interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

QUICKSILVER

V.A.

_

Seit es StromMusik gibt, überbieten sich deren Erzeuger gern in Seltsamkeiten – was zunächst noch die reine Freude an den neu entdeckten Klangwelten aus dem Schaltkreis, verbunden mit dem süßen Kitzel des "so noch nie gehörten", war, wurde irgendwann und mancherorts zu einem reinem Selbstzweck des Abstrusen. Oder zur Wiederholung. Oder zur schmeichelnden Einschlafhilfe. Insofern muss man auch und gerade elektronische Musik immer unter besonderer Berücksichtigung ihrer Erzeugungsbedingungen und vor allem –zeiten bewerten. Dennoch ist den Hamburger ArchivWühlern von Bureau B unbedingt zu danken, wenn sie sich mit dem "Experimentellen Elektronik-Underground DDR" befassen. Das fing 2017 mit einer gekürzten re-edition der 2006 dem epochalen Buch "Spannung-Leistung-Widerstand" beigefügten CDs an und wird nun (endlich!) mit tönenden Porträts zweier Herren fortgesetzt, die in jenen (auch im Osten relativ wilden) Jahren zwischen 1980 und 1990 trotz eher beschränkter (wenngleich für DDR-Verhältnisse noch immer vergleichsweise opulenter) Produktionsmittel intensive ElektroKlangForschungen betrieben. Jeder für sich, in wechselnden Kollaborationen und eine ganze Weile auch regelmäßiger zusammen bei Das Freie Orchester (dessen Konzerte waren freilich mehr eigenwillige ImprovisationsHappenings denn stringente Musikaufführungen im herkömmlichen Sinn, für jeden der eines erleben durfte aber unvergesslich!). JÖRG THOMASIUS’ "Acht Gesänge der schwarzen Hunde" kompiliert dabei Material aus drei Quellen. Da ist die über 20 Minuten lange "Meditation" von seiner MC "Schwarze Hände" – ein Stück, das irgendwann zwischen 80 und 85 auf ORWO-Band gezogen wurde und schwer der Berliner Schule verpflichtet ist - es Tangerine Dream-t hier mächtig. Dazu kommen noch jeweils 4 bzw. 5 deutlich kürzere KlangSkizzen von den Kassetten "Die Gesänge der Komparsen" (1989) und "After Eight" (1990), die so lustige Namen haben wie "Besen im Kopf", "Überdachtes Klavier" oder "Nikolaus der Erste" und eher die Verwandtschaft zu Conrad Schnitzler betonen. Thomasius’ DFO-Kollege DIETER ZOBEL bediente dort zwar normalerweise (wenn man denn im Zusammenhang mit DFO von "normal" sprechen darf) die Gitarre, hatte sich aber von Omas Erbe einen Yamaha CX5M besorgt. Nur ist dieser Musik-Computer eigentlich eher eine Erweiterung der DX7-Familie denn eigenständiges Instrument und war dementsprechend kompliziert und aufwändig zu bedienen. Trotzdem oder vielleicht auch deswegen gelang es Zobel, der Maschine sehr stabile und vor allem ziemlich eigenständige TonKonstrukte abzuringen. Das 1989 beim DFO-Label "Kröten Kassetten" erschienene Tape "MZ 31,00" wird nun in einer aus welchen Gründen auch immer auf 36 Minuten gekürzten Fassung ebenfalls auf CD wiederveröffentlicht. Die Musik besteht aus gegeneinander verschränkten SemiSequenzen oft perkussiver Klänge zu strukturierenden TiefTonSynthSounds. Riley, Reich und Glass kommen einem in den Sinn, allerdings in einer raueren, dichter an der Maschine liegenden Form. Alexander Pehlemann (der den Folgeband zum oben erwähnten "Magnetbanduntergrund" fertig hat und nun wie wir alle darauf wartet, dass der Verbrecher-Verlag das Buch Corona und Rohstoffkrise zum Trotz hoffentlich bald ausliefern kann) zieht in seinen klugen linernotes auch einen Vergleich zur seltsamen Musik "Made To Measure for commercial films", die Yasuaki Shimizu 1987 zur sagenumwobene MTM-Reihe von Crammed Discs beisteuerte. Berücksichtigt man – wie eingangs gefordert – die Entstehungszeit und die verfügbaren Mittel, sind beide Wiederveröffentlichungen unbedingt gerechtfertigt, ja notwendig, weil eine (bzw. zwei) Facette(n) abbildend, die bisher eher ein Schattendasein im sowieso eher dürftig ausgeleuchteten "DDR-Elektronik-Underground" führte. 4/5
Geistesverwandt, doch im Hier und Heute entstanden ist die Zusammenarbeit zweier Pianisten, die aber nicht (nur) Klavierspielen, sondern auf "Etienne Jaumet & Fabrizio Rat" (alle Bureau B/Indigo) vor allem loops und ModularSynths einsetzen. Das Ergebnis bindet direkt an ZOBELs Schichtungen an, ist im SoundDesign aber weicher und zugänglicher. Typische (poly)lineare SequenzerKunst der Berliner Schule, bei der das rhythmisch und klanglich (noch) komplexer arrangierte "Profundis" heraussticht. 4
Nochmal eine (musik)historische Rückschau bietet die 3CD-Box "Complete Electronic & Voices Works 1961-1987", die Werke des belgischen Elektro(Akustik)Pioniers LEO KUPPER versammelt. Man kann hier schön eine nachgerade typische Entwicklung des Künstlers von Musique concrete über TransistorSpielereien zu höchst komplexen, dabei nicht immer sperrigen Arbeiten nachhören. Das reicht von minimal(music)istischen Zügen in "Litanea" bis zum gregorianisch anmutenden (und nebenbei wirklich gut gesungenen) Bass am Beginn von "Lumiere sans ombre". 4
"Dedicated to Peter Rehberg aka Pita" ist der "Majestic Noise Made in Beautiful Rotten Iran" (beide Sub Rosa) des iranischen Elektronikers SOTE. Ob Melodie oder StromKrach – hier passt alles zueinander. 4
Die 2LP "Melody Tomb"(Mille Plateaux) von THE LEAF LIBRARY + TERUYUKI KURIHARA empfiehlt das Info Fans von Autechre und/oder Biosphere und dieser Hinweis trifft genau ins Schwarze. Zwischen London und Tokio wurden so lange soundfiles ausgetauscht, bis die richtige Balance aus zart blubbernden und doch nicht ungefährlichen Ambient-Strukturen und harscheren drone-Lärmigkeiten gefunden war. 4
