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Mardi Gras.bb

Spiritualisierung im Sumpf des Südwesten

Mardi Gras.bb

Unergründliches Dickicht, hinterhältige Sümpfe und gefräßige Tiere lauern am Mississippi-Delta im Süden Louisianas. Doch mit ungebrochener Lust am Leben begegnen die Bürger New Orleans diesem unwirtlichen Zustand und zelebrieren jedes Jahr ihren großen Umzug durch die feuchtwarme, geheimnisvolle Metropole: den Mardi Gras!

Kein Geheimnis ist, dass die Band Mardi Gras.bb aus dem Südwesten unserer Republik (in und um Mannheim herum) kommen. Schon mit ihrem ersten Longplayer "Alligatorsoup" erzeugten sie mit ihrem abgründigen, abgedreht und frech klingenden Brass-Band-Sound eine Menge Aufmerksamkeit. Auf ihrem Nachfolger "Supersmell" reifte das Konzept einer Band, die sich einem magischen Groove und einem speziellen Lebensgefühl verschrieben hat. In diesem Monat erscheint das neue Album "Zen Rodeo", was WESTZEIT auf den Plan rief, in einem munteren Plauderstündchen mit Doc Wenz mehr als nur Soundanalyse zu betreiben.

Der Titel spricht Ausprägungen zweier grundverschiedener Kulturen und Lebensphilosophien - Buddhismus und Wildwest - an. Ein konstruiertes Spannungsfeld zum Austoben?

Ja, genauso ist es! Unsere Alben sind immer Konzeptwerke. "Zen Rodeo" sogar noch mehr als die beiden Vorgänger. Ich arbeite bei der Planung einer Platte immer sehr cinematisch. Im Grunde genommen ist das Album nicht nur musikalisch. Es geht auch um einen Film, eine Bilderwelt und um eine Story im Hintergrund. Zu Beginn der Konzeption frage ich mich immer, was das für ein Film werden soll und worauf ich am meisten Lust hätte. Auf der einen Seite hab´ ich ein Faible für den Arizona-Film. Dann ist da noch jenes für einen Hongkong-Film. Ich dachte zunächst, dass ich mich für eine Sache entscheiden müsse, doch irgendwann wurde mir klar, dass es viel spannender wäre, zu beiden gemeinsam eine Story zu stricken, weil sich durch die Bipolarität ein größeres Spannungsfeld auftat.

Wie hat man sich den Film zu "Zen Rodeo" vorzustellen?

Kann ich selbst nicht konkretisieren, da unsere Musik eine Projektionsfläche darstellt. Was ich immer wieder feststelle ist, dass unsere Musik Unmengen von Bildern evoziert. Leute kommen mit großen Augen auf uns zu und sagen ´Hey, hiermit hast Du doch bestimmt dieses gemeint und damit jenes.` usw. Alleine deswegen, weil sie das tun, denke ich, dass wir unsere Arbeit gut gemacht haben. Die Gedankenwelt muss sich dabei nicht zwangsläufig decken. Es gibt keinen vorgegebenen Film mit einem Anfang, einem Plot und einem Ende. Lediglich die Thematik ist einigermaßen umrissen. Dabei existiert so etwas wie eine einheitliche, stringente Bilderwelt, auf die sich jeder einlassen kann, wenn er sich mit unserer Musik beschäftigt.

Was, denkst Du, macht Eure Musik so metaphorisch?

Der Grund liegt auf verschiedenen Ebenen. Wir benutzen unsere Soundkörper, unser Setup, das ja etwas außergewöhnlich ist und viel Grund und Boden vermittelt. Was ich immer an Brass und der ganzen New-Orleans-Geschichte geliebt habe, ist die gewisse Edginess und die Erdigkeit. Es hat auch immer etwas Gefährliches an sich. Hinzu kommt ein Grad an Dissonanz, welcher sich durch die vielen Instrumente und die zahlreichen Bandmitglieder, die eben natürlichen Schwankungen unterliegen, ergibt. Hieraus entsteht eine zusätzliche experimentelle Tiefe sowie manchmal etwas verzweifeltes, wodurch unsere Musik anfängt zu leben. Hinzu kommen, wie eben bereits angedeutet, eine ganze Menge persönlicher Erinnerungen und Bilder, die passend zur jeweiligen Story hervor gekramt werden.

