Das Projekt bôa wurde 1993 – ursprünglich als Funk-Band - von Steve Rodgers, dem Sohn des Free- und Bad Company-Frontmannes Paul Rodgers gegründet, entwickelte sich aber bald darauf zur Rockband, nachdem Steve's Schwester, Jasmine Rodgers als Sängerin und Frontfrau engagiert wurde. 2001 und 2004 veröffentlichten bôa mit „Twilight“ und „Get There“ zwei vielbeachtete, erfolgreiche Scheiben, verschwand danach allerdings als aktive Band von der Bildfläche. Deswegen ist es eher überraschend, dass nun – fast 20 Jahre später – eine neue LP namens „Whiplash“ erscheint. Der Grund dafür ist die Single „Duvet“, die bôa zu Beginn ihrer Karriere veröffentlichte und die im Folgenden ein faszinierendes Eigenleben entwickelte – zunächst als Titelmelodie der populären Anime-Serie „Serial Experiment Lain“, dann als Remix und später dann als TikTok-Phänomen mit hunderttausenden von Posts, die schließlich zu einem japanischen Vinyl-Re-Issue führte und die letztlich 2023 erneut in den Charts landete. Das wiederum war dann der Anlass der drei verbliebenen bôa Mitglieder Jasmine Rodgers, Alex Caird und Steve Sullivan, neue Songs zu schreiben.
Jasmine Rodgers fasst die bôa-Timeline noch mal für uns zusammen: „Unser erstes Album hieß ja 'Race Of A Thousand Camels' und war zunächst in Japan veröffentlicht worden“, erinnert sich Jasmine Rodgers, „wir haben das dann als 'Twilight' auch hier veröffentlicht. Auf beiden Versionen war dann die Single 'Duvet' zu finden. Unser zweites Album hieß 'Get There' – und danach sind wir alle in andere Richtungen abgewandert. Ich wollte studieren, Alex hat als Maler und Musiklehrer gearbeitet und Lee hat sich auf das Familienleben konzentriert. Zurückgekommen sind wir erst, als 'Duvet' auf TikTok viral ging und es ein neues Interesse an uns gab. Wir mussten dann unsere Situation neu bewerten und sind dabei mit dem kanadischen Nettwerk-Label zusammengekommen. Wir sind dann von Nettwerk, das 'Duvet' neu auflegen wollte, auf sehr freundliche Art gefragt worden, ob wir nicht auch neues Material veröffentlichen wollten. Dann haben wir gesagt, dass wir das gerne machen wollten und haben dann auch begonnen, neues Material zu schreiben.“Tatsächlich haben sich bôa ja einen interessanten Zeitraum für die kreative Pause ausgesucht – einfach weil sich in den letzten 20 Jahren das ganze Musikbusiness doch stark verändert hat. Hat das die Entscheidungen der Band beeinflusst? „Dazu gibt es ein paar Dinge zu sagen“, erklärt Jasmine, „zunächst mal wollte damals mein Bruder Steve die Band verlassen, um seine eigene Musik zu machen und wir wollten eine Zeitlang nicht ohne ihn weitermachen. Ich war ja selbst in Bands gewesen, seit ich 15 war und wollte studieren. Eine große Sache, die uns damals stark beeinträchtigt hatte war auch, dass unsere Musik irgendwann kostenlos verfügbar wurde und wir schon deswegen nicht weiter machen wollten. Wir hatten schließlich lange hart mit bôa gearbeitet und brauchten deswegen eine Pause. Um das aber mal in ein positives Licht zu setzen, war dann die Tatsache, dass man unsere Musik dann plötzlich streamen konnte für uns gut. Das Streaming hat natürlich einige Problematiken, aber für uns bedeutete es, dass wir so eine Menge Leute erreichen konnten. Unser Publikum hatte uns also gefunden, wir haben uns nie verändert und wir sind, wer wir sind. Da ist schön, weil unser Publikum für uns heute so etwas ist, wie nette Leute mit denen man auch mal eine Tasse Tee trinken könnte.“
So etwas hört man ja von Musikern heutzutage eher selten: Das Streaming-Geschäft hat sich also für bôa sogar ausgezahlt? „Ja, denn bei unseren Konzerten treffen wir auf ein Publikum, das erst durch das Streamen auf uns aufmerksam geworden ist“, führt Jasmine aus, „oder durch TikTok und andere soziale Medien. Die Leute haben sich dann ja quasi selbst zu den Shows mitgebracht und es ist für uns wirklich von Bedeutung, wenn wir diesen Leuten in die Augen heute schauen und mit ihnen reden können.“
Alex hat dazu auch einen interessanten Ansatz parat: „Ja – wir haben sie ja quasi aus der Online-Welt in die Realität gebracht.“ Lee Sullivan pflichtet dem bei: „Es ist ja auch so, dass wir auf diesem Wege wieder physisch greifbar werden, indem wir CDs, Vinyls oder Merch anbieten. Ich selbst mag es, Musik in meinen Händen zu halten und es ist schön, dass das Streaming auf gewisse Weise zu einem Katalysator für diese Sache geworden ist.“
Was will und denn der Titel des Albums sagen? Wofür steht das Bild des „Schleudertraumas“ (denn das ist die Übersetzung des Begriffes „Whiplash“ in diesem Zusammenhang). „'Whiplash' war der letzte Song den wir gemeinsam im Studio für dieses Projekt geschrieben haben“, berichtet Jasmine, „und das war eine dieser Sachen, die sehr schnell entstanden sind. In solchen Situationen weiß man – ehrlich gesagt – auch nicht immer, was alles genau bedeutet, aber der 'Whiplash' bedeutet für mich, dass wir alle ein Schleudertrauma vom Ende von Beziehungen hatten und vor allen Dingen von unserer gemeinsamen Reise. In den letzten drei Jahren haben sich unsere Leben schließlich erneut komplett geändert und haben einen neuen Fokus bekommen – und wir mitten drin. Die Folgerung dieser Erkenntnis ist die, dass wir darum bitten, uns zu nehmen, wie wir sind. Wir können nicht vorgeben, etwas anderes zu sein. Man kann das Bild des Schleudertraumas auch positiv sehen. Ich denke da zum Beispiel an den Film 'Whiplash' in dem es ja um Musik und Perfektion geht. Auch der Schlag einer Peitsche kann ja motivierend wirken, denn wir fordern uns immer sehr heraus auf der musikalischen Seite. Musik ist sehr herausfordernd – man bekommt aber auch viel zurück.“
Okay – dann bleibt ja bloß noch die Frage, ob es nach diesem Album dann vielleicht sogar weitergehen könnte mit der bôa-Bio – oder ob das jetzt eine einmalige Sache gewesen ist? „Wir haben noch gar nicht über die Zukunft nachgedacht“, räum Jasmine ein, „wir müssen erst mal durch dieses neue Kapitel kommen und dann mal schauen. Wir haben zunächst eine Tour geplant. Was wir aber wirklich ein Mal gerne machen würden, wäre mit einem Orchester aufzutreten. Wir hatten das Glück, auf der neuen Scheibe Streicher einsetzen zu können – aber es wäre wundervoll mal mit einem ganzen Orchester live auftreten zu können.“
Bis so etwas möglich wird, wird die angesprochene Tour bôa im Februar nächsten Jahres erst mal auch in unsere Breiten führen.
Aktuelles Album. „Whiplash“ (Nettwerk)
Weitere Infos: https://www.boaukofficial.com/ Foto: Freddie Stisted