Deftiger ist der nervöse Gitarre-Bass-drums+Sax-PostPunkJazz von UNIK UBIK, die auf ihrer LP "I’m not feng shui" (Humpty Dumpty) konsequenterweise denn auch eine schöne Coverversion des Tuxedomoon-Klassikers "Pinheads On The Move" unterbringen. Etwas aus der Zeit gefallen, aber für uns alte Säcke eine schöne Erinnerung an jene kurzen Jahre, in denen Saxophone in der Rockmusik mal nicht furchtbar waren. 4
Etwas entspannter, aber trotzdem alles andere als alltäglich sind die 13 Solostücke von JASON ARIGATO auf "Jason B. Sad/Jason B. Glad" (echokammer). Natürlich steckt hinter dem Projekt der echokammer-Chef und SzeneHeld Albert Pöschl. Der Mann war in München fast immer dabei, wenn in Independent-Zusammenhängen (Folk)Rock der abstruseren Spielweise zelebriert wurde: Das weiße Pferd, Kamerakino, Damenkapelle, Queen (und King) of Japan und etliche mehr; letztens erst beim wunderbaren Lunsentrio. Hier wird nun gemeinsam mit vielen Gästen heftig geschrammelt und den Göttern des LoFi gehuldigt, Country genauso zitiert wie klassischer Rock’n’Roll, 60ies TrashRock und zierlicher 80er Indie, oft wie aus dem Handgelenk geschüttelt und in seiner Skizzenhaftigkeit sehr sehr bezaubernd. 4
Ähnliches lässt sich über die immer wieder wunderbaren WOOG RIOTS sagen. Die haben gerade mit "King Of Luxembourg" eine DL-Single veröffentlicht, die mich sofort in die 80er zurückbeamt. In die Tage, als auf Él Records die Platten von Simon Fisher Turners gleichnamigem BarockPop-Projekt erschienen. Bei den Woog Riots ist der König der Luxemburger aber eher ein LoFi-SingALong mit feinem low-budget-but-much-love-Video. Zeitgleich teilen sich die beiden beim japanischen Liebhaber-Label Formosa Punk Records eine Split-Single mit den britischen SpeedPopern AlterModerns. Der Woog Riots Beitrag feiert fröhlich schunkelnd, dass rein wissenschaftlich betrachtet "White" ja tatsächlich (nur) eine "reflection of light" ist. "There is no light without the sun / it does shine for everyone / brighter, brighter than the sun" und – tralala - immer so weiter. Bis man wieder zum Plattenspieler laufen muss, weil die 7" (viel zu schnell) zu Ende war. 5
Die Italienerin LAURA LORIGA schrieb die Songs zu "Vever" (Ears&Eyes) in Brooklyn und tatsächlich meine ich schon beim opener "Mimi" zwischen Nyckelharpa, Bass und drums eine gewisse Verwandschaft zur von mir sehr verehrten Lisa Germano herauszuhören. Diese Twin-Peaks-hafte Ambivalenz bleibt durchweg erhalten, viele Lieder schweben auf schweren OrgelWolken. "Black Rose" wird beinahe country-esk, in "Citizen" schleicht sich eine sanfte Trompete zwischen die Zeilen und das zärtliche "You Who Speaks" erzählt musikalisch von Hoffnung und Verzweiflung zugleich. 4
Weniger wolkenverhangen, sondern von einer spielerisch-hellen Lieblichkeit durchzogen sind die Lieder des isländischen SpielKreises SEABEAR. "In Another Life" (Morr Music) verbindet einmal mehr den Gestus von SiSo-Klassikern und 80er IndiePop. Soley und Sin Fang sind nur die prominenten Namen in diesem Kollektiv, das es versteht, zarte Melodien in zuckersüßen, niemals aber überladenen Arrangements zu herzzerreißenden Ohrwürmern werden zu lassen. Passt zum Frühling, passt zu "Jetzt wird alles besser", passt aber auch zu Liebeskummer! 4
Die Afrofuturisten von der IBIBIO SOUND MACHINE schicken mit "Electricity" (Merge) schon ihr viertes Album an den Start. Der opener "Protection From Evil" verspricht mit seiner dichten Produktion und der von Sängerin Eno Williams auf einer schwergewichtigen, von Hot Chip-KlangBastler Al Doyle höchstselbst programmierten SynthLinie zwischen die afrikanischen Original-lyrics skandierten Parole "Spiritual, invisible, protection from evil" ganz Großes. Dieses Niveau hält die Scheibe nicht über die ganze Länge, aber trotzdem: diese AfroSynthBreakPower hier ragt unbedingt aus der Menge ambitionierter ClubProduktionen heraus. War da Grace Jones mit Tackhead zu Besuch bei Erykah Badu? 4
Gözen Atila verzaubert als ANADOL auf "Felicita" (Pingipung) ihre Hörer mit um fieldrecordings und Dub-getränkte SynthFolkDeutungen gebauten Stücken, in die von ihren zahlreichen MitMusikern mal Elemente FreierJazzFreude (Eciflere Gel), mal antike MinimalSynthMelodien (Ablamın Gözleri) eingepasst werden. Höhepunkt ist neben dem dunkel groovenden opener "Gizli Duygular" sicher die ViertelstundenImprovistaion "İstasyon Plajında Bir Tren Battı". 4
Die britisch-zypriotische Sängerin MARTHA D. LEWIS geht auf "All That You See" (Budd) weniger experimentell zu Werke. Sie verlässt sich auf die Macht ihrer vollen dunklen Stimme und die Begleitung aus einer bewährten Mischung aus ArtPop, (Bar)JazzElementen, freundlichem (Soft)Rock und einer Prise BluesFeeling. Kate Bush im low pitch? Stevie Nicks als LoungePopChanteuse? Auf jeden Fall nicht schlecht. 3
CLAUDIA FINK sang früher als Lucid auf Englisch, für "Über Wasser"(Waterfall) fand sie den Mut, ihre zarten Lieder in ihrer Muttersprache vorzutragen. Aber auch wenn die Mixtur aus FolkPopJazz sehr hörerfreundlich gestaltet ist, fehlt mir hier das Besondere, das Unverwechselbare, das So-noch-nicht-gehörte. Die Frau kann singen, sie kann auch Songs schreiben und ihre musikalischen Begleiter um Produzent Benjamin Kreisel verstehen ihr Handwerk – dennoch bleibt es über weite Strecken genau das: Handwerk und wird nur selten SongwriterKunst im Sinne ihrer musikalischen Freundin Dota Kehr. 3