Vermutlich spielen die Texte dann auch eher eine untergeordnete Rolle?

Ja, so hab´ ich das auch immer gesehen. Der Gesang ist eher unser zehntes Instrument als ein weiteres inhaltliches Mittel zum Ausdruck. Allerdings hat er bei Zen Rodeo an Gewicht gewonnen. Es ist unser erstes Album, welches uns ein wenig mehr in die Singer-Songwriter-Ecke bewegt, weil die Songstrukturen eher melodiöser geraten sind. Hier werden auch zum ersten Mal richtige Geschichten erzählt, was auch mit der ganzen Stilistik zu tun hat. Die Platte erscheint kohärenter, gefälliger und weniger fragmentiert. Aber auch weniger frech, frisch und direkt.

Werden Eure Fans gelangweilt sein, oder gewinnt Ihr einfach neue Anhänger hinzu?

Schwer zu sagen. Viele mutmaßen letzteres. Doch für den großen Durchbruch reicht es natürlich noch nicht. Dafür ist es auch bewusst zu weit vom Mainstream entfernt (den wollen wir auch nicht bedienen). Jede MG-Platte ist zugleich immer auch ein Wagnis und ein Experiment. Wir haben immer das gemacht, was wir für richtig hielten. Jedes Album hatte seinen Stil. "Alligatorsoup" war tatsächlich frisch, neu, und straight. "Supersmell" dagegen war extrem groovy, fett, aufgeblasen mit vielen repetitiven rhythmischen Elementen. "Zen Rodeo" wiederum ist langsamer, relaxter, laid-back, weniger muskulös, hat mehr Songs und klingt vor allem extrem unangestrengt.

Und mit "Kung-Fu Fightin´" habt ihr einen alten Gassenhauer reanimiert...

Ja, die Idee dazu kam aber sehr spät. Wir hatten das Album eigentlich schon fertig, aber unserem Produzenten schwebte noch dieser Song vor. Ich hatte mich zunächst dagegen gesträubt, da ich es vorziehe, eher unbekannte Sachen zu covern. Aber es war eben eine Herausforderung, es hiermit zu versuchen. Die Messlatte lag sehr hoch, da wir den Anspruch haben, Dinge nicht 1:1 zu übernehmen, aber wir laufen ja schon alleine wegen der exotischen Instrumentierung nicht Gefahr, dies zu tun. Dennoch mussten wir dem Lied noch andere Aspekte verleihen. Wir mussten das, was wir am Original nicht gut fanden, filtern und manche Sachen sogar konterkarieren wie die Schnelligkeit des Kung-Fu durch extreme Slow-Motion zu dehnen.

Das Stück "Country Funkyfier" könnte aus der Feder von Prince stammen...

Na ja, es ist funky und hat diesen quäkenden Gesang. Die Nummer war eigentlich intrumental geplant. An der Stelle, wo jetzt Strophen und Refrains sind, hatten wir Soli platziert. Das gefiel uns aber nicht. Fast wäre das Stück von der Platte geflogen. Doch mit dem Gesang, den ich auf verschiedene Art und Weise interpretiert hatte, kam die Lebendigkeit. Übrigens ist es das einzige Stück, welches (Gesangs-)Overdubs beinhaltet. Alle anderen Songs sind live und komplett zusammen im Direktschnitt-Verfahren eingespielt worden...

...was sehr ungewöhnlich ist, verlangt es doch ein Höchstmaß an Disziplin und Genauigkeit, für die euer Sound zunächst gar nicht steht. Wie bereitet Ihr Euch auf´s Studio vor? Und wie entstehen überhaupt Eure Songs?

Die Songs schreibe hauptsächlich ich. Der Ausgangspunkt kann differieren. Mal ist es eine Melodie, mal eine Akkordfolge, ein Basslauf, ein Groove, vielleicht ein zwei- oder viertaktiger Drumpattern, eine phonetisch attraktive Anordnung zweier Worte, die einen gewissen Rhythmus suggerieren, woraus sich eine Strophe oder ein Refrain entwickelt. Und manchmal sind es eben Bilder oder eine Story. Der Song wird dann von mir ausgearbeitet, und die Spuren nehme ich zu Hause auf meinem Kassetten-Rekorder auf. Das Tape schicke ich dann einem unserer Musiker, welcher die Sheets heraus schreibt. Damit geht´s dann zur ersten Probe. Hier erkläre ich den Jungs dann, wie ich mir die einzelnen Songs und das Album vorstelle. Wir spielen das Zeug ein, erzeugen eine Aufnahme, die ich dann zwecks Überarbeitung mit nach Hause nehme. Bei den folgenden Terminen verfeinern wir die Sachen bis hin zur Studioreife. Alles in allem hatten wir sieben Vorbereitungs-Sessions à zwei Stunden und zwei Tage Studio-Aufenthalt. Mindestens fünf Stücke sind übrigens 1st-Takes gewesen.

