Von einem Jubiläum wollen die Tindersticks nichts wissen. Zwar feierte die Band um Frontmann Stuart A. Staples gerade den 20. Geburtstag, aber eine riesige Sause nicht in Sicht: Vielmehr will das neue Werk „The Something Rain“ einen Schritt in die Zukunft wagen und keineswegs nur die Vergangenheit zelebrieren. Ein Plan, der aufzugehen scheint, denn selten klang ein Ergebnis von ihnen fesselnder und konsequenter – der Blick ins Innenleben der Tindersticks erklärt, warum dem so ist.
Das miese Wetter schlägt Stuart A. Staples an diesem Tag mächtig aufs Gemüt: Draußen peitscht der Wind durch die Straßen Berlins und während das Fenster aufgrund des Durchzugs selbsttätig zuschlägt, holt der Band-Chef das gekühlte Mineralwasser aus der Minibar und schenkt ein.„Ich brauche wahrscheinlich nicht zu sagen, dass mein Image als rotweintrinkender Melancholiker eine Erfindung von euch Journalisten ist“, lächelt er vielsagend und wundert sich, dass jüngst alle so heiß auf das Jubiläum der Tindersticks sind – wo ihm dies selbst ziemlich egal scheint.
Immerhin seien gut zwanzig Jahre im Dasein eines Menschen erst der Anfang und die wirklich aufregende Zeit käme noch: „So gesehen sind die Tindersticks gerade alt genug, um bei ihren Eltern auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen“, ergänzt Staples seine Ausführungen und kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
Mit „The Something Rain“ klingt die Band derweil so aufgeweckt und weise vor den Jahre, wie schon lange nicht mehr:
„Neulich saß ich mit meiner Frau im Auto und wir fuhren Einkaufen – sie kam auf die Idee, dass wir eines der ersten beiden Tindersticks-Alben hören könnten und etwas widerwillig stimmte ich ein.“
„Als wir an der Mall ankamen, war erst die Hälfte der Platte rum und ich bat sie, ob ich noch eine Weile hier sitzen bleiben darf: Es war sehr eigenartig meiner Musik von vor zwanzig Jahren zuzuhören und zugleich eine tolle Erfahrung – weil man mit der Zeit die Perspektive stark ändert und manchmal vergisst, wie einst alles begann.“
Ein wenig Rückschau sei also erlaubt, zeigt sie doch, wo die Tindersticks heute stehen: Vom 2003er Breakdown und der Kurzzeit-Trennung ist nichts mehr zu spüren, sondern ein Ruck ging durch die Truppe und relaxter verlief das Miteinander selten – wie man auf Nachfrage erfährt:
„Diskutiert haben wir eh selten, Debatten oder so liegen uns nicht. Allerdings reicht inzwischen ein Nicken, um dem anderen zu signalisieren, wie man seine Meinung findet oder er seinen Akkord spielen soll – ich mag das, weil es die Sache leichter macht.“
Spielerisch ist das richtige Wort, will man halbwegs treffend über ´The Something Rain´ sprechen: Ein Album, wie aus einem Guss, dass sich nie festlegt, sondern ausprobiert, neue Weg sucht und diese erfolgreich in den melancholischen Trademark-Sound der Band involviert.
Beginnend mit einen fast zehnminütigen Intro, das wie der Soundtrack zu einem noch nicht realisierten Film anmutet: „Genau diese Leichtigkeit, die es mit sich bringt solche Songs aufzunehmen, war eine unheimlich gute Erfahrung – als hätten wir von Anfang an gewusst: So muss das klingen, kein bisschen anders!“
In zwanzig Jahren Tindersticks sei dies nur zwei Mal vorgekommen, ergänzt Staples – verrät allerdings nicht, wann dies gewesen sei. Wahrscheinlich aber beim fiebrigen Debüt aus dem Jahre 1993, vermutet man, weil es zuletzt nicht ohne Grund im Auto des Bandchefs seine Runde drehte.
Doch sei es drum, wenn die Band an dieser Stelle ein Geheimnis waren möchte, sollte man ihr dies zugestehen: Nach zwei Dekaden gemeinsamen Arbeitens hat sich beim ehemals losen Konstrukt ein fester, eingeschworener Kern herausgebildet und dieser wird hermetisch abgeriegelt.
„The Something Rain“ ist nicht nur deswegen der mindestens zweitbeste Longplayer, den die Tindersticks bislang veröffentlicht haben.
Aktuelles Album: The Something Rain (City Slang / Universal)
Foto: Christophe Agou