(dtv, 268 S., 24,00 Euro)
Das ist selten: auf den ersten Seiten dieses Romans dachte ich noch, die platte Sprache und das Holzschnitthafte der Figuren seien Stilmittel, bis ich zu der Überzeugung gelangte, dass die blutleere, gestelzte, vorhersehbare und Klischee-triefende Geschichte um Freiherr Albert von Schrenck-Notzing und seine flugsportbegeisterte Gattin Gabriele "Ella" Siegle doch einfach nur eine mäßig gut erzählte und arg konstruierte, wenngleich sich durchaus an den Eckpunkte der realen Biografie(n) entlang hangelnde ist. Und als solche hier nur durch die Aufzählung einiger sachlicher Fehler dem allgemeinen Spott freizugeben: da erinnern z.B. die Verspannungen der Tragflächen eines Motorflugapparats an "Gummitwist" (nannte man das HopseSpiel um 1900 wirklich schon so?), wenig später wird dann "der Motor mit Benzin befüllt" (und nicht etwa der Tank) und wenn die großbürgerlichen Eltern Ellas eines Abends "gekleidet wie für einen Theaterbesuch" vor der Tür stehen: hätte der Vater wirklich einen "eleganten schwarzen Anzug" getragen oder doch eher einen Frack? Aus einem gleich noch aufzulösenden Grund muß hier aber doch eine grobe Inhaltsangabe erfolgen: Der aus verarmtem Adel stammende Albert ist begeistert von Hypnose und Parapsychologie: seine regelmäßig vor ausgewähltem Publikum mit einem extra aus Italien "importierten" Medium namens Eusapia Palladino abgehaltenen Seancen werden – anders als bei VollblutQuacksalbern – gewissenhaft protokolliert und "wissenschaftlich" ausgewertet; die vermeintlich aus dem Nichts entstehenden "ektoplasmatischen Gebilde" versucht der oft als "Geisterbaron" Verspottete zu fixieren und chemisch-physikalisch zu untersuchen. Sogar zu einem kleinen Gelehrtenstreit kommt es, den "Verrat" der Mathilde von Kemnitz verwindet unser Freiherr zeitlebens nicht wirklich. Seinem an "die Bewegung" verlorenen Sohn zuliebe engagiert Albert sich finanziell in der nazi-nahen "Gesellschaft 164", die vermittels auf alchimistischem Weg erzeugten Goldes die Reparationszahlungen des Versailler Vertrags auf einen Schlag zu tilgen suchte. Ging schief, klar. Dann stirbt seine geliebte Ella bei einem Flugzeugabsturz und Albert durchlebt eine seltsame FieberKrankheit. Ende "Erster Teil". Noch 100 Seiten to go. Aber die haben es in sich – wie ausgewechselt beschreibt Schomburg des Freiherren Reise nach "Cap-Haitien". Die Fahrt in den Urwald mit dem Rolls-Royce "Silver Ghost" ("Ein Geist, um ein Gespenst zu fangen"), deren Ziel das Fangen eines "Dominikanischen Schlitzrüsslers" ist und die zu rätselhaften Voodoo-Ritualen führt ist spannend, beinahe magisch erzählt, voller Farbigkeit und bildmächtig geschrieben und führt in die karibische Einsiedelei und von dort dank jüdischer Emigranten in großem Bogen zurück in das München, das er wohl "nicht wiedererkennen" wird. Denn dort regiert jetzt das von seinem einstigen Sekretär Alfred Schuler okkultistisch aufgeladene und von den neuen Machthabern zum Symbol ihrer Diktatur gemachte Hakenkreuz...Fazit: die zweite Hälfte dieses janusköpfigen Romans ist die Geduld, die die ersten 170 Seiten brauchen, mehr als wert!Weitere Infos: www.dtv.de/buch/die-moeglichkeit-eines-wunders-29018
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