„Sad bastard music“ – so beschreibt Julien Baker in Interviews gerne augenzwinkernd ihre eigenen Songs. Eine durchaus treffende Beschreibung, denn auf ihrem umwerfenden Debütalbum ´Sprained Ankle´ singt die unscheinbare junge Amerikanerin mit unglaublicher Präsenz und nur einer in Hall getauchten Stromgitarre als Begleiter leidenschaftlich traurige Songs – und findet dabei stets die richtige Balance zwischen herzerweichend und kathartisch. Im Juni kommt sie erstmals nach Deutschland.
Julien Baker ist eine junge Frau mit einer sehr alten Seele. Die autobiografischen Geschichten über Sucht, Einsamkeit, ein gebrochenes Herz, ihre Beziehung zu Gott und die eigene Sterblichkeit, die sie uns auf ´Sprained Ankle´ mit streckenweise fast schon brutaler Ehrlichkeit erzählt, sind so voll von kunstvoll-ausdrucksstarken Metaphern und kleinen Weisheiten, dass man kaum glauben mag, dass die Singer/Songwriterin aus Memphis, Tennessee, erst 19 Jahre alt war, als sie die Lieder letztes Jahr aufnahm. Die Songs, das gibt sie unumwunden zu, sind reine Selbsttherapie, um ihre wilden Teenagerjahre zu verarbeiten. „Der einzige Weg, dieses ungeheuer belastende Gewicht aus dem Kopf zu kriegen, ist, es zu Papier zu bringen“, erklärt sie im WESTZEIT-Interview. Dabei hatte sie eigentlich gar nicht vor, ein Soloalbum zu machen. Doch weil sie an der Middle State University in Murfreesboro Tontechnik und Englische Literatur studierte und ihre von Starkillers in Forrister umbenannte Highschool-Band in Memphis blieb, begann sie, allein Songs zu schreiben. Dann bekam ihre Band kostenlose Studiozeit in den renommierten Spacebomb Studios in Virginia angeboten – aber für ihre Mitstreiter war die vielstündige Autofahrt zu weit. „Ich wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, also sagte ich mir: ´Ich versuche einfach, meine eigenen Songs aufzunehmen, und schaue mal, was ich ganz allein hinbekomme´“, erinnert sie sich. „Das waren die Songs für ´Sprained Ankle´.“Anders als bei den akribisch ausgearbeiteten Gemeinschaftkompositionen von Forrister verspürte Baker bei ihrem Alleingang nicht den Drang, an den Liedern zu feilen – und war am Ende selbst ein wenig von der ungeschminkten Ursprünglichkeit ihrer Aufnahmen überrascht. Dass ihre Songs nicht nur mit ungefilterten Emotionen, sondern auch mit wunderbar poetisch beschriebenen Alltagsbeobachtungen vollgestopft sind, ist dagegen kein Zufall. „Das menschliche Gehirn beobachtet Dinge auf sehr poetische Weise“, ist sie überzeugt. „Manchmal spricht jemand das dann laut aus und du denkst: ´Klingt wie eine Zeile aus einem Film oder einem Song!´ Jeder Tag hat das Potenzial, poetisch zu sein. Du musst es nur bemerken und festhalten.“
Obwohl Baker in ihrer amerikanischen Heimat inzwischen längst zum Shootingstar avanciert ist und ´Sprained Ankle´ in einem Atemzug mit gefühlsintensiven Glanzleistungen wie Bon Ivers ´For Emma, Forever Ago´, Waxahatchees ´American Weekend´ oder Torres´ selbstbetiteltem Debüt genannt wird, ist es ihr wichtig, nicht zwischen der Künstlerin und der Privatperson Julien Baker zu unterscheiden. „Ich möchte für mich keine Kunstfigur erfinden, die ich dann nur bei Konzerten und Interviews spiele, aber nicht in meinem Leben auslebe“, sagt sie bestimmt. „Ich möchte mich nicht auf die Bühne stellen und sagen: ´In diesen Songs geht es darum, dass das Leben manchmal ätzend ist, aber es wird besser´, und dann im richtigen Leben total negativ eingestellt sein. Ich möchte auch nicht fromm und auf meinen Glauben stolz sein und das dann in Interviews unter den Tisch kehren. Das ist eine große Sache in meinem Leben, natürlich will ich darüber sprechen!“
Im Juni steht sie erstmals auch auf deutschen Bühnen und freut sich sehr darauf, nach dem großen Rummel in den USA hierzulande wieder in kleineren Sälen auftreten zu können. „Ich fühle mich am wohlsten, wenn die Zuschauer eine Armlänge entfernt sind und ich ihre lachenden Gesichter sehen kann, wenn ich mal einen Witz mache“, erklärt sie. „Auf meiner letzten Tournee habe ich eine ganze Reihe Konzerte gespielt, bei denen ich auf echten Bühnen gestanden habe. Das war irgendwie seltsam. Man sagt ja, man soll Künstler nicht auf ein Podest stellen – und genau das haben sie buchstäblich mit mir gemacht!“ Sie lacht und fügt an: „Dabei wollte ich viel lieber auf dem Boden stehen.“
Weitere Infos: www.facebook.com/julienrbaker Foto: Jake Cunningham