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TINDERSTICKS

Reif für die Insel

TINDERSTICKS

Die Welt ist verrückt geworden. Und die einzige Art, damit klarzukommen ist, sich auf das wirklich Wichtige im Leben zu konzentrieren: Auf die Liebe, die Kunst, die Schönheit der Natur. Meint zumindest Stuart A. Staples, der mit ´No Treasure But Hope´ ein typisches Tindersticks-Album vorlegt – und doch wieder nicht.

Wenn man es nicht besser wüsste, würde man den 54-jährigen aus Nottingham als Jäger, Weinbauern oder Zirkusdirektor einstufen – ein großer, bulliger Typ mit Schnurrbart, grauen Schläfen, Schlapphut, Holzfällerhemd, Cordhose und Weste. Einer, der frisch aus dem Wald, den Rebstöcken oder dem Feld zu kommen scheint, und so gar nicht wie ein intellektueller Schöngeist wirkt. Doch das ist nur Fassade, hinter der sich ein sehr sensibler, weltgewandter Mensch verbirgt. Einer, der seit Jahren im ruralen Frankreich lebt, neben den Tindersticks Solo-Alben und Soundtracks zu Filmen wie Theaterstücken aufnimmt und das Zeitgeschehen mit Sorge verfolgt: Die mangelnde Empathie gegenüber Flüchtlingen, den wachsenden Rechtspopulismus, den Hass in den sozialen Netzwerken, aber auch den Brexit, der für Staples gleichbedeutend mit Dummheit und Paranoia ist.

„Ich glaube, die meisten Briten wissen gar nicht, worauf sie sich da eingelassen haben. Also wie wenig Großbritannien selbst produziert, wie sehr wir von der EU abhängen und dass wir allen zukünftigen Generationen einen Bärendienst erwiesen haben – wir hinterlassen unseren Kindern ein Chaos von unübersehbarem Ausmaß.“

Ein Schreckensszenario, das sich auch im ironischen Titel des zwölften Tindersticks-Albums manifestiert: ´No Treasure But Hope´. Laut Staples eine typisch britische Eigenart, nämlich sich bis zuletzt an überschwänglichem Optimismus zu vergehen - selbst wenn dazu kein Anlass besteht. Aber das ist nur die eine Seite der insgesamt zehn Songs. Die andere weist eine Zuversicht und Zufriedenheit auf, die ihm fast ein bisschen peinlich ist. Und die – so legt er nahe – vielleicht etwas mit Altersmilde zu tun hat. Eben mit der Erkenntnis, dass das Leben gar nicht so schlecht ist und dass er alles besitzt, was er sich je gewünscht hat. Das äußert sich z.B. in ´Pinky In The Daylight´, dem ersten richtig positiven Liebeslied seiner 27-jährigen Karriere. Und das sei unvermeidlich gewesen:

„Wenn man so lange verheiratet ist, wie ich, und so viele melancholische Liebeslieder geschrieben hat, kommt man irgendwann automatisch an den Punkt, an dem man sich bei dem Gedanken ertappt, ob man vielleicht nicht ganz ehrlich zu sich selbst ist. Ob man sich da etwas vormacht oder einer Masche folgt, die nicht der Realität entspricht. Denn: Ich bin ein glück-licher Mensch, ein verdammt glücklicher sogar. Es ist an der Zeit, das auch mal zum Ausdruck zu bringen.“

Was Staples in Stücken wie ´For The Beauty´ – über die Schönheit des täglichen Seins -, dem verträumten ´Take Care In Your Dreams´ oder ´The Old Mans Gait´ über einen Vater/Sohn-Segeltörn tut.

„Die Texte sind auf der griechischen Insel Ithaka entstanden, wo ich schon seit Jahren mein Feriendomizil habe. Ich muss sagen, dass ich mich dort unglaublich wohlfühle: Die Menschen haben wenig, sind aber trotzdem herzlich und aufgeschlossen, kümmern sich um jeden, der Hilfe braucht, und haben eine Lebensfreude, die einfach ansteckend ist. Ich glaube, dass ich mich irgendwann ganz dorthin absetzen werde – weil das die perfekte Zuflucht zu sein scheint, um diesem ganzen Wahnsinn zu entkommen. Dieser modernen Welt, mit der ich so gar nichts anfangen kann.“

Bis es soweit ist, beschränkt sich das Mastermind der Tindersticks erst einmal auf musikalische Fluchten, die im Falle von ´No Treasure But Hope´ binnen weniger Wochen zwischen Paris und London entstanden sind, opulenten Orchesterpop mit Klavier-Kompositionen und Jazz-Anleihen kombinieren und im nächsten Frühjahr bei drei Deutschland-Konzerten präsentiert werden.

„Ich habe alles darangesetzt, dass wir nicht wieder in Rockclubs spielen, sondern mal in Schauspielhäusern und klassischen Theatersälen. Eben Räume, die für Musik konzeptioniert sind, die uns mehr Platz bieten, einen besseren Sound haben und vielleicht auch mehr zu uns passen. Wir werden sehen, ob das stimmt, aber es ist eine schöne Vorstellung, einfach mal etwas anderes zu probieren. Was ja auch für das neue Album gilt – also irgendwie. Und irgendwie wieder nicht.“

Stuart A Staples hat gesprochen.

Aktuelles Album: No Treasure But Hope (City Slang)

Foto: Richard Dumas

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