan (nämlich ob des Interviewmarathons am Nachmittag etwas krächzend), redete so viel wie Dylan (nämlich so gut wie gar nicht) und hatte knapp ein Dutzend Songs mitgebracht, auf die auch ein Dylan stolz sein würde. Doch während so etwas bei Mediendarling Adams eine Sensation wäre, ist es für Tweedy völlig normal.

Die erste Frage, die die WESTZEIT dem auf sympathische Weise schüchternen Wilco-Chef stellte, lautete: Wie fühlt man sich so, als Jeff Tweedy im Jahr 2002? Eine durchaus berechtigte Frage, schließlich hätte "Yankee Hotel Foxtrot", das fabelhafte neue Album seiner Band, eigentlich schon letztes Jahr erscheinen sollen. Doch beim Label bekam man angesichts einer – angeblich – fehlenden radiotauglichen Single kalte Füße, und die Band stand auf einmal ohne Plattenfirma da. Jeffs Antwort auf unsere Frage lautete: "Hmmm... schwer zu sagen, denn eigentlich denke ich über mich nie in der dritten Person nach!" Eine Antwort, die Tweedy ebenso wie das vierte Album seiner – inzwischen mehrfach umbesetzten - Band sehr gut charakterisiert: intelligent, aber auch ein wenig seltsam, bodenständig, aber auch überraschend. Ein wenig kann man die ehemalige Plattenfirma sogar verstehen: Bisher wurden die vier aus Chicago immer als Americana- oder Countryband vermarktet, kein Wunder, war doch das Szene-Schlagwort des "No Depression"-Sounds dem Titel des Debuts von Jeffs erster Band, Uncle Tupelo, entlehnt! Doch damit hat "YHF" überhaupt nichts mehr zu tun. Unter der Mithilfe von Mischpult-Wizard Jim O’Rourke wagen sich Wilco an ein soundtechnisch sehr innovativ-ambitioniertes Popkonzept, das alten Helden wie Big Star ebenso viel schuldet wie deutschen Avantgardisten wie Neu! oder Can. Vom Einfluss der beiden Grammy-geehrten Alben mit neuvertonten Woody-Guthrie-Songs, die Wilco zusammen mit Billy Bragg 1997 und 2000 eingespielt haben, ist nun rein gar nichts mehr zu spüren. "Die Woody-Guthrie-Platten waren näher an der Vorstellung dran, die die Leute von uns haben, als unsere Alben mit eigenen Songs", glaubt Jeff. "Wenn ich es ablehne, dass die Leute uns eine Country-Rock-Band nennen, dann nur, weil ich denke, dass es unpassend ist, nicht, weil es mir peinlich wäre. Ich mag Folk und ich mag Country, aber ich verstehe mich nicht als Folk- oder Countrymusiker. Wenn es heute noch Leute gibt, die Songs darüber schreiben, wie sie den ganzen Tag auf der Veranda sitzen und Whiskey saufen, finde ich das geradezu lächerlich. Wer lebt denn heute noch so ein Leben? Vielleicht gibt es noch ein paar, aber mir bedeutet das nicht viel." Und genau deshalb kann "Yankee Hotel Foxtrot" fernab aller gängigen Trends einfach mit viel Herz und einem gesunden Schuss Eigensinn restlos überzeugen. Denn auf dem Album finden sich mit "Jesus, Etc.", "I‘m The Man Who Loved You" oder "Reservations" eine ganze Reihe von Jeff Tweedys besten Songs überhaupt, die auch die Deutschland Tournee der Band Mitte Mai zu einem Pflichttermin machen. Wilco 2002: Ein Highlight für jeden Popfan mit Köpfchen.



Aktuelles Album: "Yankee Hotel Foxtrot" (Nonsuch/WEA)


Foto: WEA

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