Die Sache schien am Anfang noch überschaubar – als sich nämlich Kathrin Hahner (zunächst noch als Solo-Künstlerin unter ihrem Künstlernamen Miss Kenichi) mit gitarrenorientierten Songs an die Öffentlichkeit richtete. Erst später – mit Alben wie „Fox“ oder „The Trail“ tat sie sich auch mal mit anderen Musikern zusammen (etwa ihrem Ehemann, dem Tindersticks-Drummer Earl Harvin), weitete ihr Klangbild aus, arbeitete generell in eine eklektischere und experimentelle Richtung und ließ sich bezüglich ihrer Performance immer wieder neue Ideen einfallen, die sie auch mit ihren parallel laufenden Arbeiten mit Theaterproduktionen verband. Für ihr neues Projekt, „Kenichi & The Sun“, ließ sie sich (wie schon für das letzte Album „The Trail“) wiederum sechs Jahre Zeit.
Warum dauert das eigentlich immer so lang? Hat das mit den vielfältigen Tätigkeiten von Kathrin zu tun?„Das kann sein“, überlegt sie, „ich habe ja weiland als Schauspielerin angefangen, dann habe ich auch am Theater gearbeitet – das aber schnell an den Nagel gehängt und Kunst studiert und nebenher begonnen, Musik zu machen. Seither hat sich das immer die Waage gehalten – aber ich ich hatte das zunächst getrennt. Erst über die Jahre ist alles zusammengewachsen, so dass ich angefangen habe, Musik auch für das Theater oder für Filme zu machen und selbst in Kunstperformances mitzumachen, für die ich die Musik geschrieben habe und Musik für Ausstellungen gab es es auch. Es befruchtet sich zwar alles gegenseitig – es ist aber auch ein langer Prozess. Es lag auch daran, dass es so lange dauerte, dass ich kein Plattenlabel mehr habe. Und ich habe die neue Scheibe auch selbst produziert und finanziert mit eigenem Funding. Dann habe ich noch Crowd-Funding dazu gemacht, um so an die Leute heranzutreten, damit die sich gleich ihre Platten bestellen konnten.“ Wie kam es dann zu dem Projekt „White Fire“ - bei dem Kathrin ja alle Aspekte ihres künstlerischen Tuns miteinander verquickt?
„Ich war fast an einem Punkt angelangt, an dem ich gar keine Musik mehr machen wollte“, meint sie, „das Korsett der Songschreiberin war mir zu klein und ich wusste nicht, wie ich das durchbrechen sollte und war von mir selbst genervt. Ich habe dann all diese verschiedenen Sachen gemacht und mir dann gedacht, dass ich eigentlich gar keine Musik mehr bräuchte. Da habe ich ein Jahr lang gar nichts in dieser Richtung gemacht und keine Gitarre mehr angefasst. Als ich dann langsam wieder das Bedürfnis hatte, Musik zu machen habe ich mir gesagt: 'Okay, dann aber ohne Regeln'. Ich wollte das Ganze so angehen, wie ein Schriftsteller oder als wollte ich ein Bild malen.“
War es dann also notwendig, den Prozess der Produktion des Albums auf insgesamt drei Jahre auszudehnen.
„Absolut“, bestätigt Kathrin, „ich habe ja schon 2016 angefangen an dem Album zu arbeiten und dann sind Sachen passiert, wie zum Beispiel dass 2019 mein Vater verstorben ist. Das waren dann Ereignisse, die mich kreativ befeuert haben, tiefer in meine Kunst einzutauchen, mehr zu wagen, auf das zu scheißen, wovor ich Angst hatte. Das hat dann die angestrebte Expansion verursacht. Ich habe zum Beispiel die Nachricht vom Tod eines guten Freundes bekommen und das hat mir deutlich gemacht, dass ich dieses Leben liebe. Früher habe ich ja immer so introspektive, traurige Musik gemacht – und das war auf ein Mal wie weg. Ich begreife und sehe natürlich die Dunkelheit nach wie vor – aber ich erfuhr durch diese Ereignisse eine neue innere Ausrichtung und fühlte, dass es mir gelingen könnte, die Schwärze in etwas Leuchtendes transformieren zu können.“
Wie auch Kathrins bisherige Alben, hat „White Fire“ eine spezifische spirituelle Note.
„Na das ist halt, wie ich die Welt sehe“, führt Kathrin aus, „und dann kann ich nicht anders drüber reden. Ich glaube auch, dass der Mensch viel stärker in der Lage ist, durch sein Dasein Zustände zu beeinflussen, als man das gemeinhin für möglich hält. Nicht nur in negativer Hinsicht. Je nachdem, wie man seine Intentionen ausrichtet, was man will, was man zu geben bereit ist.“ Geht es darum, auf diese Weise sein Umfeld zu steuern? „Na ja – 'steuern' hört sich jetzt wieder so absolut an“, schränkt Kathrin ein, „aber beeinflussen kann man es auf jeden Fall. Wenn Du neben jemandem sitzt, dann denke ich, dass Du schon spüren kannst, wie die Person ist, oder?“
Worum ging es Kathrin musikalisch? Warum arbeitet sie so viel mit elektronischen Mitteln?
„Um meine Neugier zu befriedigen, um mich auf etwas einzulassen, von dem ich zuvor gar nichts wusste“, führt Kathrin aus, „ich bin da total unbedarft herangegangen. Damals hatte ich noch gar nicht vor, eine Platte zu machen, sondern wollte mich selber überraschen, weil ich so gelangweilt von mir war, weil ich dachte, ich hätte mein Potential ausgereizt. Da habe ich mir überlegt, was das Extremste war, was ich machen könnte – und das war dann eben das: Mit einem kleinen Keyboard – einem Instrumentarium von dem ich keine Ahnung hatte – nach und nach Sachen zu lernen und meine Musik selbst aufzunehmen. Das hatte ich vorher nämlich noch nie gemacht. Ich habe mich dabei tatsächlich wie ein Schriftsteller gefühlt.“
Ob Kathrin Hahner mit dem Projekt Kenichi & The Sun ihr musikalisches Ziel bereits erreicht hat, ob es demnächst wieder Live-Konzerte und Touren gibt, ob in Kürze neue Musik folgen wird oder ob am Ende etwas ganz anderes entstehen wird, wird sich zeigen – denn Regeln gibt es ja keine im Kenichi-Universum. Das wissen wir ja jetzt.
Aktuelles Album: White Fire (RecordJet / Edel)
Foto: Antje Taiga Jandrig