"England, Half English" heißt das neue Werk von Englands wohl bestem Polit-Songschreiber. Nachdem Bragg Anfang der 90er mit dem Untergang des Sozialismus und der Regierungsübernahme der britischen Labour-Party ein wenig die Themen ausgegangen waren und er sich auf seinem bisher letzten Soloalbum - "William Bloke" aus dem Jahre 1996 – eher als Family Man präsentiert hatte, ist er nun zurück auf altem Terrain. Bissig, aber scharfsinnig wie eh und je beschreibt Bragg das englische Dilemma zwischen eigener Identität und europäischer Weltoffenheit und beschreibt den englischen Multikulturalismus ebenso wie die Euro-Angst.
Erstmals in seiner Karriere hat er nur die Texte alleine, die Musik dagegen mit seiner Band The Blokes geschrieben, eine Nachwirkung der Kollaborationen mit Wilco für die beiden "Mermaid Avenue"-Alben, auf denen Bragg und die Amerikaner bekanntlich Woody-Guthrie-Texte neu vertont hatten. Mit dem Engagement der Blokes haben überraschenderweise viele weltmusikalische Sounds auf dem neuen Album Platz gefunden, unverändert dagegen ist Billys Vorliebe - nicht nur beim Gespräch mit der Westzeit in Hamburg - für Fußball: "Der [5:1] Sieg von England im Olympiastadion macht jetzt plötzlich Sinn: Wenn ihr das Spiel gegen uns gewonnen hättet, wären wir in die Qualifikation gegen die Ukraine gegangen und IHR wärt jetzt in der Gruppe mit Schweden, Nigeria und Argentinien! Jetzt verstehe ich euren Plan! Ihr habt uns absichtlich gewinnen lassen!"Auch wenn er Deutschland für sein fußballerisches Können nicht besonders schätzt, um die Einstellung zum Euro beneidet er uns: "Ihr Deutschen seid uns ein leuchtendes Beispiel bei der Euro-Einführung. Die Leute bei uns haben einfach Angst davor, weil sie nicht wissen, was dann mit unserem Land passiert. Ihr dagegen habt eurer größtes Nachkriegssymbol aufgegeben, die D-Mark. Und dann habt ihr uns auch noch beim Fußball gewinnen lassen! Ihr tut sooo viel, um uns die Angst zu nehmen und um uns klarzumachen, wie gerne ihr uns beim Euro dabeihättet. Da stellt sich natürlich die Frage: Lassen uns die Franzosen jetzt wohl auch gewinnen?" Eine Frage, die sich frühestens bei der Fußball-WM im Sommer klären lassen wird. Und noch eine Frage bleibt vorerst unbeantwortet: Wie die politisch motivierte Singer/Songwriter-Szene auf die Ereignisse des 11.September reagieren wird. Billy ist sich sicher, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis sich die Ereignisse songtechnisch in Worte fassen lassen werden, weil die Größenordung einfach alle Dimensionen gesprengt hat: "Überleg doch mal, die IRA, die RAF und die ETA haben zusammen kaum 3000 Menschen auf dem Gewissen. New York gehört jetzt in die Reihe der Städte wie Dresden, Coventry oder Guernica, die mit einer Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zu kämpfen haben, die schwer vorstellbar ist. Es ist einfach die Größenordung, die auch die Reaktionen lähmt." Dass Billy in Zukunft die Katastrophe dennoch songtechnisch aufarbeiten wird, steht wohl trotzdem außer Frage. Schließlich macht der kleine Engländer , der sich bei seinen Konzerten stets als großer Entertainer präsentiert, genau das seit 20 Jahren am besten: Stellung beziehen!Aktuelles Album: "England, Half English" (Cooking Vinyl/Indigo)
Weitere Infos: www.billybragg.com Foto: Cooking Vinyl