Rock & Pop
›› THE JEREMY DAYS ›› SIMON LOVE & THE OLD ROMANTICS ›› RED HOT CHILI PEPPERS ›› BUHAI ›› NULLMILLIMETER ›› NICOLE FAUX NAIV ›› BARRIE ›› WET LEG ›› CALEXICO ›› CLAUDIA BALLA ›› PILLOW QUEENS ›› BANKS ›› LET’S EAT GRANDMA ›› LUCIUS ›› STEVEN BROWN ›› KURT VILE ›› JERRY PAPER ›› LAIBACH ›› MRS. GREENBIRD ›› 50 FOOT WAVE ›› JOHN SPENCER & THE HITMAKERS ›› OLLY LAGEMANN / KATJA STOCK ›› HONEY FOR PETZI ›› CADAVRE DE SCHNAPS ›› WHIMSICAL ›› JULIAN SAS ›› QUICKSILVER ›› EMILY WELLS ›› JESSICA LEE MORGAN ›› KEIMZEIT ›› SUPERCHUNK ›› BASIA BULAT ›› TY SEGALL


Konserven
Olymp
Electronik
Fear No Jazz
Floorfashion
Hard & Heavy
Hip Hop
Reggae/Dub
Rock & Pop
Punk/Hardcore
Singer/Songwriter
Talentamt
Worldmusic