Bereits bevor sie 2008 ihre erste Solo-CD „Sea Sew“ einspielte, hatte die Irin Lisa Hannigan als Partnerin von Damien Rice einen gewissen Ruf. Auf den Scheiben und Touren ihres Landsmannes hatte sie nämlich bis 2007 mehr oder minder eng mit diesem zusammengearbeitet. Das 2008 in Eigenregie entstandene Debüt-Album bescherte der Frau mit der kreideweichen Gesangsstimme einen unerwarteten Zulauf, der letztlich dazu führte, dass sie über Auftritte in diversen Fernsehshows auch einem größeren Kreis bekannt wurde.
Bei einem dieser Auftritte traf sie auch Joe Henry, der sogleich Interesse daran äußerte, sie auf ihrem neuen Album als Produzent zu betreuen. Die Aufnahmen zu „Passenger“ fanden aber nicht in Joe Henrys Garagenstudio statt, sondern in Wales. Welchen Input hatte Joe, der ja für sein ausgewogenes Sound-Design bekannt ist, so bei den Aufnahmen?„Er sozusagen einen Überblick von oben“, erinnert sich Lisa, „er ist ein guter Zuhörer. Wenn man spielt ist es sehr schwierig sich auf etwas anderes zu konzentrieren als das, was man selber tut. Und Joe hat diesen Einblick von außen. Die Arrangements hatten wir zwar vorher schon ausgearbeitet, aber er hat entscheidende Vorschläge zur Verbesserung gemacht, an die wir selbst nicht gedacht hätten.“
Als Songwriterin mit Folk-Wurzeln nimmt Lisa insofern eine Ausnahmestellung ein, als dass sie keine klassische Storytellerin ist, sondern eher Orte, Charaktere, Situationen und Stimmungen beschreibt und zwar auf eine charmant/poetische und auch humorvolle Weise. Wie entstehen diese Songs?
„Ich denke, dass die eigentliche Schwierigkeit für mich ist, überhaupt ein Thema für einen Song zu finden“, erklärt Lisa den Prozess, „manchmal finde ich dieses schon dann, wenn ich mich in der ‚Murmel-Phase’ befinde, bei der ich einfach bei einem Spaziergang vor mich hinsumme und murmele – manchmal ist es aber auch einfach nur eine abstrakte Idee – wie z.B. bei 'O Sleep’. Jeder Song ist dabei aber irgendwie unterschiedlich. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte eine Formel nach der ich verfahren könnte – das würde meinen Job erheblich einfacher machen.“
Ist es Zufall, dass die neuen Songs sich teilweise um das Thema reisen drehen – oder zumindest um das Gefühl nicht zu Hause zu sein.
„Nein, denn die neuen Songs sind ja hauptsächlich auf Tour entstanden. Das hat die Scheibe als Ganzes bestimmt: Was nimmt man mit, wenn man auf Reisen geht und wie fühlt sich das an? Das war dann mal ein Thema, das mich gefunden hat.“
Ist Lisa der im Titel besungene „Passagier“?
„Nein“, widerspricht Lisa, „es geht eher um die Songs, die Passagiere sind, die man dann mit auf Reisen nimmt und die einen auf Reisen an zu Hause erinnern. Die Songs sind mehr die Passagiere als dass ich einer wäre.“
Lisa hat ein Händchen für ungewöhnliche Melodiebögen, die nicht direkt den Folk-Traditionen zu entstammen scheinen, auf denen sie ihre Musik im Prinzip aufbaut. Wie organisiert sie diese?
„Ich weiß nicht so recht“, überlegt Lisa, „das, was ich bei dieser Scheibe anstrebte, war, Melodien zu erschaffen, die ich gerne singen würde und die sich angenehm singen ließen. Aber ich denke nicht wirklich darüber nach – auch wenn das eine schreckliche Antwort auf die Frage sein mag. Ich sehe das einfach nicht als eine technische Sache, sondern arbeite viel mit dem, was irgendwie passiert.“
Vielleicht klingt „Passenger“ je gerade dieses intuitiven Ansatzes wegen so organisch und warmherzig. Jedenfalls etabliert sich Lisa Hannigan mit dieser Scheibe als eine der großen ihrer Zunft.
Aktuelles Album: Passenger (PIAS / Rough Trade)
Foto: Nicolas LaClair