Dann hat der Produzent keinen sehr großen Einfluss auf Euer Treiben?

Das kann man so nicht sagen. Er hat einen großen Anteil am Sound und an der ganzen Vision des Albums (z.B. Artwork, das Packaging etc.). Aber was das Tuning der Musik betrifft, hat er dort sehr wenig bewegen müssen. Bei Supersmell waren die Sessions noch recht kontrovers. Da ist vieles im Studio innerhalb eines fruchtbaren Prozesses gedreht worden.

Sicherlich kommt Euch im Studio Eure Erfahrung als Live-Band sehr entgegen...

Definitiv richtig! Im Kernbereich besteht die Band ja schon gut zehn Jahre. Wir treten pro Jahr ca. 80-100 Mal auf. Da ist man eingespielt und abgestimmt. Wir spielen unglaublich gerne live, und das Publikum honoriert dies sehr häufig durch Enthusiasmus und guter Stimmung im Saal. Wenn dies geschieht, kommt es dann unsererseits zu Endorphin- und Adrenalinausstößen, so dass irgendwann die ganze Hütte groovt. Ein echtes Erlebnis!

Gibt es eigentlich Bühnen, die für euch zu klein waren?

Nein, aber es ist immer wieder faszinierend, mit wie wenig Platz wir manchmal auskommen. Kürzlich, im Café Mokka in Thun (Schweiz) war die Bühne kaum größer als dieser Raum hier (also geschätzte acht Quadratmeter). Aber irgendwie passten wir gerade so dahin und spielten los. Damit verstießen wir vermutlich gegen die Genfer Legehennenkonvention. Aber im Ernst, natürlich ist es angenehmer, ein wenig Freilauf zu haben. Dann funktioniert die Band einfach besser.

Wo seid Ihr bereits getourt? Und wo kommt Ihr gut an?

In Frankreich sind wir sehr willkommene Gäste. Für uns ist das ein echtes Phänomen. Von 14 Shows waren 12 (zum Teil mit ca. 600 Besuchern) ausverkauft! Es herrschte eine geradezu frenetische Atmosphäre. Die kennen sogar unsere Namen und sind emotional total großzügig. In den Momenten denkt man, dass diese Erlebnisse es wert sind, auch mal zehn Jahre Staub zu fressen. In Perpignan kam einer der Veranstalter auf uns zu, als wir gerade beim Soundcheck waren. Er meinte, dass er eine Überraschung für uns hätte und uns diese unbedingt noch vor dem Abendessen zeigen müsse. Leider zog sich der Soundcheck etwas in die Länge, wodurch auch sein Gesicht länger und länger wurde. Irgendwann waren wir soweit, gingen Richtung historischen Stadtkern und betraten eine Bar. Wir trauten unseren Augen nicht, als sich vor uns lauter Mardi Gras-Memorabilien auftaten. Lauter Konzertplakate, und hoch vergrößerte Fotos hingen da an den Wänden! Überall waren Dinge, von denen wir keine Vorstellung hatten, wie die Leute daran gekommen waren. Leider weiß der Vertrieb Universal Jazz in Frankreich die Situation nicht zu nutzen. Vielleicht stellen sich die Leute dort auch einfach quer und promoten uns kaum, weil die mit den deutschen Vertrieblern in der Vergangenheit ihre Probleme hatten (z.B. was die Promotion französischer Acts angeht). Das ist richtig ärgerlich! Wir haben auch kurz überlegt, ob wir nicht etwas über ein kleines Independent-Label versuchen könnten, aber dann hängt der Haussegen erst recht schief. Dabei ist es gerade die dortige Indie-Szene, welche uns pusht.

