Sie sind leidenschaftliche Fußballfans und in Europa erfolgreicher als die eigene Nationalmannschaft. Obwohl Mogwai sich bei diesem Gedanken unwohl fühlen, dürften die in Glasgow beheimateten Experimentalmusiker mit dem neuen Album ´Rave Tapes´ mehr Siege einfahren, als die Kollegen es auf dem Platz je vollbringen könnten. „Der Vergleich hinkt leider etwas, schließlich sind Mogwai auch nicht bei der WM dabei“, lacht Gitarrist Barry Burns den Erwartungsdruck an die neuen Songs weg und ignoriert zugleich die Tatsache, dass diese uns wieder einmal vor Augen führen, mit welch formidabler Combo wir es hier zu tun haben. Gerade weil die fünf Passionsmusiker immer bescheiden und zurückhaltend sind, ist das achte Studiowerk mehr als nur irgendein Release in ihrem unermüdlichen Schaffen, sondern passt bestens ins Bild einer Band, die einfach nur eine Band sein möchte.
„Seit wie vielen Jahren war ich nicht mehr für Interviews in Deutschland?“, fragt ein sichtlich gut aufgelegter Stuart Braithwaite seinen Kollegen – „keine Ahnung, aber die letzten Male saß ich immer allein hier und musste den Leuten erklären, was das mit Mogwai und dem neuen Album soll“, antwortet Barry Burns leicht verdutzt.Im Prinzip seit mehr als zehn Jahren nicht mehr, wirft man die Antwort in Burns´ Bar in Berlin Neukölln in die Runde und freut sich, dass „Das Gift“ – so der Name der Kneipe – auch drei Jahre nach Öffnung immer noch gut läuft und nicht das Zeitliche segnen musste. „Darüber freue ich mich auch“, bestätigt der Chef mit einem Lächeln im Gesicht.
Auf dem Tisch vor ihm liegen landestypische Süßigkeiten, die extra für den Interviewtag und Braithwaite seltenem Erscheinen aus der Homebase Glasgow mitgebracht wurden. Das eigentliche Mitbringsel ist trotzdem ´Rave Tapes´, Mogwais neues Album, dass die Marschrichtung der Vorgänger fortsetzen und zugleich erweitern will:
„Wir haben nicht alles neu gemacht, wollten uns aber verändern und experimentierten mit mehr Technik als je zuvor. Darin liegt quasi der größte Unterschied: Man schaute im Vorfeld bereits, anhand welcher Methode wir was aufnehmen können und erst dann gingen wir ins Studio.“
Um Burns‘ Aussage in ihrer Gänze zu verstehen, reicht es nicht, ihm einfach nur zuzuhören. Ein Blick zurück ist unerlässlich und nur so erklärt sich schrittweise die Veränderung im Klangkosmos Mogwais.
In den frühen Neunzigern als Vertreter des sogenannten Post- oder wahlweise Math-Rock gegründet, überraschten Mogwai mit ihrem Debüt ´Young Team´ von 1997 eine Reihe von Kritikern, weil sie im Gegensatz zu zig anderer Kollegen bewusst auf Lyrics verzichteten und ihr Glück mit unkonventionellen Mitteln zu erreichen versuchten.
Was auch nur die halbe Wahrheit sei, wird man unterbrochen, ein paar Texte gab es hin und wieder schon, „nur sangen wir diese nicht, sondern sprachen sie meist ein bzw. bedienten uns bei Samples aus Radio oder TV.“ Was ihrem Verständnis vom Songwriting einfach mehr entspreche als sich monatelang über irgendwelche Worte Gedanken zu machen.
Richtig berühmt machte sie dann der 1999 erschienene und immer noch beste Longplayer namens ´Come On Die Young´. Der, unter widrigen Umständen aufgenommen, ihrem ehemaligen A&R-Manager und heutigen Bestseller-Autor John Niven (u.a. ´Kill Your Friends´) Recht gab, dass hinter Mogwai ganz ausgezeichnete Musiker stecken.
Die Wege zum Glück änderten sich im Laufe der Zeit kaum: Wuchtige Gitarrenläufe, atmosphärische Arrangements und viel zeitliche Opferbereitschaft ließen ihr Songwriting nie zu eindimensional klingen, sondern jeden Track wie ein Fels für sich alleine stehen – ob mit oder ohne Lyrics.
„Einige denken, dass das locker über die Bühne geht: Fünf Typen dackeln ins Studio, experimentieren ein bisschen rum, drücken auf ‚Aufnahme‘ und müssen sich keine Gedanken über irgendwelche Inhalte machen. Solche Glückspilze aber auch!“, lacht Barry Burns. „Dabei liegt hierin die eigentliche Herausforderung, den Leuten ganz ohne textlichen Überbau Unterhaltung zu bieten und wo uns die Arbeit auf der einen Seite abgeht, kommt sie auf der anderen hinzu.“
So gab es in fast 20 Jahren Bandgeschichte nicht einen einzigen Ausfall, der Mogwai den Stempel der ´Kritikerlieblinge´ hätte nehmen können.
