Alle Künstler träumen insgeheim davon, Bombay Bicycle Club haben es einfach getan: Vier Wochen nach ihrem größten Triumph, einem restlos ausverkauften Konzert vor 20.000 Menschen im altehrwürdigen Londoner Earls Court mit Pink Floyds David Gilmour als Special Guest, gaben die britischen Überflieger in Sachen raffinierter Indierock im Sommer 2014 auf dem Gipfel ihres Erfolges ihre Auflösung bekannt. Jetzt, mehr als fünf Jahre später, erklären sie mit dem Mitte Januar erscheinenden Album ´Everything Else Has Gone Wrong´ den Rücktritt vom Rücktritt.
Kunstpausen liegen schwer im Trend. Einfach mal die Instrumente für eine Weile einzumotten, damit Medien und Fans eine Band ein bisschen vermissen können, ist beim Comeback gut fürs Geschäft und gibt den Künstlern die Möglichkeit, für eine Weile dem Hamsterrad des Musikbusiness zu entkommen. Trotzdem sah es lange nicht nach einer Reunion von Bombay Bicycle Club aus. Zwei Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Auftritt hatten Jack Steadman (Gesang, Gitarre), Jamie MacColl (Gitarre), Ed Nash (Bass) und Suren de Saram (Schlagzeug) sogar ihr gemeinsames Equipment verkauft. Die Band existierte wirklich nur noch auf dem Papier.„Um es ohne Umschweife auszudrücken: Damals waren wir die ganze Sache einfach ein bisschen leid“, gesteht Jamie MacColl im Westzeit-Interview. „2014 waren wir bereits rund zehn Jahre eine Band, auch wenn wir die ersten vier, fünf Jahre davon noch zur Schule gegangen sind, und nach vier Alben innerhalb von fünf Jahren waren wir schlichtweg ausgebrannt.“
Dazu kam, dass die vier Musiker verschiedenste Projekte abseits der Band verwirklichen und sich das Stück vom Leben zurückholen wollten, das verlorengeht, wenn man schon zu Schulzeiten zum Popstar avanciert. Schließlich hatte das aus dem Londoner Stadtteil Crouch End stammende Quartett vor zehn Jahren gleich mit seinem Debütalbum ´I Had The Blues But I Shook Them Loose´ die Charts gestürmt und auch sonst mit seinem unwiderstehlich melodischen Indierock, in dem Post-Punk, Wave-Anleihen, vertrackte Rhythmik und zuletzt sogar Dancemusic-Einflüsse und Bollywood-Samples mit viel kreativem Eigensinn zusammenflossen, allenthalben offene Türen eingerannt.
Die durch die Auflösung der Band gewonnene Freiheit nutzten die vier unterschiedlich. Steadman veröffentlichte als Mr Jukes mit ´God First´ ein experimentierfreudiges Solowerk jenseits der Genregrenzen der Band, Nash nahm das Album ´The Pace Of The Passing´ unter dem Namen Toothless auf, um ein Vehikel für seine eigenen Songs zu haben, und de Saram blieb als viel gefragter Sessionmusiker aktiv. MacColl dagegen kehrte der Musik für eine Weile ganz den Rücken, schrieb sich an der Universität ein, erlangte zwei Abschlüsse, machte Radiodokumentationen für die BBC, engagierte sich in politischen Kampagnen und arbeitete als Intelligence Analyst für eine Cyber-Security-Firma. Viel krasser hätte die Umstellung für ihn kaum sein können.
„Das stimmt! Wir waren Headliner in Earls Court und spielten ´Wish You Were Here´ mit David Gilmour, und keine sechs Monate später saß ich auf der Schulbank, und die Leute um mich herum interessierte es einen Scheiß, dass ich Musiker war“, erinnert er sich lachend. „Aus rein persönlicher Sicht war das allerdings eine sehr gute Erfahrung, da ich seit meinem 16. Lebensjahr in der Band war und ständig angehimmelt wurde. Das ist nicht gesund! An einen Ort zu kommen, wo es heißt: Prima, du bist Musiker, aber kannst du auch ein vernünftiges Essay verfassen und bist du gut in Argumentationsführung? Das holt dich auf den Boden der Tatsachen zurück!“
Ganz tot waren Bombay Bicycle Club währenddessen aber dennoch nicht. 2017 begannen die Musiker über das bevorstehende zehnjährige Jubiläum ihres Debütalbums zu sprechen. Ein reiner Nostalgie-Trip – spiele eine alte Platte komplett, und wenn die Kriegskasse aufgefüllt ist, ziehst du dich wieder zurück – kam den noch nicht einmal 30-jährigen Musikern aber falsch vor. Das machte den Weg frei für ´Everything Else Has Gone Wrong´, das augenzwinkernd betitelte neue Album, das die Band mit neuem Elan und anders als zuvor ohne turmhohen Anspruch an sich selbst in Angriff nahm.