Und in Belgien bzw. den Niederlanden?

Auch in Belgien geht was Seltsames ab. Wir erhalten dort Promotion von sämtlichen Medienvertretern, spielten auf dem Nationalfest vor 7.000 Leuten, welches im Fernsehen gesendet wurde, traten in einer sehr wichtigen und bekannten Radioshow auf - und kaum einer kauft unsere Platten! Niemand kann sich das wirklich erklären. In Holland gibt´s ja eine große Fanfaren- und Brass-Band-Kultur. Hier ist man seitens des Labels sehr bemüht und zum Teil auch durchaus erfolgreich. Aber auch das wäre noch ausbaufähig.

Habt Ihr schon mal an einem (Karnevals-)Umzug mitgewirkt?

O ja, und da haben wir alle ganz schlimme Erinnerungen dran. Fast wäre die Band daran zerbrochen! Man muss sich immer vor Augen halten, dass dieser "Fat Tuesday", wie er in New Orleans zelebriert wird, etwas ganz anderes ist als der hiesige Faschings-Dienstag! Vor sieben oder acht Jahren nahmen wir am Umzug in Mannheim teil. Bei klirrender Kälte von -7°C sind wir über die Rheinbrücke marschiert. Eine elend lange Strecke! Dem Saxophonisten sind die Klappen zugefroren, die Drummer bekamen Frostbeulen und konnten ab der Hälfte nicht mehr spielen. Ich hab´ damals durch ein Megaphon gesungen, das ebenfalls aus klimatischen Gründen den Geist aufgab. Schließlich ging es nur noch darum, dass wir in einem bestimmten Tempo hinter den anderen Gruppen her laufen mussten. Man kennt dieses Gefühl vielleicht aus Historienfilmen, in denen Gefangene durch die Stadt gehetzt und von den Bürgern angepöbelt werden. Der Abstand zwischen uns und der vor uns liegenden (motorisierten) Gruppe wurde immer größer. Neben uns rannten völlig hysterisch irgendwelche Aufpasser her, die ständig lautstark zur Eile aufriefen. Dann kam ´ne 60jährige Frau mit roten aufgemalten Bäckchen auf einen unserer Drummer zu und schrie ihn an: "Spiel endlich, Du Schlappschwanz!!!" Es war wie in einem Polanski- oder Kafka-Film! Dieses Erlebnis führte dazu, dass wir über drei Monate nicht mehr miteinander geredet haben. Glücklicherweise obsiegte dann unser Zusammenhalt, kann uns aber letztlich diese traumatische Erfahrung nicht nehmen. Das, was da geschehen ist, ist bezeichnend für das Karnevals-Gefühl, das ich von Deutschland habe. Die größten Spießer, die zum Lachen in den Keller gehen, sind auf Befehl lustig (zumindest, was im Allgemeinen unter "lustig" verstanden wird...). Aber mit der Peitsche. Das ist verlogen und deutsch im negativen Sinne. Unter aller Schiene. Was mich besonders stört ist, dass es gerade für die Ober-Arschlöcher eine Art Deckmäntelchen ist, und die dann für mehrere Tage die Sau raus lassen.

Beenden wir das Interview mit einem schönerem Thema. Was geht bei der Spiritualisierung vor sich?

(Lacht) Das kann ich nicht in aller Breite erzählen. Wir haben bestimmte Trainingskonzepte bzw. wir haben uns da etwas vom Skinnerschen Behaviourismus und etwas von Jacobsen abgeschaut und dies mit einem Anteil Ur-Erfahrung gepaart. In der heißen Phase, bevor wir ins Studio gehen, werden die Proben nackt abgehalten. Manchmal schalten wir auch das Licht dabei aus. Es gibt auch noch andere Methoden und Rituale, die die Band zueinander bringen, aber das würde diesen Rahmen sprengen (und ein bißchen Geheimnis soll ja bleiben...). Wir gehen davon aus, dass man unseren Sound nur mit einer gewissen Portion Ur-Vertrauen erzeugen kann. Jeder von uns schleppt Neurosen mit sich herum, die ausgemerzt werden müssen. Mit Okkultismus hat dies im Übrigen nichts zu tun, aber für Außenstehende könnte dies in der Tat etwas seltsam anmuten.



Aktuelles Album: "Zen Rodeo" (Universal Music)



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