Worauf erneut Widerspruch folgt, denn schlechte Kritiken gab es am Anfang zu genüge, nach all den Jahren verwische das Bild nur ein wenig – „das ist ähnlich wie mit der Tatsache, dass viele glauben, wir hätten keinerlei Skandale in unserer Laufbahn erlebt und seien Kerle, die im Zweifelsfall Zwistigkeiten bei einem Bier klären“.
„Manchmal zoffen wir uns schon“, korrigiert Burns, „und dann brauchen wir mehr als nur ein Runde Pints, um auf den gemeinsamen Weg zurückzufinden. Aber klar, in den Boulevard-Medien tauchen wir deswegen nicht auf und die Journalisten versuchen ebenso wenig, diese oder ähnliche Themen in den Mittelpunkt zu rücken.“
Im Mittelpunkt von ´Rave Tapes´ stehe für ihn ganz klar die Veränderung, lenkt Braithwaite das Gespräch geschickt zum Thema zurück:
„Die Soundtrack-Arbeiten in den letzten Jahren haben gezeigt, dass nicht nur das Studio der Ort der Magie sein muss, sondern im Vorfeld richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden können. Die sich vor allem auf das Equipment auswirkten und Mogwai stärker als je zuvor beeinflussten.“
Darüber sprechen oder vielleicht Details bekanntgeben, ist dann doch nicht ihr Ding. Viel lieber philosophieren die beiden über ihre Liebe zum Fußballklub Celtic Glasgow, die besten Pubs in der Heimat und allerhand anderer Dinge, die wenig mit Musik zu tun haben.
Fest steht, hier hat niemand nur aus der Leidenschaft zur Musik eine Band gegründet, sondern das Konstrukt von Mogwai bis ins Jahre 2014 auf der Basis einer Freundschaft fortgeführt und wenn es eben nicht der Sound wäre, der sie verbinde, würden sie sich wöchentlich zum Fußballgucken treffen – Hauptsache man verbringe Zeit miteinander.
Neben solchen außermusikalischen Interessen ist ihnen in den vergangenen Jahrzehnten Stammproduzent Paul Savage ebenso ans Herz gewachsen. Der bereits beim Debüt hinter den Reglern saß und von der heimischen Presse gerne als sechstes Bandmitglied bezeichnet wird. Was beide zum Lachen bringt:
„Viele Journalisten winken beim Thema Produzent immer dankend ab, weil sie es nicht für wichtig empfinden“, beschwert sich Burns, „dabei liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis unserer Musik: Wer den letzten Schliff daran anlegt und formt, was wir ihm rüberschieben.“
„Paul ist wirklich ein toller Typ und unglaublich ehrlich in seiner Arbeit. Als wir mit der Idee um die Ecke kamen, das Album ‚Rave Tapes‘ zu nennen, meinte er, dass das wohl ein Witz sei! Unter ‚Rave‘ verstehe er etwas ganz anderes und wir dürfen die Leute nicht die Irre führen.“
Passt trotzdem, denn lupenreiner Hardcore war es auf dem letzten Werk mit dem ähnlich witzigen Titel ´Hardcore Will Never Die, But You Will´ ebenso wenig und damit ergibt sich ein weiterer Schlüssel zum Verständnis von Mogwai, ihren Humor haben sie nie verloren.
Getreu dem Motto, wenn schon keine Lyrics, dann wenigsten eine vielsagende Überschrift, freuen sich die beiden über das Verwirrspiel mit Namen und Deutungen wie zwei kleine Lausbuben.
„Wir waren Anfang der Neunziger Jahre wirklich Rave-Fans und hatten zig Kumpels, die uns zu den Sets der DJs mitnahmen. Insofern passt das schon.“
Stellt sich dahingehend allerdings die Frage nach dem Gestammel im Mittelteil von ´Rave Tapes´, bei dem ein etwas derangierter Prediger erklärt, warum Led Zeppelin mit ´Stairway To Heaven´ die schlimmsten Lügner unter Gottes Himmel seien.
„Es war gar nicht so einfach da ran zu kommen. Als wir letztens in den Staaten waren, hörten wir den Typen im Radio und erfuhren, dass der wöchentlich die Texte von Rocksongs auseinandernimmt und ihnen Blasphemie unterstellt. Das finden wir deswegen lustig, weil Mogwai als instrumentale Band für ihn uninteressant sein dürften.“
Wieder verfallen Braithwaite und Burns in Privatgespräche, die natürlich den Fußball auf die Tagesordnung rufen, denn gerade erfuhren sie per Ticker, dass Celtic an einer neuen Verpflichtung dran sei und googeln hastig mit ihren Smartphones den Namen des Neuzugangs.
Der Vorteil als schottische Band sei auch, dass man im Sommer auf Festivalreise gehen kann, ohne nur ein WM-Spiel der eigenen Nationalmannschaft zu verpassen, witzelt Burns und findet den anfänglichen Vergleich ´Mogwai vs. Nationalteam´ immer noch unzureichend.
Im Zuge von ´Rave Tapes´ wird er sich bewahrheiten.
Aktuelles Album: Rave Tapes (Rock Action / PIAS / Rough Trade)
Foto: Steve Gullick