„Beim Vorgänger ´So Long, See You Tomorrow´ war es uns ein großes Anliegen, Popmusik zu machen oder zumindest Musik, die eher am poppigen Ende des Spektrums zu finden ist“, erinnert sich MacColl. „Deshalb haben wir damals viel Zeit damit verbracht, die großen Momente der Songs ganz besonders herauszuarbeiten und so viele Ideen und Hooks in jeden einzelnen Song des Albums zu stecken wie möglich. Davon haben wir uns inzwischen etwas zurückgezogen und machen nun wieder Musik, die – zumindest meiner persönlichen Meinung nach – etwas näher an dem ist, wofür die Band steht oder zumindest in der Vergangenheit gestanden hat.“
In der Tat ist die Platte nach der hochtrabenden letzten LP spürbar fokussierter und stärker an den Indie-Gitarren-Band-Ursprüngen orientiert. Gleichzeitig zogen die vier auch endlich wieder an einem Strang.
„Jack und Ed hatten durch die Solowerke eine Menge gelernt, und unsere gemeinsame Arbeit war dieses Mal so kollaborativ wie seit unserer allerersten Platte nicht mehr“, erläutert MacColl. „Da spielten sicherlich eine ganze Reihe Faktoren rein, aber die zwei wichtigsten waren wohl, dass Jack hinsichtlich des kreativen Prozesses viel gelassener war und sich weniger in kleine Details reingesteigert hat und dass Ed inzwischen ein viel besserer Songwriter ist und deshalb mehr Ideen in die Arbeit eingebracht hat.“
Gleichzeitig bleiben sich Bombay Bicycle Club mit ´Everything Else Has Gone Wrong´ aber auch selbst treu.
„Wir waren schon immer an Songs interessiert, bei denen eine gewisse Melancholie mitschwingt, die aber gleichzeitig auch etwas Positives, Erhebendes in sich tragen“, überlegt MacColl. „Lieder, die auf die ein oder andere Weise bittersüß sind. Eine andere Band, für die in meinen Augen etwas Ähnliches gilt, sind LCD Soundsystem, oder nimm nur mal ´Love Will Tear Us Apart´ von Joy Division. Der Song bringt dich in Bewegung, gleichzeitig möchtest du aber auch in Tränen ausbrechen. Tanzen und Weinen, das ist eine gute Kombination!“
Tatsächlich haben viele der neuen Lieder einen positiveren Anstrich als frühere Songs. Wenn man sich die derzeitige allgemeine Weltlage anschaut, könnte man fast meinen, Bombay Bicycle Club sind optimistisch entgegen aller Prognosen.
„Diese Sichtweise gefällt mir!“, sagt MacColl lachend. „In Großbritannien gibt es derzeit viel Protestmusik, viele politisch motivierte Lieder. Ich weiß nicht, ob es eine bewusste Entscheidung war, aber unsere Reaktion darauf war, positive Songs darüber zu schreiben, wie man das alles durchstehen kann, anstatt sich nur dem Auf und Ab persönlicher Beziehungen zu widmen. ´Everything Else Has Gone Wrong´ ist kein politisches Album, aber wie du richtig gesagt hast, ist es in gewisser Weise optimistisch und nach vorn blickend.“
Umgesetzt haben Bombay Bicycle Club das gemeinsam mit John Congleton, dem Produzenten der Stunde. Anders als bei seiner Zusammenarbeit mit Acts wie St. Vincent, The War On Drugs oder Sharon Van Etten war es dieses Mal aber nicht vorrangig sein Auftrag, seine Künstler in Richtung Zeitgeist zu schubsen. Wichtiger war Bombay Bicycle Club, ihren Vordenker Steadman von einer für alle belastenden Doppelrolle zu befreien, nachdem er beim Vorgänger Frontmann und Produzent in Personalunion gewesen war. Gleichzeitig gefiel der Band Congletons Freigeistigkeit.
„Er hält sich nicht gerne an Regeln“, erklärt MacColl. „Wenn ein Lied zu geradlinig oder zu poppig klingt, will er es durch den Wolf drehen. Für uns war das großartig, denn wir neigen dazu, auf Nummer sicher zu gehen. Immer, wenn das der Fall war, sagte John: ´No, let‘s fuck this up!´“
So ging es der Band dieses Mal weniger um Perfektion, solange die Performance Charakter hatte. Die meisten Songs entstanden in zwei, drei Takes, für 14, 15 Nummern benötigten Bombay Bicycle Club nur zwei Wochen Aufnahmezeit, ein für sie wahnsinnig hohes Arbeitstempo.
„Überhaupt war der ganze Prozess dieses Mal viel relaxter und wir waren glück-licher dabei“, freut sich MacColl. „Ich finde, das ist sehr wichtig. Natürlich kommt es auch auf das Resultat an, aber es ergibt ja keinen Sinn, wenn du auf dem Weg dorthin keinen Spaß hast.“
Er hält inne, bevor er abschließend hinzufügt:
„Die Denkweise, dass man für seine Kunst leiden muss, habe ich noch nie nachvollziehen können. Wer will schon ein gequältes Genie sein?“
Aktuelles Album: Everything Else Has Gone Wrong (Mmm...Records/Caroline/Universal) VÖ 17.01.2020 Foto: Josh Shinner